Eine natürliche Killerzelle (oben) trifft auf eine Krebszelle. Unter dem Mikroskop sehen die Forscher, dass das neu entdeckte Protein S10A6 (rot) an der Kontaktfläche vermehrt vorkommt.

Foto: Maxi Scheiter/HZI

Braunschweig - Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) haben erstmals die Gesamtheit aller Proteine in natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) gesunder Menschen untersucht. Das entdeckte "Protein-Repertoire" zeigt, dass Immunzellen dieses Typs nicht nur eine akute Virusinfektion abwehren können, sondern auch langfristig Informationen über frühere Infektionen speichern.

Das Immunsystem des Menschen hat sich auf vielfältige Weise spezialisiert, um effektiv gegen Krankheitserreger vorgehen zu können. Für die Bekämpfung von Viren und Tumorzellen sind unter anderem die NK-Zellen verantwortlich. Bewaffnet mit Kügelchen voller Enzyme, die geschädigte Zellen zum Platzen bringen können, patrouillieren die Wächter durch unseren Körper. Auf ein Signal hin feuern sie ihre "Munition" ab, nachdem sie eine spezielle Kontaktfläche zur anvisierten Zielzelle ausgebildet haben.

Wie wir Menschen altern auch NK-Zellen und werden reifer. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), des Städtischen Klinikums Braunschweig und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften haben nun untersucht, was sich in dabei in ihrem Inneren abspielt. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift "Molecular & Cellular Proteomics" veröffentlicht.

Rund 3.400 Proteine

"Wir haben aus dem Blut gesunder Menschen unterschiedlich reife NK-Zellen isoliert. Mit Hilfe hoch entwickelter Massenspektrometrie gelang es uns zu untersuchen, welche Proteine sie herstellen", beschreibt Maxi Scheiter, Wissenschaftlerin am HZI, den Ansatz der Forscher. Da Proteine in vielen Bereichen der Zelle eine Schlüsselrolle spielen, beispielsweise als Enzyme, Signalstoffe oder Baumaterial, können die Forscher nun Rückschlüsse auf ihre Aufgaben ziehen.

"Wir haben rund 3.400 Proteine gefunden, die in den unterschiedlich reifen Zellen vorkommen. Sie liefern wertvolle Hinweise darauf, dass sich NK-Zellen auch im Menschen so entwickeln, wie man es von bisherigen Experimenten in Mausmodellen kannte", so Lothar Jänsch, Leiter der Arbeitsgruppe Zelluläre Proteomforschung am HZI.

Unter den identifizierten Proteinen fanden sich auch solche, deren Rolle in natürlichen Killerzellen bisher nicht bekannt war. "Uns interessierte vor allem, welche Funktion diese Proteine in den Immunzellen haben. Deshalb haben wir zwei besonders spannende Kandidaten mit einem Farbstoff markiert und mit dem Fluoreszenzmikroskop untersucht, wo die Proteine innerhalb der Zelle vorkommen", erklärt Scheiter. 

Zerstörerische Moleküle

Der Blick ins Mikroskop zeigte den Forschern, dass die Moleküle mit den kryptischen Namen S10A4 und S10A6 in die Kontaktfläche einwandern, sobald die NK-Zelle durch Kontakt mit Krebszellen aktiviert wird. Auch die mit "Munition" gefüllten Kügelchen gelangen zeitgleich in diese Kontaktzone mit den Krebszellen. Sie enthalten beispielsweise die Substanz Perforin, die, wie der Name vermuten lässt, die Oberfläche der Krebszellen perforiert - also durchlöchert. "Wahrscheinlich tragen S10A4 und S10A6 auf bisher unbekannte Weise dazu bei, dass solche zerstörerischen Moleküle zu den Zielzellen transportiert werden", vermutet Scheiter.

Zudem konnten die HZI-Forscher eine aktuelle These in der NK-Zell-Forschung auf Proteom-Ebene vorläufig stützen: "Die natürlichen Killerzellen können mehr, als wir dachten", sagt Scheiter. Bis vor kurzem ging man davon aus, dass sie ausschließlich Aufgaben der angeborenen Immunabwehr übernehmen, also eine erste Abwehrlinie gegen Virenangriffe darstellen. Laut den Forschern gibt es jedoch Hinweise, dass sie sich im Laufe ihres Lebens an ihre Umgebung anpassen - Fähigkeiten, die man eher einem anderen Teil der Immunabwehr, dem erworbenen Immunsystem, zuordnet. 

Hoffnung: personalisierte Medizin

"Unsere Proteomanalysen zeigen, dass die Zellen umso mehr Virus-spezifische Oberflächenmoleküle besitzen, je reifer sie sind. Das weist darauf hin, dass sie sich an vergangene Virusinfektionen erinnern, wobei diee Grenze zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem verschwimmt", fasst Jänsch zusammen.

Zu wissen, welche Proteine in gesunden NK-Zellen normalerweise vorkommen und wie sich ihre Zusammensetzung während der Entwicklung ändert, stellt nach Ansicht der Mediziner einen enormen Fortschritt in der patientenspezifischen Probenanalytik dar. Es gibt eine Reihe von Krankheiten, die auf fehlerhafte Proteine in NK-Zellen zurückzuführen sind. In einigen Fällen wird beispielsweise die Kontaktfläche zu anderen Zellen nicht richtig gebildet, so dass die NK-Zelle ihre Funktion nicht ausüben kann. Die Folgen können eine Schwächung des Immunsystems und wiederkehrende Infektionen sein. Bei solchen Abweichungen vom Standard-Proteinrepertoire hoffen die Forscher darauf, zukünftig gezielt mit Medikamenten eingreifen zu können. (red, derStandard.at, 16.1.2013)