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Seit 1. Jänner müssen die portugiesischen Gastronomen für alle Leistungen Rechnungen ausstellen. Sie stöhnen unter der erhöhten Mehrwertsteuer.

Foto: ap/Karel Prinsloo

Eigentlich ist das Essen in einem kleinen Restaurant Teil der portugiesischen Kultur, derzeit ist in vielen Lokalen des Landes aber nicht viel los. Lokalaugenschein des Deutschlandradios in einem Lissaboner Restaurant um die Mittagszeit: Elf Tische, besetzt sind nur zwei. "Wir haben fast keine Gäste mehr", erklärt die Köchin. Früher haben man einen Tisch reservieren müssen, sagt ein Stammgast, heute könne man ihn sich aussuchen. "Wir haben jetzt viertel vor eins. Und das ist der erste Teller Bohneneintopf, den ich an den Tisch bringe", erklärt auch Wirtin Filomena, die alle Tante Mena nennen, dem Radio, "sonst wären es bereits zehn oder zwölf gewesen", denkt sie an früher.

Steuererhöhungen belasten

Probleme hat die Gastronomie hier schon länger. Mena beobachte schon seit Jahren, dass ihre Gäste weniger werden, berichtet das Radio. "Bisher haben wir noch jede Krise gemeistert, aber jetzt steht uns das Wasser bis zum Hals", erklärt sie. Was sich die Regierung dabei gedacht habe, fragt sie sich: "Wollen die die ganzen Restaurants in die Pleite zwingen? Wenn sie die Steuererhöhung wieder rückgängig machen würden, dann schaffen wir es vielleicht."

Die Regierung hat die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent angehoben, zuvor wurden für Gaststätten nur 13 Prozent fällig. Dennoch werde das Land drei Milliarden Euro weniger an Steuern einnehmen als veranschlagt, berichteten portugiesische Medien im August. Unter anderem dafür verantwortlich ist der stark zurückgegangene Konsum. Auch private Haushalte leiden nämlich immer mehr unter der schlechten Wirtschaftslage. 2008 hätten rund 800 überschuldete Familien Insolvenz beantragt, 2012 seien es mehr als 12.400 gewesen, schreibt die portugiesische Zeitung "Publico". Insgesamt seien die Insolvenzen - private und geschäftliche - im vergangenen Jahr um 62 Prozent gestiegen. Vergleiche man die Zahlen mit dem Jahr 2010, sei es sogar ein Plus von 174 Prozent, so die Zeitung.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit

Was Wirtin Tante Mena betrifft, sind Familie und Betrieb eins. An der Kasse des Lokals steht ihr Mann Antonio. "Ich mach das alles nur wegen meines Sohnes. Der arbeitet auch hier. Mein Sohn hat keine Ausbildung und kein Studium. Was soll er denn später machen, wenn wir den Laden schließen?", sagt er dem Deutschlandradio. Schon jetzt sind rund 820.000 Menschen im ärmsten Land Westeuropas auf Jobsuche, am stärksten sind die Jungen davon betroffen. Gut 39 Prozent der 15- bis 34-jährigen Portugiesen hatten im Oktober keine Arbeit.

Ihre Jobsuche führt die Protugiesen vermehrt auch ins Ausland, auch Hochschulabsolventen versuchen hier ihr Glück. Im vergangenen Jahr sollen mehr als 150.000 Portugiesen ihr Land verlassen haben, berichtet die Wochenzeitung "Die Zeit". Noch angespannter als am Tejo ist die Lage nur in Spanien und in Griechenland. Ex-Finanzministerin Manuela Ferreira Leite kritisiert die portugiesische Regierung. Diese halte an Rezepten fest, die nicht funktionieren. "Sie zerstört das Land", zitiert "Die Zeit" die Sozialdemokratin.

IWF fordert weitere Einschnitte

IWF-Chefin Christine Lagarde dagegen lobt die Portugiesen als "äußerst mutig und entschlossen". Die Reformen seien "auf Kurs", über die hohe Arbeitslosigkeit zeigt aber auch sie sich "sehr beunruhigt". Dennoch, der Internationale Währungsfonds fordert weitere Einschnitte: Knapp 50.000 Lehrer- und Universitätsprofessorenstellen sollen gestrichen und Pensionen gekürzt werden, um das Budgetziel zu erreichen.

2011 hatte Portugal ein 78-Milliarden-Euro-Hilfspaket erhalten. Im Gegenzug sollte das Land seine Wirtschaft innerhalb von nur drei Jahren sanieren. Ohne Einsparungen geht das nicht. Noch härter will Premier Passos Coelho aber nicht mehr sparen. Auch Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva äußerte in seiner Neujahrsansprache Zweifel daran, ob es gerecht sei, weitere Opfer zu fordern. Jetzt ist der Verfassungsgerichtshof am Zug. Er soll den Budgetentwurf prüfen.

Rechnungen seit 1. Jänner verpflichtend

Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dafür dürfte auch der Druck von der Straße gesorgt haben. Die lange Zeit für ihre Opferbereitschaft gelobten Portugiesen wehren sich. Viele können sich ihren Lebensstil - dazu gehören auch Restaurantbesuche - nicht mehr leisten. "Essen, sechs Euro" stehe auf dem Bon, den Antonio den wenigen Gästen gibt, die ihm noch geblieben sind, berichtet das Deutschlandradio. Mehr nicht. Würde er Hauptgericht, Nachtisch, Getränk und Kaffee einzeln auflisten, käme er auf über acht Euro, erklärt der Gastronom: "Es wird uns vorgeworfen, dass wir Steuern hinterziehen. Und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, das sei nicht wahr. Natürlich kommt nicht alles in die Abrechnung."

Bei den geringen Gewinnmargen, mit denen er arbeite, sei es anders auch gar nicht möglich. Sonst hätten er und auch andere schon lange schließen müssen, erklärt er dem Radio. "Und warum arbeiten wir mit so günstigen Preisen?", fragt er weiter. Die Antwort gibt Antonio sich selbst: "Weil sonst überhaupt keine Gäste mehr kommen würden. Ist das dann nicht auch für den Staat das kleinere Übel, wenn wir so zumindest noch ein paar Arbeitsplätze erhalten können?" Nein, meint die Regierung: Seit 1. Jänner muss jedes Restaurant immer eine Rechnung ausgeben. So könnten Steuerlücken geschlossen werden, hoffen die Behörden - und wohl auch einige Restaurants, vermutet das Deutschlandradio. (APA/part, derStandard.at, 18.1.2013)