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Bei der Diagnose eines endokrinen Tumors kommen CT und MRT zum Einsatz.

Foto: APA/Hermann J. Knippertz

Die Auslöser sind weitgehend unbekannt. Statt nur brav, wie vorgesehen, Botenstoffe zu produzieren, beginnen ein paar Zellen, sich unkontrolliert zu teilen. Das ist so nicht vorgesehen. Ein Geschwür wächst heran, mal schneller, meist aber sehr gemächlich. Und leider oft unbemerkt.

Bei den besagten Wucherungen handelt es sich nicht etwa um reguläre Karzinome, sondern um die seltenen neuroendokrinen Tumoren, unter Fachleuten kurz NET genannt. Früher bezeichnete man sie auch als "Karzinoide". Ihren Ursprung haben diese Gebilde in modifizierten Nervenzellen mit Drüsenfunktion. Sie enthalten Signale aus dem neuronalen System und setzen daraufhin Hormone frei. "Diese Zellen gibt es im gesamten Körper, aber sie haben eine besonders hohe Dichte im Gastrointestinaltrakt", erklärt Bruno Niederle, Facharzt für Endokrinologie am Universitätsklinikum Wien. Dementsprechend treten die meisten NET im Magen- und Darmbereich auf. Sie können allerdings auch in den Lungen, in der Bauchspeicheldrüse und anderen Organen entstehen.

Unspezifische Symptome

Medizinisch gesehen, stellen neuroendokrine Tumoren eine Herausforderung dar. Problematisch ist ihre schwierige Erkennung, wie Niederle betont. "Die meisten NET haben keine spezifischen Symptome, egal wo sie sitzen." Betroffene klagen zum Beispiel über drückende Schmerzen oder Unwohlsein. Allgemeine Beschwerden eben, bei der nur die wenigsten Ärzten an eine Krebserkrankung denken. Bei etwa der Hälfte der Patienten haben sich deshalb zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Metastasen gebildet. Bei länger andauernden Beschwerden sollte man neuroendokrine Tumoren öfter als mögliche Urheber in Betracht ziehen, warnt Bruno Niederle.

Ungewöhnlich starke Auswirkungen finden sich mitunter bei NET, deren Zellen trotz Wucherung ihre Funktion aufrechterhalten. Es kommt zur hormonellen Überproduktion - mit manchmal äußerst unangenehmen Folgen. Sogenannte Insulinome, NET der Bauchspeicheldrüse, neigen normalerweise nicht zur Metastasenbildung, doch durch die gesteigerte Freisetzung von Insulin kommt es beim Patienten zu einer gravierenden Unterzuckerung bis hin zur Bewusstlosigkeit.

Statistische Häufigkeit

Neuroendokrine Tumoren sind trotz ihrer Vielgestaltigkeit eine seltene Form von Krebs. Die Häufigkeit wird auf 35 Fälle pro 100.000 Personen geschätzt. NET sind trotzdem in letzter Zeit zunehmend ins Visier der medizinischen Forschung geraten. Das Pharmaunternehmen Novartis sprach vor wenigen Monaten sogar von einem "starken Anstieg der Neuerkrankungen". Das stimmt so nicht, meint Bruno Niederle. Man habe in den vergangenen Jahren lediglich die Charakteristika dieser Tumoren genauer beschrieben und klassifiziert. Es handele sich deshalb um eine "Pseudo-Inzidenzerhöhung", die durch genauere Diagnostik entsteht. Die NET-Neuerkrankungen werden aber nicht häufiger.

"Wer suchet, der findet", bringt es Niederle auf den Punkt. Der Experte warnt vor unnötiger Aufregung. "Sehr viele dieser Tumoren haben einen gutartigen Verlauf." Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden global 46 Prozent als klar abgegrenzt und gutartig eingestuft. Die Tumoren greifen nicht auf gesundes Nachbargewebe über. Grundsätzlich jedoch kann sich jeder NET irgendwann bösartig entwickeln und beginnen, Metastasen zu bilden. So manches neuroendokrine Geschwür mag also zwar zunächst keinen Eingriff erfordern, sollte aber dennoch genauestens überwacht werden.

Magen vor Blinddarm

Bruno Niederle hat die Inzidenz von NET im Magen-Darm-Pankreas-Bereich (GEP-NET) sowie deren Behandlung zusammen mit Kollegen von der Medizinischen Universität Wien erstmalig im Rahmen einer umfassenden klinischen Studie rückwirkend untersucht. Die Forscher nahmen die Daten österreichischer GEP-NET-Patienten unter die Lupe und setzten dabei die neuen Klassifikations- und Diagnosekriterien der WHO und der European Neuroendocrine Tumor Society ein. Den Ergebnissen nach erkranken statistisch gesehen in Österreich pro 100.000 Einwohner jährlich 2,51 Männer und 2,36 Frauen neu an GEP-NET. Die Zahlen liegen im Rahmen der Schätzungen.

Von den 285 genauer untersuchten Fällen litten knapp 23 Prozent an neuroendokrinen Tumoren im Magen. Am zweithäufigsten mit fast 21 Prozent war der Blinddarm befallen, auf dem dritten Platz standen NET im Dünndarm und dem Rektum mit je gut 15 Prozent (vgl.: The Oncologist, Bd. 16, S. 602). Das Pankreas war in mehr als elf Prozent der Fälle betroffen. Je nach Lage und Zustand der Tumoren wurde operiert oder medikamentös behandelt.

Bei insgesamt 34 Patienten bildeten sich allerdings bösartige Tumoren, am häufigsten traten diese bei Erkrankten mit NET in Rektum und Dickdarm auf. Sechs der malignen Geschwüre wurden übrigens erst ein Jahr nach der ursprünglichen Diagnose entdeckt. Dies zeigt, wie wichtig regelmäßige Nachfolgeuntersuchungen sind, so das Resümee der Studie. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 21.1.2013)