Politische Bühne im Burgtheater: Benita Ferrero-Waldner, Klaus Hänsch, Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, Jean Ziegler und Roland Berger debattierten am Sonntag über die Rolle der EU in der Welt (von links).

Foto: Standard/Matthias Cremer

Großer Andrang in der Burg. Auf der Bühne debattieren Benita Ferrero-Waldner...

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... Klaus Hänsch ...

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... Jean Ziegler ...

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...und Roland Berger über Europa.

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Hat die EU nun eine Außenpolitik oder nicht? Und wie soll die Union sich positionieren gegenüber anderen Mächten in einer multipolaren Welt? Dazu kam am Sonntag eine renommierte Runde im Burgtheater bei der "Europa im Diskurs"-Matinee zur Sache.

Es war großes Debattentheater, das die 730 Besucher bei "Europa im Diskurs" geboten bekamen: Manchmal war ein wenig Slapstick dabei, Schweizer Slapstick noch dazu. Aber immer blieb die mit Nachdruck geführte Auseinandersetzung inhaltlich hochstehend und getragen von dem hierorts eher unüblichen Bemühen, ehrlich und ohne durchsichtige Parteilichkeit zu erörtern, welche Rolle Europa denn nun tatsächlich in der Welt spielt - und darüber hinaus spielen sollte.

Auf Einladung der Erste Stiftung, des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen und des Standard war eine sachkundige Runde zu der Matinee erschienen: die frühere EU-Kommissarin und Ex-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, der deutsche Unternehmensberater Roland Berger, der ehemalige Präsident des Europaparlamentes Klaus Hänsch und der Genfer Globalisierungskritiker Jean Ziegler traten am Sonntag auf die Bühne des gastgebenden Wiener Burgtheaters und fanden auch gleich alle in ihre Rolle.

"Besser wahrgenommen"

Berger, ganz nüchtern kalkulierender Zahlenmann, führte Daten als Beleg für die Bedeutung Europas an: Die EU halte derzeit bei 25 Prozent Anteil an der Weltwirtschaftsleistung, wickle 34 Prozent des Welthandels ab und lege 42 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen pro Jahr aus. Vor allem aufstrebende asiatische Mächte sähen Europa als Bezugspunkt für ihre Entwicklung an. "Wir werden von außen als besser wahrgenommen, als wir uns selber sehen."

Ziegler konterte umgehend und mit gewohnter Verve: Obwohl es objektiv keinen Mangel auf der Welt gebe und leicht zwölf Milliarden Menschen ernährt werden könnten, sterbe alle fünf Sekunden ein Kind: "Ein Kind, das jetzt an Hunger stirbt, wird ermordet. Und jetzt Europa: Europa ist nicht nur eine wirtschaftliche Großmacht, es muss auch eine moralische Großmacht sein." Immerhin seien die Menschenrechte hier begründet worden - es gebe eine Entwicklungslinie von Jean-Jacques Rousseaus Gesellschaftsvertrag ("Er war auch aus Genf, aber sie haben ihn davongejagt, sobald er zu schreiben begonnen hat") über dessen Schüler Benjamin Franklin und die US-Unabhängigkeitserklärung, die französische Revolution bis zur allgemeinen Deklaration der Menschenrechte 1948.

Die EU stehe nicht nur deswegen moralisch in der Verantwortung - "aber wegen der doppelzüngigen europäischen Opposition etwa gegen eine UN-Resolution über das Lager Guantánamo ist die Glaubwürdigkeit Europas in den 122 Entwicklungsländern am Boden. Es ist ein permanenter Verrat der Europäer an den Menschenrechten, sie zerstören sie."

"Wir sollen reden über Europa, wir dürfen es aber nicht kleinreden", warf Berger ein. "Wir haben seit 70 Jahren Frieden, jeder kann sich frei entwickeln. Das ist eine beispiellose politisch-zivilisatorische Leistung, die uns bisher niemand nachgemacht hat." Europas Beitrag in der Welt sei bemerkenswert - durch seine Unternehmen in einer globalisierten Wirtschaft und durch substanzielle Entwicklungshilfe. "Tun wir doch nicht so, als ob Europa die Summe allen Übels wäre. Vielmehr sind die Leistungen der Vergangenheit der Grund dafür, dass Europa moralisch besser dasteht als je zuvor."

Ziegler: "Es geht doch nicht darum, mehr zu geben, sondern weniger zu nehmen! Die Nahrungsmittelpreise sind explodiert, weil Hedgefonds damit spekulieren. 1,2 Milliarden Menschen leiden darunter. In den Kanisterstädten der Welt sterben die Menschen an diesen hohen Preisen." Berger: "Wegen der Nahrungsmittelpreise verhungert niemand. Das Hauptproblem ist die Logistik zu deren Verteilung. Ich bin kein Anhänger des diktatorischen Kommunismus in China, aber dort verhungert niemand mehr, weil Peking das gelöst hat. Die Globalisierung hilft uns vielmehr, den Hunger zu beseitigen."

"Zu welchem Preis?!"

"Zu welchem Preis?! Zu welchem Preis?!", schallte es aufgebracht aus dem Publikum. "Mit Geschrei werden sie die Probleme der Welt nicht lösen. Da helfen nur Fakten", erwiderte Berger.

Es war an Benita Ferrero-Waldner und Klaus Hänsch, die Debatte mit Europa-institutionell geschärftem Blick aus den Höhen moralischer Erbostheit auf die Mühen der Ebene des täglichen Kompromisses in Brüssel zurückzuführen. Zieglers Klage, dass es keine EU-Außenpolitik gebe ("Baroness Ashton, von der hört man nix, aber es gibt sie!"), entgegnete Ferrero-Waldner: "Die EU ist kein Zentralstaat. Die Souveränität der Nationalstaaten ist noch da, und eines von deren wesentlichen Instrumenten ist eben die Außenpolitik. Derzeit erleben wir eine Übergangsphase. Der europäische auswärtige Dienst wurde geschaffen und funktioniert sehr gut. Es wird viel in der Politik gegenüber Drittstaaten koordiniert. Aber ich würde mir wünschen, dass in der EU-Außenpolitik mit qualifizierten Mehrheiten entschieden würde. Das wäre ein Riesensprung."

Hänsch, 1979 ein EU-Parlamentarier der ersten Stunde, warf ein, dass es heute vertraglich viel mehr Möglichkeiten für eine aktive europäische Politik gebe, als ausgeschöpft würden. "Wir haben zudem doch auch gemeinsame europäische Interessen. Bei der Energieversorgung oder im Schutz vor militärischer Erpressung. Dass eine EU-Außenpolitik nicht zustande kommt, ist dem Mangel an politischem Willen in den einzelnen Mitgliedsstaaten geschuldet. In Berlin, in Paris, in London - aber natürlich nicht in Wien", wie der Deutsche mit einem Lächeln anfügt. Aber immerhin: Es habe bereits gezählte 23 Interventionen der EU im Ausland gegeben.

Da klang an, dass die EU neben ihrer großen "Soft Power" durch Wirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit doch auch ein wenig militärische "Hard Power" benötigt. Aber, so Hänsch: "Wir sollten nicht glauben, dass die EU eine Kopie der USA werden kann. Wir wollen und werden keine militärische Weltmacht werden. Vielmehr bieten wir den Völkern der Welt eine Kooperationsoption an, die eben nicht USA, Russland oder China heißt."

"Nicht auseinanderlaufen"

"Und wo wird die EU in 20 Jahren stehen?", fragte Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid zum Schluss. Bis dahin muss laut Ziegler die Macht der Konzerne gebrochen sein, sonst gehe die Demokratie vor die Hunde. Alle anderen waren sich einig, dass die EU diese und auch eine nächste Krise überwunden haben werde. Hänsch: "Wir werden stolz sein, dass wir heute nicht auseinandergelaufen sind." (Christoph Prantner /DER STANDARD, 14.1.2013)