Coverfoto: EMI/Virgin
Sommer ist die Jahreszeit mit dem Neuerscheinungsloch - ideal, CDs in Erinnerung zu rufen, die nicht mehr brandaktuell sind, aber in keiner Jahreshitparade fehlen dürfen. Und da sich bisher niemand um diese hier gekümmert hat, muss eben jemand ran, dessen Französisch-Wortschatz in etwa bei déjeuner endet (was andererseits gut im österreichischen Durchschnitt liegt und gleichzeitig die Erklärung dafür sein dürfte, warum Musik aus Frankreich hierzulande konstant ignoriert wird. Und auch schwer zu bekommen ist - Tipps für Fachhandlungen bitte unten posten ...).

Benjamin Biolay wird seit seinem 2001er Debut "Rose Kennedy" gerne als "Retter des Chansons" gefeiert, was ihm gar nicht so recht ist, da dieses keiner Rettung bedürfe. Dafür hält er eher wenig von französischer Pop-Musik und unterwandert damit den Hype, der sich seit den 90ern um erfolgreich Pop und Chanson kombinierende KünstlerInnen wie Dominique A und Katerine, zuletzt auch Françoiz Breut und eben BB aufgebaut hat.

Blick nach Nordwest

Angloamerikanische Einflüsse zuzulassen hat französische Musik schon immer aufgefrischt - hier sind es in erster Linie Folk und Blues, wie schon die Eröffnungsnummer "Billy Bob a raison" als Linie vorgibt. Bei weiteren Tracks wie "Des lendemains qui chantent" oder "Holland Spring" liegen Nick Cave (speziell wenn die Rhythmusgruppe ein wenig stärker zum Einsatz kommt) oder Mazzy Star auch nicht weiter entfernt als Serge Gainsbourg.

... dass man hier um das große G-Wort nicht ganz herumkommt, liegt denn auch weniger an fehlenden Vergleichalternativen als an BBs zurückhaltendem Gesang, der meist zwischen Raunen und Sprechen bleibt. Sogar die Gainsbourg-typischen Duette mit wechselnden Hauchfrauen finden hier ihre Entsprechung; in diesem Fall stößt BBs Ehefrau Chiara Mastroianni (Tochter von Catherine Deneuve und Marcello Mastroianni) die Chorus-Seufzer aus. - Trennung wird bewältigt durch Rekonstruktion der gemeinsamen Vergangenheit: Ich habe dich nie geliebt ... (Stück 6: "Je ne t'ai pas aimé").

Reduktion

Dass der Sound sparsam gehalten wird, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Hintergrund ein riesiger Fuhrpark an Studiomusikern und Instrumenten darauf lauert, abwechselnd abgerufen zu werden: Bläser, Streicher, Slidegitarren, gelegentliche Beats und Samples (als einziges "Ethno-Sample" bezeichnenderweise ein Auszug aus Jimmie Rodgers' Countrystück "Little darling, pal of mine" aus den 20ern) kommen zum Einsatz. Piano und Synthesizer reizen ihrerseits das volle Spektrum zwischen Moby-Hymnen, singsägenschwirrenden Theremin-Klängen und Spieldosen-Sound aus.

Nur einmal, für die pompöse Liebeserklärung "Glory Hole" (pardon: Glorri Oll), wird alles in die symphonische Schlacht geworfen. Zum Ausgleich folgt fast erschreckt über den vorangegangenen Bombast das extrem reduzierte "La vanité", ein leiser Vorwurf an die Verflossene, die durch Eitelkeit ihre Seele entstellt, wie das in der Orange-Katholischen Bibel von "Dune" so schön heißt.

Anspieltipp: Die Nummer 5, das einzige Midtempo-Stück in einer Welt voller Balladen. "Chaise à Tokyo", eine elektronisierte Gegenüberstellung der idyllischen Vergangenheit und einer erträumten Reise ins neonschimmernde Japan, beschwört noch einmal die Mittneunziger herauf, als es kurzfristig die hippste Sache der Welt schien, Songs durch Bond-Gitarren und 60ies-Samples wie Soundtracks zu Agentenfilmen klingen zu lassen. - Weiteres sei der Selbstentdeckung überlassen; wird bei insgesamt 21 Nummern (Doppel-CD!) plus Hidden Track nicht allzu schwierig sein.

... und noch einmal sei's gesagt: fraglos eine der Platten des Jahres. (Josefson)