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Wiesbaden/Berlin - Wie bitte? In Deutschland soll es noch die Todesstrafe geben? Man kann es eigentlich gar nicht glauben. Und dennoch ist es so.

In einer einzigen Landesverfassung, der hessischen nämlich, steht ganz klar in Artikel 21: "Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm aufgrund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden."

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich dabei nicht um ein antiquiertes Regelwerk aus dem 19. Jahrhundert, sondern um die Landesverfassung aus dem Jahr 1946, die in dieser Form immer noch gültig ist.

Die hessische war die erste Landesverfassung, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland geschrieben wurde. 1946 stand man noch unter dem Eindruck der grausamen NS-Verbrechen und wollte abschreckende Strafen zulassen.

"Das ist natürlich totes Recht", versichert Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP). Selbstverständlich bekommen Mörder auch in Hessen maximal lebenslänglich und müssen sich nicht vor der Guillotine fürchten. Denn per Grundgesetz wurde die Todesstrafe 1949 abgeschafft, und Bundesrecht bricht Landesrecht.

Trotzdem: Auf dem Papier steht die Todesstrafe noch. Das stört viele Bürgerinnen und Bürger in Hessen, es gibt Petitionen zur Abschaffung. Doch Politiker aller Couleur zögern und zaudern.

Angst vor dem Bürgerwillen

Denn jegliche Änderung der hessischen Verfassung muss nach einem Beschluss des Landtags auch noch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Daher geht in allen Parteien eine Sorge um, die man im hessischen Justizministerium so formuliert: "Stellen Sie sich vor, kurz vor der Abstimmung ermordet jemand ein Kind. Und beim Votum stimmt dann eine aufgebrachte Mehrheit dafür, doch die Todesstrafe in der Verfassung zu belassen."

Faktisch würde sich nichts ändern, die Todesstrafe bliebe auch weiterhin nur auf dem Papier bestehen. "Aber das Signal wäre gesellschaftspolitisch schrecklich", sagt Jürgen Frömmrich, der justizpolitische Sprecher der Grünen im hessischen Landtag. Und darum sagt man sich in Hessen weiterhin: Dieses Eisen ist zu heiß, man kann das Volk darüber nicht abstimmen lassen. (bau/DER STANDARD, 19.1.2013)