Vereint im aussichtslosen Kampf in sadistischen Systemen: Spieler aus Ungarn und Graz.

Foto: Lupi Spuma

Nach Graz spielt das rasante Stück in Deutschland, Rumänien, Italien und Ungarn. Ensembles vor Ort werden es jeweils verändern.

Graz - 15 Kandidaten, zehn ungarische in weißen Overalls und fünf österreichische in schwarzen, nehmen im Grazer Schauspielhaus Aufstellung. Namen haben die Männer und Frauen keine, nur Nummern.

90 Minuten werden sie in einem Mix aus Strategiespiel und Talenteshow alles geben. Das ist das Setting, in dem Regisseur Viktor Bodó mit seinem Stück The Last Man In Graz - Social Error "politische Führungssysteme und wirtschaftliche Anomalien" abbilden will.

Die Spieler laufen ein wie moderne Gladiatoren, brüllen auf Ungarisch oder Deutsch Sätze wie "Wer nicht für mir ist, ist gegen mich!" - oder auch deutlich derbere. Immer wieder werden die Einzelkämpfer zu einer Gruppe, einer Stimme mutieren: marschierend wie Soldaten, demonstrierend wie Empörte, skandierend wie Fußballhooligans: "Hier regiert der nationale Widerstand!"

In rasantem Tempo wechselt man vom höflichen Tanz zu Vergewaltigungsszenen, dann zu freiwilligem Gruppensex. Nächste Übung: erschießen und erschossen werden. Einer zieht die Hose runter und lässt künstlichen Kot auf die Bühne fallen. Kein Hauch von Provokation in der Stadt, in der Günter Brus seinen Lebensabend in Würde verbringt.

Der letzte Mensch in Graz

Doch worum geht es? Wer wird der letzte Mensch in Graz sein? Der Moderator des Abends, den Jan Thümer im roten Overall authentisch gibt, stellt einen persönlichen Sieg in Aussicht. Er ist ein sadistischer Showman, der hart erkämpfte Punkte wieder wegzaubern kann. Fairness ist keine Kategorie. "Da war doch schon sehr viel Schönes dabei", findet er nach der ersten atemberaubenden halben Stunde. Einblicke in die Probenarbeit werden gewährt - in der Offszene keine, an Stadttheatern noch immer eine Seltenheit.

Bodó, der mit seiner Budapester Szputnyik Shipping Company schon Stammgast in Graz ist, verzichtet auf seine bekannten opulenten Bilder. Die Schulterkamera, die Angst, Schmerz und Lust in den Gesichtern der Spieler und manchmal das Publikum auf die Bühnenwand projiziert, ist zwar wieder mit dabei. Doch das Bühnenbild besteht nur aus Stühlen und Hilfsmitteln wie Frischhaltefolie oder Zelten, in denen sich Paare für einen Spieldurchgang finden müssen, um dann nach gesammeltem Samenvolumen benotet zu werden. Das Grazer Premieren-Bürgertum war am Samstag alles andere als verstört, eher gut unterhalten. Doch Bodós Truppe geht mit dem Stück nach Italien, Rumänien, Deutschland und Ungarn auf Tournee. Dabei wird sich The Last Man in ... mit den jeweiligen Ensembles vor Ort anders entwickeln.

Dass die Situation für kritische Theatermacher in Ungarn zunehmend schwieriger wird, ist auch an Bodó nicht vorübergegangen. Wie diese Produktion am National Theater Budapest ankommen wird, ist offen. Jedenfalls ist klar: Was in einem Land harmlos ist, kann in einem anderen durchaus mutig sein. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 21.2.2013)