Ein als Zahnarzt getarnter Kopfgeldjäger und ein befreiter Sklave als Verbündete: Christoph Waltz und Jamie Foxx in "Django Unchained".

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Wien - Wofür bedarf es heute noch eines wortkargen Westernhelden wie Django? Quentin Tarantinos ungestümes, manchmal (bemüht) komisches, phasenweise brillantes Filmdrama Django Unchained lässt sich am Ende auf diese einzige Frage reduzieren. Mit Sicherheit genügt es nicht, Sergio-Corbucci-Western und fast vergessene Kuriositäten der Filmgeschichte durch einen leidenschaftlichen Connaisseur veredeln zu lassen; auch reicht es nicht, ein Genre - das schon zu seiner Hoch- und Nachzeit politisch war - nur mit neuen, historisch brisanten Inhalten zu füllen. Vielmehr muss sich beides zu etwas Drittem vereinen, zu einem autonomen Werk, das auf eigenen Beinen steht.

Tarantino weiß das selbst am besten, deshalb will sein Django Unchained wohl stets ein wenig mehr, als ihm guttut. Wie schon in Inglourious Basterds, seiner Revision des Zweiten-Weltkriegs-Films, stürzt er auch diesmal eine Parallelfantasie über überlieferte Geschichte. Und wie bei den jüdischen Soldaten im Film davor sind Opfer- und Täterrollen vertauscht; der von Jamie Foxx verkörperte Django ist kein Unparteiischer mit Maschinenpistole, sondern ein befreiter Sklave.

Die vordergründig schundigen, in Wahrheit aber viel flexibleren Möglichkeiten des B-Movies werden somit gegen ein historisches Übel aktiviert: die Sklaverei. Ein Thema, das in der Aufarbeitung der so filmbesessenen USA abgesehen von einigen Blaxploitation-Filmen wie der Nigger-Charley-Reihe und TV-Serien wie Roots keine allzu prononcierte Rolle gespielt hat. Noch Steven Spielbergs Geschichtsdrama Lincoln trägt davon Spuren, wird das Ende der Sklaverei darin doch zum politischen Strategiespiel von ausschließlich weißen Männern.

In der ersten Szene des Films, die einem das schreiberische Talent Tarantinos in allen Facetten vor Augen führt, tritt mit Dr. King Schultz die treibende Kraft des Films auf den Plan, ein als Zahnarzt verkleideter Kopfgeldjäger.

Christoph Waltz wurde diese Rolle nicht einfach geschenkt; der antipsychologische, künstlich überhöhte Schauspielstil des Wieners fungiert vielmehr als deren Fundament. Zwei (Sprach-)Künstler ergänzen sich hier trefflich. Mehr noch als der Oscar-gekrönte Part des Hans Landa dient diese Figur Tarantino dazu, seine Haltung gegenüber dem Genre zu demonstrieren. Er wirft sich (wie Waltz) mit fast unbotmäßiger Spielfreude auf dessen Bestandteile und eignet sie sich doch nie zur Gänze an.

So dominant ist dieser Dr. Schultz im ersten Teil des über zweieinhalb Stunden langen Films, dass er sogar eine gewisse Schräglage erzeugt. Doch die oft komischen Schaustücke des einen ermöglichen die kontinuierliche Verwandlung des anderen. Django Unchained spielt stets mehrere Stücke zugleich. Der geschundene Sklave wird, zuerst fast unmerklich, zum Individuum, richtet sich auf - einer Zukunft entgegen, die ihm die Freiheit bringt.

Schwarzer Siegfried

Tarantino kleidet ihn nicht nur gemäß der Mode seiner Zeit, sondern stilisiert ihn zum schwarzen Siegfried der Nibelungen, der seine auf einer Baumwollplantage schuftende Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) befreien will. Einmal trägt er ein blaues Kostüm wie auf Thomas Gainsboroughs berühmtem Gemälde The Blue Boy, dann wieder erscheint er, untermalt von Hip-Hop, wie ein "black model" für die Gegenwart.

Broomhilda tritt wie ein Geist schon davor mehrmals auf, um Django aus der Ferne zuzuwinken - eine melodramatische Geste, die die Tragödie erahnen lässt, auf die der Film bei allem Spaß an der Unterhaltung nicht vergisst.

Bevor Django Unchained im letzten Drittel auf die Plantage Candyland zusteuert, dreht er zwar ein paar Pirouetten zu viel. Doch Überlänge und Ideenfülle sind bei einem manischen Regisseur wie Tarantino kein Novum.

Dafür belohnt er den Zuschauer mit einem kunstvoll verzögerten Finale und der wunderbar monströsen Figur des Haussklaven Stephen (der kaum wiederzuerkennende Samuel L. Jackson), einem opportunistischen Diener seines Gutsherrn (Leonardo DiCaprio). Mit diesem zittrigen, alten, aber auch hundsgemeinen Mann stellt Tarantino ein Klischee lustvoll an den Pranger und weist es doch auch als Maskerade aus.

Die Inbrunst, mit der Tarantino solche kinowirksamen Charaktere erschafft und aufeinander loslässt, ist ergreifend - und sie entschädigt auch für die eine oder andere Unsinnigkeit.  (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 17.1.2013)