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Seit Herbst 2005 laufen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Frankreichs früherer Präsident Sarkozy hat fünf Kapitel blockiert. Das sollte sich nun ändern.

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Istanbul/Nikosia - Fünf Kapitel waren das Ziel. Oder wenigstens eines, der Symbolik halber. Die türkische Regierung und ihr Chef Tayyip Erdogan haben auf einen schnellen Frühling mit Paris gehofft. Frankreichs Staatspräsident François Hollande - so die Erwartung in Ankara - sollte die Blockade der Verhandlungskapitel im EU-Beitrittsprozess fallen lassen, die sein Vorgänger Nicolas Sarkozy 2007 als erste Amtshandlung gegen die Türkei verhängt hatte. Jetzt wird wohl noch ein bisschen mehr Zeit ins Land gehen. Erdogan griff Hollande im Zusammenhang mit den Morden an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris an.

Zumindest zwei der ermordeten Frauen gehörten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an. Die dritte kannte Hollande persönlich, wie der Staatschef erschüttert bekanntgab: Fidan Dogan leitete das Kurdische Informationszentrum in Paris. Die türkische Regierung gibt sich empört.

"Wie kann man sich regelmäßig mit Mitgliedern einer Organisation treffen, die von der EU als Terrorgruppe eingestuft wird und die von Interpol gesucht werden? Welche Art von Politik ist das?", polterte der türkische Premier am vergangenen Wochenende bei einem öffentlichen Auftritt los und vergaß zu erwähnen: Es ist auch seine Politik. Schließlich trifft sich der türkische Geheimdienst auf Anweisung von Erdogan mit PKK-Vertretern, um Möglichkeiten für eine Lösung der Kurdenfrage auszuloten.

Die Krise um das französische Gesetz gegen die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern liegt noch nicht allzu lange zurück. Die neuerliche Verstimmung zwischen der Türkei und Frankreich macht nun eine baldige Aufhebung der von Paris blockierten Kapitel, darunter Regional-, Wirtschafts- und Währungspolitik, wenig wahrscheinlich. Der Élysée-Palast brauchte einen würdigen Anlass für diese Kurskorrektur.

EU-Beitritt ist wieder Thema

Dabei stehen die Zeichen durchaus auf Tauwetter: Nach dem Boykott der zypriotischen EU-Ratspräsidentschaft setzt Ankara auf Fortschritte in diesem ersten Halbjahr unter irischem Vorsitz. Dass Frankreich bei einem EU-Außenministertreffen im Vormonat erstmals wieder den Begriff "Beitritt" im Zusammenhang mit der Türkei ins Protokoll nehmen ließ, wurde in Ankara mit Zufriedenheit vermerkt.

Es habe die EU-skeptisch gewordene Stimmung in der türkischen Bevölkerung verändert, glaubt Ayhan Kaya, Direktor des Europa-Instituts an der Bilgi-Universität in Istanbul. Mit Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe gebe die regierende AKP dem EU-Beitritt gleichwohl keine Priorität, sagte Kaya zum STANDARD. "Wir betteln nicht um die Mitgliedschaft", erklärte Außenminister Ahmet Davutoglu dieser Tage stolz.

Ankara glaubt an seine starke Stellung. In Energiefragen etwa tritt die EU durchaus auch als Bittsteller auf. So ist für Donnerstag das erste Treffen einer Arbeitsgruppe von EU-Kommission und türkischer Regierung in Ankara geplant. Es geht um Pipelines und den Strommarkt, auch wenn das Verhandlungskapitel Energie gar nicht offen ist. Das blockiert wiederum Zypern. (Markus Bernath, DER STANDARD, 15.1.2013)