Nach mehrjährigen Auseinandersetzungen ist die Regierungskoalition von SPÖ und ÖVP auf einen Kompromiss zur Wiedereinführung von Studiengebühren gekommen. Die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Übereinkunft war das Thema einer Diskussion von Wissenschaftsminister Töchterle, Nationalbank-Präsident Raidl, TU-Graz-Rektor Kainz, dem ÖH-Bundesvorsitzenden Schott und mir als hochschulpolitisch interessiertem Soziologen.

Von uns war keiner mit der neuen Regelung zufrieden: Studierende aus Ländern der Europäischen Union brauchen keine Gebühren zu zahlen, solange sie sich in gewissen Toleranzgrenzen nach vorgeschriebener Dauer ausbilden lassen. Doch "Langzeitstudierende" und Studierende aus anderen industriell entwickelten Ländern haben Beiträge in unterschiedlicher Höhe zu leisten. In einer Aufzeichnung der Diskussion für die Fernsehsendung "Österreichs Universitäten. Studium - Großer Wert - kleiner Preis?" (14. Jänner, 19.30 Uhr, BR-alpha Österreich) wurden sowohl einsehbare als auch überholte und unüberlegte Argumente vorgebracht.

Bildung und Wissen werden zu Waren

Einsehbar ist, dass Rektoren der Universitäten mit dem Kompromiss nicht zufrieden sind, da von Jahr zu Jahr mehr Studierende an die hohen Schulen kamen. Zwar wurde auch das staatliche Hochschulbudget laufend erhöht, aber erhebliche Aufwendungen für Umstrukturierungen der Organisationen kamen hinzu. Da ist zum einen die Ausrichtung der Universitäten nach dem privatwirtschaftlichen Muster von Unternehmen zu nennen ("New Public Management"), was den Aufbau bisher unbekannter administrativer Positionen verlangte. Ebenso erfordert die Umstellung der Studien nach dem dreistufigen Bologna-Modell (Bachelor, Master, PhD) weit mehr Aufwand sowohl an Lehrenden als auch für Lehrende, da aus den ehemaligen relativ freizügig gestaltbaren Studien regulierte ("verschulte") Ausbildung wurde.

So ist es einsehbar, dass Rektoren für allgemeine Studiengebühren sind und nach zusätzlichen finanziellen Unterstützungen von privater Seite streben: von Betrieben und ihren ehemaligen Studierenden ("Fundraising"). Doch damit wurde das Tor zur Kommerzialisierung der Universitäten geöffnet: Bildung und Wissen werden zu Waren, statt um Erkenntnis geht es mehr und mehr um Geld. Aber es ist nicht die gesellschaftliche Aufgabe von Universitäten, nach finanziellen Zuwendungen zu streben, sondern nach Vertiefung des Wissens durch Forschung und Vermittlung des Wissens in der Gemeinschaft von Lehrenden und Studierenden.

Gesellschaftliche Veränderungen lassen alte Argumente blass aussehen

Überholt ist das Argument - wenn es überhaupt jemals richtig war -, dass die Studierenden später überdurchschnittliche Einkommen beziehen würden und deshalb etwas zu ihrer Ausbildung beitragen sollten. Wenn Hochschulabsolventen wirklich einmal viel verdienen könnten, verfallen sie genauso wie nichtakademische Vielverdiener der progressiven Einkommensteuer. Doch in der Regel sieht die Lage heute anders aus. Viele von ihnen sind in unsicheren Arbeitsverhältnissen oder gar erwerbslos; so stieg die akademische Arbeitslosigkeit in Österreich vom Dezember 2011 zum Dezember 2012 um elf Prozent.

Gegenrechnen müsste man, worauf die weltweit agierende Wirtschaftsorganisation OECD in ihrem letzten Bericht "Bildung auf einen Blick 2012" hinwies: Der Staat habe im Jahr 2008 Gesamtkosten von 49.500 Euro und einen Gesamtnutzen von 181.600 Euro von einem "Abschluss im Tertiärbereich" gehabt; die Ertragsrate betrage 8,8 Prozent (S. 214).

Übersehen wird überdies traditionell der Aufwand von Studierenden und deren Familien an Lebenshaltungskosten, entgangenem Einkommen und Lebenszeit. Früher war das nicht erwähnenswert, weil einerseits die Studierenden aus eher vermögenden Elternhäusern kamen und andererseits das Studium eine durchaus erfreuliche Phase vor dem - wie es hieß - "Ernst des Lebens" sein konnte. Doch heute herrscht Ausbildung unter Prüfungsdruck ("Verschulung") für den Arbeitsmarkt nach dem Bologna-Modell ("Employability") vor. So gab Wirtschaftskammer-Präsident Leitl die Losung aus: "Mit dem Bachelor beginnt ein neues Zeitalter maßgeschneiderter Hochschulstudien - die konkreten Bedürfnisse der Wirtschaft sind dabei der zentrale Ausgangspunkt."

Und schließlich muss als unüberlegt gelten, das wissenschaftliche Studium als ein lediglich persönliches Interesse anzusehen. Was wäre unser Leben ohne Ärzte, Lehrer, Anwälte oder Forscher? Wie sollte die Wirtschaft in weltweiter Konkurrenz bestehen, wenn es keine diplomierten Techniker und Kaufleute, Manager, Naturwissenschaftler oder Diplomaten gäbe? Wissenschaftlich qualifizierte Professionen sind offensichtlich für die Aufrechterhaltung des gewohnten Lebens der Allgemeinheit unabdingbar geworden.

Schlussfolgerung: Bisher sind weder der Kompromiss noch die Einwände zielführend, weil viele Aspekte unberücksichtigt geblieben sind. Aufwand und Ertrag der Studien für die Studierenden, für die Universitäten und für die Allgemeinheit müssten im Zusammenhang mit dem Hochschulzugang und der international geforderten "Reform der Universitätsreform" diskutiert werden, um zu längerfristig verantwortbaren Lösungen zu kommen. Freilich ist dazu gegenwärtig keine Bereitschaft zu erkennen, weil das Denken in Geld alles andere Denken beeinträchtigt. (Paul Kellermann, derStandard.at, 14.1.2013)