AVATAR im Überblick.

Foto: University of Arizona

Die Sonne glüht am flachen Horizont von Arizona ihrem Aufgang entgegen, als Alan Bersin, ein Inspektor des US-Grenzschutzes, eine Delegation seiner kanadischen Kollegen hereinbittet. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht eine Maschine von ungefähr der Größe eines Bankomaten. Sie könnte die Abfertigung von Einreisenden künftig revolutionieren, wie Wired berichtet.

Mehrere Verfahren in einem

"AVATAR" heißt die Erfindung, die man im Rahmen des "Borders"-Projektes an der University of Arizona entwickelt hat und hier am Grenzposten "DeConcini" in Nogales vorstellt. Designt wurde sie von den erfahrenen Lügenforschern Jay Nunamaker und Judee Burgoon in jahrelanger Arbeit.

Sie hatten im Laufe der Jahre verschiedene Zugänge ausprobiert, um ein möglichst effizientes System zu bauen. Es integriert mehrere Verfahren um Lügnern effizient auf die Schliche zu kommen und den Abfertigungsprozess zu beschleunigen. Wer sich bei dieser Prüfung verdächtig macht, wird von Offiziellen weiter befragt.

Virtueller Grenzbeamter

Auf einem 22 Zoll fassenden Bildschirm ist ein virtueller Charakter im Anzug, der den durchschnittlichen "Befrager" darstellen könnte. Darüber montiert ist eine HD-Kamera, die sich automatisch passend zur Körpergröße der Person vor ihr justiert. Unter dem Display verstecken sich eine Infrarotkamera und ein Mikrofon.

Über einen 19-Zoll-Touchscreen wird der Befragungsautomat bedient. Scanner für ID-Karten, RFID-Chips und Fingerabdrücke sollen den Abgleich mit verschiedenen Datenbanken erlauben. Künftige Generationen werden Pässe drahtlos auslesen und ihre Sprache dem Herkunftsland des Einreisenden anpassen.

Ertappt

Bersin stellt sich vor das Gerät und startet die Befragung. "Sind Sie ein Bürger der vereinigten Staaten?", will er virtuelle Beamte mit emotionslosem Tonfall wissen. "Ja". "Haben Sie in den letzten fünf Jahren eine Auslandsreise unternommen?". "Ja", erwidert Bersin, in dessen Stimme sich eine gewisse Langeweile spiegelt. "Leben Sie an der Adresse, die in ihrem Einreiseansuchen aufgeführt ist?." "Ja."

Ein Techniker sieht die Ergebnisse des kurzen Testlaufs ein, die der Automat an sein iPad geschickt hat. Die Antworten werden in drei Kategorien klassifiziert, farblich markiert und mit kurzen Erläuterungen unterlegt. Grün signalisiert, dass die Aussage wahr sein dürfte. Gelb signalisiert mögliche Unsicherheit. Rot weist auf eine wahrscheinliche Lüge hin - so wie bei Bersins letzter Antwort.

Bersin beginnt zu erklären, dass er eigentlich nicht den Ort, an dem er wohnt als "zu Hause" bezeichnet, seine Familie in San Diego wohnt, er aber in Washington DC arbeitet und er beim Antworten von anderen Gedanken abgelenkt war. "Haben Sie einen Anwalt?", unterbricht ihn einer der Kanadier und entlockt dem Mann mit der sonst steinernen Miene ein kurzes Grinsen.

Kamera, Mikrofon und Algorithmus

Die Kamera des "AVATAR" erfasst Bewegungen, vornehmlich des Gesichts. Selbst kleinste und vor allem unwillkürliche Bewegungen können Emotionen und Lügen preisgeben. Die Auswertungen der Maschine stützen sich auf Paul Ekmans Theorie sogenannter "Micro-Expressions", die es über die Fernsehserie "Lie to Me" auch zu allgemeiner Bekanntheit gebracht hat.

Die Infrarotkamera nimmt die Augen des Befragten unter die Lupe. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 250 Bildern pro Sekunde werden Bewegungen und Kontraktionen der Pupille beobachtet. Erweitert sie sich auffällig, deutet das auf eine mögliche Falschaussage hin. Gleichzeitig nimmt das Mikrofon winzigste Veränderungen der Tonlage wahr, ein Konzept, dass auch bei klassischen Lügendetektoren schon länger Eingang gefunden hat.

Respekt vor "dem System"

Dass dem Kontrollierten kein Grenzbeamter in Fleisch und Blut gegenübersteht, sondern er mit einem Roboter spricht, soll weitere Fehlerquellen eliminieren. Eine Maschine wird nicht müde, kann nicht verärgert werden, lässt sich nicht von optischen Reizen verführen und wird auch bei Dollarscheinen nicht schwach.

Im Gegenteil, sie flößt Respekt ein, erklärt Douglas Derrick, Experte für Mensch-Computer-Interaktionen von der University of Nebraska, der an dem Projekt seit 2007 mitarbeitet. Man fürchtet sich vor der gefühlten Macht des Gerätes. "Sie sehen sie als die Personifizierung des Systems", so Derrick. "Sie denken, sie reden mit dem Computer."

Herausforderung Lüge

Es ist die Kombination all dieser Faktoren, die den "AVATAR" so effektiv und dabei vielseitig machen sollen. Der klassische Lügendetektor, der die Schwankungen von Vitalwerten bei einer Befragung misst, entlarvt Lügner in neun von zehn Fällen - wenn ihnen nur einfache Fragen zu einem Sachverhalt ("Haben Sie John Doe erschossen?") gestellt werden. Menschen, die darin geübt sind, sich zu verstellen, können dieses Verfahren austricksen.

Die Herausforderung ist groß, verschiedene Studien belegen, dass wir zumindest zehn Mal am Tag lügen. Andere gehen von einem Mehrfachen dieses Wertes aus. Zumeist geht es allerdings um kleine Notlügen, die ohne weiterer Konsequenzen schlichtweg das Leben einfacher machen.

Erfolgreicher Testlauf

Ein Testlauf des "AVATAR"-Systems war bereits vielversprechend. 37 Grenzschützer der EU traten in Polen gegen die Maschine an, manche sollten dem Gerät dabei falsche Dokumente vorlegen. Menschliche Kontrolleure konnten keinen einzigen der Lügner entlarven. Nunamakers Erfindung entlarvte falsche Angaben in 94 aller Fälle und produzierte dabei nur zwei Fehlalarme.

Die Grenzbehörden hatten geplant, fünf dieser Automaten in jedem der neun Abfertigungsstationen aufzustellen, doch dann kamen Budgetprobleme dazwischen. Die Forscher haben das Gerät mittlerweile Verantwortlichen in Washington präsentiert. Mittlerweile haben sie finanzielle Unterstützung erhalten, um herauszufinden, wie man den Hightech-Lügendetektor möglicherweise erfolgreich betrügen kann. Der Testbetrieb in Nogales soll indes ausgeweitet werden. (red, derStandard.at, 19.01.2013)