Hans Staudacher: Vorstellungskünstler, seismografischer Kritzler, hellwacher Geist, Küsserkönig.

Foto: Schöndoifer/Toppress

Wien - "Ich tu alles ohne Nerven, weil sonst ging's mir auf die Nerven. Und mit wenig Hirn - auch da hab ich nicht mehr so viel wie früher": Den Rummel um seinen Geburtstag, Interviews, Signierstunden und Feierlichkeiten inklusive Bürgermeister zur Jubiläumsausstellungseröffnung quittierte Hans Staudacher mit dem ihm eigenen lakonischen Humor.

Dass keine öffentliche Institution, weder Belvedere noch Albertina oder Mumok, auch nicht das Museum Moderner Kunst in Klagenfurt, den gebürtigen Kärntner als einen der wichtigsten Nachkriegskünstler mit einer Retrospektive würdigt, sagt übrigens viel über die Verfasstheit hiesiger Museen aus. Staudacher passt nicht in den zeitgeistigen Mainstream, sein lyrisches Informel nicht auf den Laufsteg hipper Kunstmodeschauen.

90 Jahre gegen den Strom heißt denn auch die aktuelle Ausstellung in der Wiener Galerie Hilger, treffender Titel für den Küsserkönig unter den österreichischen Künstlern. "Bussi" hat der Meister der informellen Malerei nicht nur einmal in seine rasch hingeworfenen Farbwogen und -striche und -kringel geschrieben; mit Wangenküssen, links, rechts, links, begrüßt er Freunde, Bekannte, Galeristen, Sammler. Neben Wortverdrehungen und schlagfertigen Sprachspielereien ist heitere Freundlichkeit eines seiner hervorstechendsten Wesensmerkmale. Nie ein missgünstiges Wort über Künstlerkollegen: Das ist, gerade in Wien, ziemlich selten. Ein harmloser Gute-Laune-Maler ist er allerdings nicht, nie gewesen. "Braune Mörder" pinselte er etwa 1968 in gräuliche Farbschlieren.

"Malen", sagt er, "war immer meine Möglichkeit, mich auszudrücken." Schon in der Volksschule in Villach kritzelte der Eisenbahnersohn aus St. Urban am Ossiacher See das Pult voll. "Er hatte", konstatierte der ehemalige Museumsdirektor Peter Baum, "von Kindheit an künstlerischen Handlungsbedarf."

Vor allem Jahrhundertwendemaler und der Nötscher Kreis faszinierten den jungen Künstler. Er besuchte die Malschule von Arnold Clementschitsch, übersiedelte von Kärnten nach Wien, lebte immer wieder in Paris. Wurde zu jenem unverwechselbaren "seismografischen Kritzler", der nicht nach der Natur, sondern aus der Vorstellung malte. Obwohl: "Die Natur ist in einem drinnen, die kann man ja nicht wegdenken. Aber das Naturalistische hat mich nie gereizt." 1956 vertrat der "Vorstellungskünstler" Österreich auf der Venedig-Biennale. Hielt sich und die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Erst mit sechzig, erinnert sich Uschi, die eigentlich Hannelore heißt und seit 54 Jahren die Frau an seiner Seite ist, habe man nicht mehr jeden Groschen umdrehen müssen.

Charmante Koketterie

Schicht auf Schicht häufte der ob seiner Arbeitsweise "schneller Hans" genannte Künstler Kringel, Striche, Flecken, Wortfetzen, Namen, Orte. " Aber es gab immer Tage, Wochen - Pausen der Vernunft. Wenn ich über alles immer gleich drübergemalt hätte, wäre es nur eine Schmierage geworden." Vor allem die Farbe, die er direkt aus der Tube auf die Leinwand drückte, brauchte Zeit zu trocknen. Außerdem war sie teuer, " das schöne Kadmiumrot konnte ich mir kaum leisten und nur einen Strich ziehen oder damit signieren. Damals verdiente ich nichts, niemand kaufte die Bilder. Heute könnte ich mir alle Farben leisten, aber ich habe nicht mehr die Kraft in den Fingern, um die Farbe aus der Tube zu drücken."

Auch die Sehkraft hat nachgelassen, schon seit längerem malt und zeichnet er nicht mehr: "Sonst würde das letzte Bild heißen: 'Staudacher klebt im Bild', weil ich nicht mehr hochkomme." Langweilig ist ihm nicht: "Ich muss alles, was ich gemacht habe, in Mappen ordnen und draufschreiben, was drin ist. Sonst weiß ich ja fünf Minuten später nicht mehr, was ich hineingetan habe. So ist das nämlich im Alter: Wenn man mich viel fragt, weiß ich oft nicht einmal mehr, wie ich heiße. Wenn ich mit meiner Frau im Auto fahre und es steht 'Achtung Stau', weiß ich wenigstens die erste Silbe meines Namens."

Es ist die charmante Koketterie eines hellwachen Geistes, Hans Staudacher lächelt verschmitzt: "Der Heesters konnte noch singen, als er neunzig wurde, und wurde dafür bezahlt. Ich muss signieren und krieg nix dafür, weil das Finanzamt alles wegnimmt. Singen könnt ich - wie's bei der Mafia heißt: Wer singt, muss sterben." (Andrea Schurian/DER STANDARD, 14. 1. 2013)