"Ich glaube, dass Sozialdemokraten und christlich-soziale Menschen in Europa ein ähnliches Bild haben, wie in der nächsten und übernächsten Generation Europa aussehen sollte. Da spielen Wertehaltungen einfach eine große Rolle für uns, egal ob man das Solidarität oder Nächstenliebe nennt."

Foto: Der Standard/Cremer

"Ich will es gar nicht erst darauf ankommen lassen, dass man Grenzzäune wieder hochziehen muss, nachdem man in Europa sehr froh war, dass man diese niedergerissen hat. Das ist eine so vorrangige Frage, dass alle anderen Fragen zurücktreten."

Cremers Photoblog: Beim Bundeskanzler im Büro

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Die Debatte über Europa und die Eurohilfen wird laut Bundeskanzler Werner Faymann das Hauptthema im Wahlkampf für die Nationalratswahlen im Herbst werden. "Diese Auseinandersetzung muss man zentral und frontal führen", sagt er im Interview mit dem STANDARD, bei dem er die FPÖ und deren Parteichef als "Hetzer" gegen die Union bezeichnet. "Man darf nicht einen Meter zurückweichen. Kaum geht man einen Meter zurück, hat man gegen einen Hetzer schon verloren", sagte Faymann im Gespräch mit Europaredakteur Thomas Mayer in Wien.

Es sei Straches "Lieblingsbeschäftigung", die Politik pauschal für die Krise verantwortlich zu machen, ohne selber konstruktive Lösungen anbieten zu können. Die FPÖ-Idee, wonach Österreich mit Deutschland die Währungsunion verlassen sollte, um einen "Nordeuro" zu schaffen, werde von keiner einzigen Partei in Deutschland unterstützt. Das Konzept sei völlig widersinnig.

Er habe zwar Sorge, dass in Österreich beim Thema EU "ein Nährboden für Hetzer" vorhanden sei, sei aber gleichzeitig überzeugt davon, dass man der Bevölkerung, die ein gutes Gespür habe, klarmachen könne, dass es um eine wesentliche Frage für die Zukunft des ganzen Landes, "vorrangig vor allen anderen Fragen", gehe. Der Kanzler will sich gegen jeden Versuch stemmen, die Union wieder zu zerschlagen. Europa müsse in der Krise im Gegenteil beweisen, dass es in der Lage ist, eine Verschärfung der sozialen Gegensätze zu verhindern. 

Der Kanzler bekennt sich in dem Gespräch so deutlich wie nie zuvor zu seiner "sich entwickelnden Haltung" als Proeuropäer. Er sieht sich europapolitisch nun ohne Einschränkung in der Tradition seines Vorgängers Franz Vranitzy, als Großkoalitionär, der sich für stärke Integration in Europa einsetzt. Als seinen "persönlich und inhaltlich wichtigsten Partner" nennt er Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, auch wenn dieser ein Konservativer sei. Faymann: "Ich glaube, dass Sozialdemokraten und christlich-soziale Menschen in Europa ein ähnliches Bild haben, wie Europa in der nächsten oder übernächsten Generation aussehen sollte."

Anlass des Gesprächs war die Einladung des Europäischen Parlaments an den österreichischen Regierungschef, am kommenden Dienstag im Plenum in Straßburg eine Rede zur Zukunft Europas zu halten und sich einer Diskussion zu stellen. Solche Einladungen an nationale Regierungen sind sehr selten, normalerweise EU-Vorsitzenden und Staatsoberhäuptern von Drittstaaten vorbehalten.

Dabei wird sich der Kanzler für eine engere Zusammenarbeit von Regierungschefs im Rat und dem Parlament aussprechen. Um die hoch verschuldeten Länder im Süden zu entlasten, solle es einen Schuldentilgungsfonds geben, wie ihn die deutschen Wirtschaftsweisen vorschlugen. Damit könnten Schulden ohne Vergemeinschaftung, aber mit niedrigeren Zinsen besser gemanagt werden, sagt Faymann.

Er spricht ausführlich darüber, wie es hinter den Kulissen von Europäischen Räten zugeht. Mit der deutschen Angela Merkel verbinde ihn "ein besonderes Vertrauensverhältnis". Überraschend nüchtern äußert er sich zu seinem Parteifreund, Frankreichs Präsident Francois Hollande, der bisher nicht die erhofften Initiativen für Europa gesetzt habe. Am meisten Probleme habe er mit dem Briten David Cameron, zu dem er persönlich kein Vertrauensverhältnis habe. Der britische Premier rede im Rat anders als wenn er zu Hause über Europa spreche, was ein Problem darstelle.
Direkt spricht sich der Kanzler als erster EU-Regierungschef öffentlich dafür aus, dass Parlamentspräsident Martin Schulz nach den EU-wahlen 2014 nächster Präsident der EU-Kommission werden solle. Schulz habe "leidenschaftliche Debatten" für mehr und für ein sozialeres Europa in den Kreis der Regierungschefs gebracht: "Es wäre eine gute Entscheidung. Ich bin dafür", sagte Faymann, Schulz spiele eine derart aktive Rolle, dass man ihn sich gut als Nachfolger José Manuel Barrosos vorstellen kann. Mehr Initiative würde der Kommission in Zukunft nicht schaden.

STANDARD: Herr Bundeskanzler, fühlen Sie sich eigentlich eher geschmeichelt oder geehrt?

Faymann: Wobei jetzt, in welchem Zusammenhang?

STANDARD: Von der Einladung des Europäischen Parlaments, vor dem Plenum über die Zukunft Europas zu sprechen. Es passiert nur sehr, sehr selten, dass der Regierungschef eines EU-Mitgliedslandes diese Gelegenheit bekommt.

Faymann: Also das freut mich. Ich vertrete seit vielen Jahren die Auffassung, dass diese Institution insbesondere dann einen Sinn hat, wenn man sie respektiert und ernst nimmt. Ich glaube, dass man an den demokratischen Strukturen in Europa noch viel verbessern muss, dazu gehört auch das Europäische Parlament ganz wesentlich.

STANDARD: Vor Ihnen waren nur Kanzlerin Angela Merkel, Ungarns Premier Orban wegen angeprangerter Demokratieverstöße und Jean-Claude Juncker als Eurogruppenchef zu einer solchen persönlichen Aussprache geladen. Sonst dürfen an sich nur EU-Vorsitzende und Staatsoberhäupter von Drittstaaten im EU-Parlamentsplenum sprechen. Warum Sie?

Faymann: Ich habe gute Beziehungen zum Parlament und einen ganz besonders guten Zugang zum Präsidenten des Parlaments ...

STANDARD: Martin Schulz aus Deutschland, ein Sozialdemokrat ...

Faymann: So etwas beruht auch immer auf Gegenseitigkeit. Ein Grund liegt sicher darin, dass man einander respektiert, ein gutes Verhältnis zueinander hat. Es geht vor allem aber auch darum, dass beide Seiten, also einige Kollegen im Europäischen Rat und andere im Europäischen Parlament, sehr daran interessiert sind, dass die beiden EU-Institutionen enger zusammenarbeiten sollen. Ich beteilige mich zum Beispiel immer rege, wenn der Präsident des Parlaments bei den Diskussionen auf den EU-Gipfeln im Rat den Anfang macht. Das hatte Tradition, war aber vor Schulz nur ein Ritual.

STANDARD: Hintergrund der Einladung an Sie als Regierungschef ist aber offenbar, dass das Europaparlament sich oft übergangen sieht, mehr Licht in die Tagungen der Staats- und Regierungschefs bringen möchte. Die Gipfel finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mit welcher Art von Test rechnen Sie?

Faymann: Auf kritische Fragen stelle ich mich in einem Parlament immer ein, schon durch die unterschiedlichen Fraktionen und durch die Unterschiede der Länder, aus denen die Abgeordneten kommen. Wie immer ist es so, dass die, die sich zu Wort melden, auch kritisch sind. Ich habe nicht die Erwartung, dass ich ausschließlich Dank für die gute Zusammenarbeit höre. Das würde mich auch fast enttäuschen.

STANDARD: Erzählen Sie uns doch jetzt schon ein bisschen, wie es bei EU-Gipfeln hinter verschlossenen Türen so zugeht.

Faymann: Zunächst einmal ist doch ein großer Unterschied zwischen dem formellen Europäischen Rat und den folgenden informellen Gesprächen, die wir bis in die Nacht führen. Da geht es sehr offen zu. Zu meiner Überraschung wird eine Diskussion von einigen nachher nur in Ausnahmefällen auch missverständlich wiedergegeben. Es herrscht so viel Vertraulichkeit, dass man hinterher öffentlich zwar seinen Standpunkt sagt, aber doch darauf verzichtet, in der Interpretation eines anderen sofort einen Vorteil zu ziehen. Auf diese Polemik verzichten in der Regel alle. Und davon gibt es wirklich nur ganz wenige Ausnahmen, wo nachher der eine oder andere versucht, den Sieger zu spielen.

STANDARD: Wie kann ein Bürger sich solche Aussprachen der Regierungschefs konkret vorstellen? Es gibt ja eben nur wenige, 27 Menschen, in Europa, die das erzählen können. Wird da gestritten, auch laut, wenn es zur Sache geht? Wie läuft das?

Faymann: Also eine positive Überraschung für mich ist, dass es dort viel konstruktiver, ja positiver zugeht als in manchen Gremien im eigenen Land. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich nicht in einem andern Land gewählt werde oder Angela Merkel nicht in Österreich. Man kann bei diesen Gesprächen einmal auf alles verzichten, was politisches Kleingeld betrifft oder Polemik gegen den anderen.

STANDARD: Meinen Sie, es geht bei Gipfeln mehr um die Sache, weniger um die Rhetorik?

Faymann: Ja, es geht mehr um die Sache. Dabei kann es aber auch ziemlich hart werden. Wenn jemand etwas besonders Neoliberales möchte und ein anderer will eher den Schutz und die Aufsicht verbessern, da zeigt sich das deutlich.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel schildern?

Faymann: Die Bankenaufsicht ist so eines. Da spürt man klar zwei Strömungen. Die eine sagt: Achtung! Nur nicht den Finanzplatz gefährden im Verhältnis zu Hongkong etwa, was bedeuten würde, man solle alles so belassen, wie es ist. Die andere Richtung sagt, wir mussten so viele Milliarden zur Stabilisierung in der Finanzmarktkrise einsetzen, dass man doch zu Recht verlangen kann, dass jene, die Risiken eingehen, selbst bezahlen sollen, wenn etwas schiefgeht. Das ist ein scharfer inhaltlicher Unterschied.

STANDARD: Was auch auffällt bei ihrer Einladung im EU-Parlament, ist der Umstand, dass sie inzwischen zu den längstdienenden Regierungschefs in der EU gehören. Nicht einmal ein Dutzend der amtierenden Premiers hat die EU-Politik zu Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 und jene am Anfang der Eurohilfsmaßnahmen persönlich mitgestaltet. Spielt das auch eine Rolle, warum Sie plötzlich gefragt werden?

Faymann: Ich nehme positiv wahr, dass wir als Österreicher deshalb anerkannt sind, weil wir dazu stehen, wenn wir etwas sagen. Deshalb war ich auch von Anfang an so entschieden gegen die Taktik der Drohung mit der Vetokeule beim Beginn einer Verhandlung zum Budget.

STANDARD: Sie meinen wohl im November bei den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU, als Außenminister Michael Spindelegger in Wien ein mögliches Veto ins Spiel brachte.

Faymann: Wenn man länger dabei ist, bekommt man ja ein Gefühl und einen Eindruck von den anderen Regierungschefs, und das gilt auch umgekehrt. Es hätte die Leute verwundert, wenn wir da Spielchen ansetzen, von denen wir selbst immer wieder sagen, dass sie zu nichts führen. Daher ist zwischen der harten Front der Budgetverhandlungen in der Sache und taktischen Finessen ein Unterschied zu machen, weil die ja noch dazu von allen Regierungschefs durchschaut werden. Da ist ja kein Anfänger dabei.

STANDARD: Auffällig ist auch, dass insbesondere die Regierungschefs eher zentral gelegener EU-Länder sich im Amt halten, schon länger im Klub der Mächtigen dabei sind. Sie selbst, Merkel, Juncker, Donald Tusk aus Polen zum Beispiel. Aber fast alle Premiers in Südeuropa, auch in den nordischen Staaten wurden seit 2009 abgewählt. Auch in Frankreich und Großbritannien kam es zum politischen Wechsel. Gibt es da diesen festen Kern, schweißt das zusammen, jenseits der Parteipolitik?

Faymann: Persönlich im Umgang habe ich vor allem mit Jean-Claude Juncker ein ausgezeichnetes Verhältnis, auch inhaltlich. Wir stimmen in vielen Dingen überein. Ich bin auch überzeugt davon, dass Jean-Claude in vielen wesentlichen Fragen keine inhaltlichen Differenzen mit mir hat. Mit Angela Merkel verbindet mich ein persönlich sehr gutes Verhältnis, das über die Jahre entstanden ist. Es geht dabei um Berechenbarkeit. Wir telefonieren auch immer wieder miteinander, vor allen wichtigen Situationen, und vor allem rechtzeitig, bevor medialer Wirbel zu einem Thema einsetzt. Es ist eine Vertrauensbasis entstanden. Alles, was wir dabei besprechen, hat der jeweils andere noch nie missbraucht oder eingesetzt. Es ist ein starkes persönliches Verhältnis.

STANDARD: Ist das schon ein informelles Kerneuropa, das Sie da schildern?

Faymann: Da gibt es aber auch starke inhaltliche Unterschiede. Mit Merkel habe ich ein gutes persönliches Verhältnis, innerhalb dessen wir inhaltliche Unterschiede haben. Warum ich mir mit David Cameron schwerer tue, vor allem auch im persönlichen Verhältnis und beim Vertrauen, auch wenn die Umgangsformen immer nett sind, liegt darin, weil ich bei ihm das Gefühl habe, dass für ihn besonders gilt, was wir vorher besprochen haben: Er redet im eigenen Land anders als im Europäischen Rat. Das bringen wir dort aber auch zur Sprache.

STANDARD: Jetzt hätte ich noch eine Frage zu dem, was Sie über sich und Juncker gesagt haben. In Österreich fällt politischen Beobachtern seit längerem stark Ihre verwandelte, oder besser die sich verwandelnde Position zu Europa auf ...

Faymann: Kann man nicht besser sagen, meine sich entwickelnde Position zu Europa, das wäre mir lieber ...

STANDARD: Gerne, obwohl: Wandlungen können ja positiv sein. Juncker ist in Europa seit fast zwanzig Jahren als Premierminister von Luxemburg fast das Paradeexemplar einerseits eines Europäers und Großkoalitionärs, andererseits eines sozial eingestellten Konservativen ...

Faymann: ... und christlich-sozial ...

STANDARD: Was sagt das über Ihre eigene Position? Was ist das Bild, das Sie von sich selbst haben in Bezug auf die Europapolitik?

Faymann: Ich glaube, dass Sozialdemokraten und christlich-soziale Menschen in Europa ein ähnliches Bild haben, wie in der nächsten und übernächsten Generation Europa aussehen sollte. Da spielen Wertehaltungen einfach eine große Rolle für uns, egal ob man das Solidarität oder Nächstenliebe nennt. Wenn das jemandem ganz gleichgültig ist, wenn jemand alles ausschließlich auf materiell-statistische Vergleiche reduziert mit anderen Ländern, die noch dazu oft gar keine Demokratie haben, dann merkt man den Unterschied der Positionen - oder wenn jemand Wettbewerb ausschließlich als ein Herunternivellieren von sozialen Wertehaltungen versteht. Daran können Sie den Unterschied messen in Positionen, wie Juncker und ich sie vertreten, und Positionen der anderen.

STANDARD: Was mich erstaunt, ist, dass Sie den französischen Präsidenten François Hollande noch nicht genannt haben. Der müsste ihnen als Sozialist doch noch näher stehen, nicht?

Faymann: Für mich ist Jean-Claude Juncker deshalb berechenbarer, weil ich ihn länger kenne, weil ich seine aufrechte Haltung, seine gerade Linie dutzende Male erlebt habe. Natürlich bin ich froh, dass ein Sozialdemokrat in Frankreich Präsident ist. Aber gerade bei Hollande ist die Zusammenarbeit noch zu kurz, um jetzt zu sagen: "Ich weiß genau, wie er sich verhalten wird." Aber froh bin ich darüber, dass er Präsident ist, klar.

STANDARD: Hat das auch damit zu tun, dass kleine Länder stärker auf die Gemeinschaft setzen, Frankreich aber im Zweifel auf die eigene Größe und Stärke vertraut?

Faymann: Auch, aber noch stärker ist, dass die europapolitischen Initiativen des Staatspräsidenten zumindest bisher noch nicht so ausgeprägt sind wie die Initiativen eines Jean-Claude Juncker. Der engagiert sich, wenn ein Mitgliedsland in Schwierigkeiten gerät, zu Recht mit aller Kraft für dieses Land, merkbar, spürbar, erlebbar.

STANDARD: Denken Sie dabei an die Eurohilfen für Griechenland, Irland, Portugal?

Faymann: Ja, alles was dazu führt, diese großen sozialen Ungleichheiten, die es in Europa gibt, die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die soziale Ungerechtigkeit nicht noch schärfer zu machen. Da habe ich ihn noch aktiver erlebt als Hollande, obwohl der mit Sicherheit auf der richtigen Seite steht.

STANDARD: Nochmal zu Ihrer persönlichen Entwicklung, das Wort habe ich mir gemerkt ...

Faymann: Danke

STANDARD: ... Sie reden heute zu Europa vernehmbar ganz in der Tradition Ihres Vorgängers Franz Vranitzky. Der hatte eine sehr ähnliche Haltung, wie Sie sie jetzt schildern: überzeugter Großkoalitionär, mitteorientiert, vor allem aber westorientiert, proeuropäisch, integrationsfreundlich. Das war bei Ihnen am Anfang, wenn Sie erlauben, nicht so ganz klar. Heute wundern sich viele und sagen, warum ist der Faymann plötzlich ein so überzeugter Proeuropäer?

Faymann: Das hat mit Verantwortungsbewusstsein zu tun. Wenn man in einer Finanzmarktkrise steht, und aus der Geschichte der 1930er-Jahre gelernt hat, dann hat man zwei Möglichkeiten. Man konzentriert sich auf die kritischen Punkte der Europäischen Union, die es natürlich auch gibt. Oder man konzentriert sich auf die, wie ich sagen würde, wesentlichen Dinge in der Verantwortung.

STANDARD: Was ist das Wesentliche für uns alle?

Faymann: Dazu gehört, ob die Europäische Union für unsere Enkelkinder einmal so vorhanden sein wird wie für uns. Oder, um es anders zu sagen: Werden die griechischen Kinder von heute, wenn sie einmal erwachsen sein werden, den österreichischen Kindern, wenn die später als Erwachsene einmal nach Griechenland auf Urlaub fahren, werden die dann "Ihr habt uns in einer schweren Zeit unterstützt!" sagen? Oder werden die dann sagen: "Ihr habt uns hängen lassen." Da geht es dann nicht um die Finanzmärkte, sondern um die Bürger, die Menschen, und um die Frage: Ist da eine gewisse Feindschaft, oder ist da so etwas wie Zusammengehörigkeit?

STANDARD: Das klingt dramatisch.

Faymann: Genau das entscheidet sich nach meiner Ansicht in den nächsten Jahren. Da ist es nicht möglich zu sagen: Wir sind schon über den Berg. Dieser Prozess wird Jahre in Anspruch nehmen. Das sieht man am Beispiel der deutschen Wiedervereinigung, die auch einen jahrelangen Prozess in Anspruch genommen hat. Denselben langen Atem muss man auch in der Europäischen Union bereit sein zu haben. Ich bin überzeugt davon: Zerstört ist etwas schnell, vielleicht kann mancher sogar eine Wahl damit gewinnen, mit einer schnellen Hasstirade. Aber wenn man an die Zukunft denkt, wenn man an die nächsten Generationen denkt, dann können die vieles von dem, was wir jetzt zerstören würden, gar nicht mehr wiederaufbauen. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun. Wir müssen heute den Willen dazu haben, die Union zu erhalten.

STANDARD: Nun stehen Sie vor zwei Wahlen, zuerst die Nationalratswahlen im Herbst, dann die Europawahlen im Mai 2014. Was bedeutet das? Zweifel am Proeuropäer Faymann wird es nicht mehr geben, wie kämpferisch werden Sie das anlegen? Damit steuern Sie auf eine direkte Konfrontation mit der FPÖ und deren Chef Heinz-Christian Strache zu.

Faymann: Ja. Da werde ich mich ganz klar unterscheiden. Ich bin fest davon überzeugt, man soll der Bevölkerung, die ein gutes Gespür hat, auch deutlich sagen, dass es dabei um eine ganz wesentliche Frage geht. Entwickelt sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa hinauf oder hinunter? Daran schließt die Frage an: Werden die sozialen Gegensätze in Europa so scharf, dass sie auch den Friedensprozess gefährden? Oder nehmen manche solche sozialen Gegensätze sogar bewusst in Kauf, um sie notfalls mit dem Hochziehen von Grenzen und Stacheldraht neu zu ordnen? Ich will es gar nicht erst darauf ankommen lassen, dass man Grenzzäune wieder hochziehen muss, nachdem man in Europa sehr froh war, dass man diese niedergerissen hat. Das ist eine so vorrangige Frage, dass alle anderen Fragen zurücktreten. Man darf nicht in eine Situation kommen, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Das werde ich im Wahlkampf ganz stark zum Ausdruck bringen.

STANDARD: Das klingt wie eine zweite EU-Volksabstimmung.

Faymann: Ich hatte vor kurzem eine Diskussion mit Heinz-Christian Strache. Da hat er wieder einmal auf die Kritik an den Eurohilfen in Deutschland verwiesen. Ich habe ihm gesagt, ich kenne in Deutschland nicht eine Partei, die das vertritt, was die FPÖ in Österreich vertritt. Zu sagen, wir werden mit Deutschland gemeinsam eine Währung bilden und alle anderen rausschmeißen, alle diese Konzepte sind völlig widersinnig. In Deutschland tritt nicht eine Partei zur Wahl an, die das vertritt.

STANDARD: Wird Europa, die Debatte um den Euro und die Hilfen, die zentrale Auseinandersetzung im Wahlkampf werden?

Faymann: Es wird einer der wesentlichen Punkte deshalb sein, weil wir in diesem Jahr 2013 noch stark mit steigender Jugendarbeitslosigkeit, keinem ausreichendem Wachstum konfrontiert werden in Europa. Ich fürchte, dass diese Entwarnungen, die einige geben, nach dem Motto "Die Krise ist vorbei", zu früh sind. Insgesamt haben wir einiges bisher sehr positiv erledigt. Die, die gesagt haben, der Euro wird den Jahreswechsel nicht überleben, haben Unrecht. Aber man soll, wenn eine Gefahr noch nicht vorbei ist, einfach so sagen: Es geht schon. Solange Lawinenwarnstufe 4 ist, befährt man gewisse Hänge nicht.

STANDARD: Die Angst, dass die Stimmung in der Bevölkerung gegen die EU Richtung 50 Prozent kippt, die haben Sie nicht?

Faymann: Die Sorge, dass ein Nährboden für Hetzer vorhanden ist, habe ich natürlich immer. Der Sorge, dass Menschen enttäuscht sind, begegne ich oft in Diskussionen, wenn Menschen mit wenig Einkommen etwa in ihrer Unzufriedenheit sagen: "Schau, wie viele Millionen da und dort zur Rettung Griechenlands ausgegeben werden, wo ist die Politik, die das verhindert?" Es stört die Menschen, dass der Politik die Werkzeuge fehlen, Fehlentwicklungen in Ländern zu verhindern. Manche Politiker nützen das dann aber nicht, um die Ursachen zu bekämpfen, sondern generalisieren das und sagen: Die Politik als Ganzes ist schuld. Das ist die Lieblingsbeschäftigung des Herrn Strache. Der sagt ja nicht, die internationalen Finanzmärkte sind zu wenig reguliert, daher sollen wir uns anstrengen, damit wenigstens Europa als Ganzes auftritt, sondern der tut so, als hätte die Politik in Österreich beschlossen, dass internationale Finanzmärkte eskalieren. Das ist eine bewusst falsche Diagnose, um dann bewusst falsche Therapien anzusetzen.

STANDARD: Und diese Auseinandersetzung wollen Sie im Wahlkampf suchen?

Faymann: Diese Auseinandersetzung muss man zentral und frontal führen. Kaum geht man dabei um einen Meter zurück, hat man gegen einen Hetzer schon verloren. Man darf nicht einen Meter zurückweichen. Denn ein Hetzer hat ja starke Argumente in der Emotion, etwa Sündenböcke zu benennen. Zu sagen, gäbe es die Union nicht, dann ginge es uns besser, das löst starke Emotionen aus. Aber all das ist falsch. Da muss man mit der gleichen Emotion gegenhalten, aufzeigen, was es bedeuten würde, dieses Europa wieder zu zerstören.

STANDARD: Was werden Sie dem Europäischen Parlament in Straßburg sagen?

Faymann: Ich werde mich zunächst einmal sehr bedanken für die gemeinsame Vorgehensweise bei der Finanztransaktionssteuer. Die steht als Symbol für das, was wir jetzt diskutieren, für sozialen Ausgleich, die Politik muss dabei stärker werden, kann nicht immer nur hinterherlaufen. Sie muss bei der Regulierung von Banken und Finanzmärkten mehr Werkzeuge schaffen, wie ein guter Handwerker, der mehr Werkzeuge braucht. Dafür sind natürlich die Bankenaufsicht, Spekulationsverbote, die das Parlament stark vorantreibt, große Gemeinsamkeiten.

STANDARD: Was werden Sie zur Zukunft der Eurohilfen sagen?

Faymann: Ich bin davon überzeugt, dass es zwei Richtungen, zwei Stufen gibt, wie man Länder unterstützt. Erst einmal geht es darum, zu verhindern, dass ein Land wie Griechenland, wie Portugal oder Spanien in die Insolvenz kommt, was dort zu Massenarmut, geschlossenen Banken, allen diesen ganz negativen Auswirkungen führen würde. Die zweite Frage ist dann aber: Wie bringt man das Land wirtschaftlich wieder in Schwung? Darauf möchte ich in meiner Rede sehr drängen. Wenn wir sagen, ein Land soll investieren können, es soll wettbewerbsfähig werden, dann muss die Troika bei den Maßnahmen, die wir für den Wiederaufbau fordern, stärker in folgende Richtung gehen: Rechtsstaatlichkeit erhöhen, Steuergesetze und Steuerbehörden stärken, Geldwäsche und Betrug bekämpfen. Aber es muss durch gemeinsames Schuldenmanagement langfristig auch mehr Luft zum Atmen geben für diese Länder, damit sie überhaupt investieren können.

STANDARD: Aber da sind wir auch beim EU-Budgetstreit. Da sagen die Länder reflexartig, die EU-Politiken sollen sich möglichst nicht so stark ändern, man möchte das, was man hat, möglichst erhalten, nicht in neue Bereiche investieren. Schon gar nicht Eurobonds für neue Projekte.

Faymann: Aber das meiste Geld verlieren Länder wie Portugal, Italien, Spanien derzeit durch hohe Zinsaufschläge, die sie auf den Märkten bei der Refinanzierung zahlen. Von Griechenland, das gar kein Geld bekommt auf den Märkten, rede ich da noch gar nicht einmal. So viel, wie durch hohe Zinsen verloren wird, kann man gar nicht ausgleichen, Folge des Auseinanderklaffens mit Ländern wie Österreich oder Deutschland, die plötzlich unter zwei Prozent für Anleihen zahlen. Die anderen zahlen sechs, sieben, acht Prozent.

STANDARD: Das schafft auch bereits viel böses Blut in den südlichen EU-Ländern, die sagen, die Deutschen und die Österreicher profitieren auch noch von der Krise, verdienen daran durch billige Anleihen. Das erhöht die politischen Spannungen. Wie lange hält die Union das aus?

Faymann: Genau deshalb haben die deutschen Wirtschaftsweisen den Vorschlag gemacht, einen Schuldentilgungsfonds für die EU-Länder einzurichten. Warum klingt das besser als Eurobonds? Diesbezüglich muss man auch Juncker in Schutz nehmen. Der hat bei seiner Forderung nach Eurobonds ja nie gesagt, dass man die Schulden der EU-Länder vergemeinschaften soll. Es geht darum, dass man ein gemeinsames Schuldenmanagementsystem betreibt, bei dem die Zinsentwicklung nicht in der Richtung weitergeht wie bisher. Es geht drum, die bestehenden Schulden gemeinsam besser zu bewältigen.

STANDARD: Aber dafür braucht es doch EU-Vertragsänderungen, oder nicht?

Faymann: Der Schuldentilgungsfonds nach dem Modell der deutschen Wirtschaftsweisen braucht keine Vertragsänderungen. Anders wäre das bei tieferen Vorgangsweisen, wie das die Briten oder die Vereinigten Staaten machen, etwa wenn die US-Regierung Bundestaaten hilft, dafür bräuchte man in Europa eine Vertragsänderung. Ich konzentriere mich im Moment auf beides. Wir in Österreich unterstützen einen EU-Reformkonvent für einen neuen EU-Vertrag. Das werde ich in Straßburg auch sagen. Je früher die Diskussion darüber beginnt, umso besser. Aber kurzfristig stehen Maßnahmen wie ein Schuldentilgungsfonds und inhaltliche Debatten darüber, was man von Südeuropa verlangt, im Vordergrund. Ich würde mich dafür aussprechen, dass man auch noch vor der deutschen Bundestagswahl den einen oder anderen Schritt zustande bringt.

STANDARD: Sie argumentieren bisher wenig parteipolitisch. Was wollen Sie denn als SPÖ-Chef in Europa erreichen? Beispiel: Wird die SPÖ 2014 verlangen, dass sie - erstmals seit dem EU-Beitritt 1995 - den von Österreich gestellten EU-Kommissarsposten besetzen kann?

Faymann: Ich will das als Signal nicht unterschätzen. Aber das bessere Signal für unser Europaengagement ist eine klare inhaltliche Ausrichtung. Wenn es uns gelänge, uns mit Martin Schulz und anderen auch auf europäischer Ebene sichtbarer für sozialdemokratische Inhalte einzusetzen, das würde uns bei den Europawahlen extrem unterstützen. Nehmen Sie als Beispiel die Berufsausbildungsgarantie, wir müssen die jungen Leute von der Straße holen. Wir müssen die Frage beantworten, was Sozialdemokratie heute in Europa sein kann und muss. War das jetzt der Schröder- oder Blair-Kurs, oder ist das etwas anderes, das werde ich dauernd gefragt. Wenn ich das Profil der Sozialdemokratie schärfen will, arbeite ich mit einigen Freunden in Europa, in der SPD und auch in anderen Ländern zusammen, damit wir bis zur Europawahl in einigen Punkten besonders erkennbar sind.

STANDARD: Natürlich brauchen Sie ein Wahlprogramm, aber das Ziel der Politik muss es doch auch sein, Machtpositionen zu besetzen, um diese Inhalte umzusetzen, daher die Frage nach dem Kommissar.

Faymann: Das ist klar. Je mehr Wahlen wir in einzelnen Ländern gewinnen, umso stärker sind wir im Europäischen Rat. Je mehr wir bei den Europawahlen wahrnehmbar sind, desto stärker sind wir im Europäischen Parlament. Das ist entscheidend. Warum? Nehmen Sie das Beispiel der Troika bei den Eurohilfsprogrammen, was sind das für Leute? Das sind Vertreter der Kommission, des Währungsfonds und der Zentralbank, letztlich des Rates und der Parlamente. Ob diese Leute, die in die Länder geschickt werden, sagen, bitte kürzt die Sozialsysteme, oder im Bildungssystem, oder ob sie sagen, bekämpft den Steuerbetrug, senkt die Militärausgaben, dann macht das einen Unterschied. Daher ist es so wichtig, dass wir als SP personell was dazugewinnen. Ich will es nur nicht reduzieren lassen auf die einfache Frage: Wer kriegt mehr Posten?

STANDARD: Nehmen wir Schulz. Er wird im Mai als gemeinsamer Spitzenkandidat von Europas Sozialdemokraten für die EU-Wahlen 2014 nominiert werden. Sind Sie dafür, dass er im Falle eines Wahlerfolges dann auch als nächster Kommissionspräsident nominiert wird, vom Parlament direkt gewählt laut dem neuen EU-Vertrag?

Faymann: Ja, da bin ich dafür. Das weiß er auch, ich habe es ihm auch schon oft gesagt. Und es wäre auch eine sehr gute Entscheidung. Gerade als Präsident des EU-Parlaments spielt er eine derart aktive Rolle, dass man ihn sich richtig gut als Kommissionspräsidenten vorstellen kann. Dieser ist nach der EU-Wahl 2014 zu bestellen. Da kann man sich vorstellen, was dann los wäre. Ein wenig mehr Initiative würde der Kommission nicht schaden. Wir haben eine gute Kommission, aber jemand wie der Martin Schulz, der auch etwas in der richtigen Richtung von sozialer Politik bewegen möchte, der hat meine volle Unterstützung. Das weiß er auch.

STANDARD: Mich wundert jetzt trotzdem, warum sie auf die Frage, ob die SPÖ den nächsten Kommissar aus Österreich nominieren will, so passiv reagieren. Sie könnten ja sagen: selbstverständlich.

Faymann: Es stört mich, wenn man ständig davon spricht, welche Posten man bekommt. Es leitet sich aus dem ab, was man inhaltlich möchte, davor kommen die Wahlen, aus denen sich ergibt, welche Stärke man an den Tag legt. Das kommt meiner Vorstellung näher als das Klammern an irgendwelche Positionen.

STANDARD: Wenn die SPÖ stärkste Partei wird, wollen sie es dann? 2009 haben Sie zugunsten der ÖVP verzichtet, und Johannes Hahn wurde nominiert.

Faymann: Nach Verhandlungen. Man darf es sich nicht so vorstellen, dass ich Josef Pröll darum gebeten hätte. Ich habe aus den eigenen Reihen sehr viele Zurufe, was wir alles gestalten sollen. Ich bleibe da lieber immer am Boden.

STANDARD: Im Moment stellen viele Beobachter in Österreich fest, dass es zwischen Ihnen und Vizekanzler Spindelegger, zwischen SP und VP, einen richtigen Kampf gibt um die Europapolitik, um die Positionierung als Europapartei ...

Faymann: Na, das ist doch positiv

STANDARD: Aber es gibt auch viele parteipolitische Scharmützel

Faymann: Schauen Sie, wenn es wirklich so ist, dass der Nationalratswahlkampf ein Wettbewerb wird um die Frage, wer will das Bessere für Europa, nicht um die Frage, wer will davonrennen, austreten, alles kaputtmachen, das wäre eine Form von Wettbewerb, dem stelle ich mich mit Freude und Leidenschaft. Da sind tatsächlich verschiedene Meinungen möglich. Was ich nicht möchte, ist, dass man im eigenen Land, aber auch in ganz Europa, die Destruktivität in den Vordergrund stellt, das Aufhetzen. Ein Wettstreit mit der ÖVP darüber, wer die besseren Antworten für ein Europa von morgen und übermorgen hat, das wäre ja fast ein Wunsch für den Wahlkampf, wenn ich es mir aussuchen könnte.

STANDARD: Von außen gesehen besteht der Eindruck, dass die Regierung in der Europapositionierung uneinig ist, dass es kriselt zwischen Ihnen und Spindelegger. Von Strache gar nicht zu reden.

Faymann: Strache, das ist eine andere Welt. Was die ÖVP betrifft, haben wir in den großen Fragen doch eine gemeinsame Linie für Österreich. Wir sind ein bisschen aneinandergeraten in der Frage der Taktik bei den Verhandlungen zum EU-Budget, bei der Vetokeule. Das zeigt einen gewissen Unterschied in der Art des Zugangs. Ich finde, Härte entsteht in der Art der Argumente, wenn man Bündnisse mit Gleichgesinnten schließt, um diese Argumente durchzusetzen. Nehmen wir den Fall der Landwirtschaftsförderung. Es war die Frage: Wie wichtig ist uns das? Ich habe hinsichtlich des ländlichen Raums als Teil der Kultur Europas in der Landwirtschaft gesagt, es brauchen jene, die als Bergbauern hart arbeiten, unsere volle inhaltliche Unterstützung. Da muss ich aber nicht gleich mit der Vetokeule drohen, da mache ich lieber das Argument stark.

STANDARD: Für wann rechnen Sie mit einem Abschluss der Verhandlungen zur Finanziellen Vorausschau?

Faymann: Wir haben eine Vereinbarung untereinander, uns da nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Präsident Van Rompuy tritt an uns heran, wenn er fertig ist, wir wollen ihm nicht die Terminvorgaben machen, das bringt auch nichts. Ich gehe davon aus, dass wir da ganz gut unterwegs sind, es gelungen ist, den kleinkarierten Streit ein bisschen in den Hintergrund zu drängen und die sachlich wichtigen Fragen auf den Tisch zu legen.

STANDARD: In einer Woche ist die Volksbefragung bezüglich Wehrpflicht oder Berufsheer, viele beklagen, dass zwar viel über Grundsätzliches gestritten wurde, aber zu wenig darüber, was dieses Bundesheer in Zukunft in Europa überhaupt konkret tun soll, auch in Bezug auf die Nato. Wozu also ein Berufsheer?

Faymann: Im Vordergrund steht, welche Erfahrungen wir gemacht haben, wofür wir ein Bundesheer brauchen. Da sind die Österreicher sehr stolz, dass das Heer im Ausland bei den Friedenseinsätzen eine wichtige Rolle gespielt hat und weiterhin spielt. Da gibt es nicht nur den Golan und den Nahen Osten, jeder Österreicher weiß das. Das ist auch ein bisschen ein Ausgleich, weil wir uns in Konfliktfällen ja auf friedenserhaltende Maßnahmen zurückziehen. Und zweitens bewerten die Österreicher das Bundesheer sehr stark anhand der Frage, wie es im Katastrophenschutz einsetzbar ist. Daher bin ich der Meinung, es sollen Profis sein - und keine Präsenzdiener. Was man nicht unterschätzen darf, wie ich bemerkt habe, ist, dass der Ersatzdienst, der Zivildienst, so eine zentrale Rolle bekommen hat, weil er für so emotionale Themen wie Pflege und Rettungswesen steht. Diesbezüglich glaube ich erst recht, dass wir mit dem bezahlten freiwilligen Sozialjahr eine bessere Alternative hätten. Am häufigsten werde ich gefragt: Wann kommt die Rettung, kommt die gleich schnell, ist der Fahrer ein Profi? Das kann ich bestätigen.

STANDARD: Aber welche Rolle wollen Sie dem Bundesheer in der künftigen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik geben? Die EU wie die Nato versuchen gerade unter großem Budgetdruck, die Heere umfassend zu reformieren, Kräfte zu bündeln, zu sparen, aber auch Kapazitäten zu teilen, zusammenzulegen. Was will Österreich dabei?

Faymann: Dann müssten Sie ja eigentlich für ein Profiheer sein. Denn auch wenn wir in Europa in Zukunft doppelt so viele friedenserhaltende Maßnahmen unterstützen, dann würden wir natürlich noch mehr Personen mit einer Ausbildung brauchen, wie Profis sie haben .

STANDARD: Österreich liegt aber, was das Militärbudget betrifft, eher im hinteren Feld unter den EU-Staaten, mit Finnland, Irland.

Faymann: Ich bin der Überzeugung, wenn man an die ganze Eurofighter-Beschaffung denkt, oder daran, wie viele Berufssoldaten wir haben, die nur der Verwaltung der Präsenzdiener dienen, wenn man all diese Ausgaben einmal sinnvoll einsetzt, dann scheint mir das zunächst der richtige Ansatzpunkt. Wenn sich die Europäische Union in fünf oder in zehn Jahren entschließen sollte, die friedenssichernden und friedenschaffenden Maßnahmen zu verstärken und wenn Österreich da seinen Beitrag verstärken sollte, immer im Rahmen seiner Neutralität, dann ließe sich das mit einer gesunden Basis eines Profisystems, einer Profimiliz, viel leichter ausweiten.

STANDARD: Können Sie sich eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets vorstellen? Oder dass man die Eurofighter einsetzt zur Luftraumüberwachung auch von EU-Nachbarländern, dass man das teilt, was neutralitätsrechtliche Fragen aufwirft?

Faymann: Das Entscheidende ist, ob es mit unserer Neutralität vereinbar ist. Einen Nato-Beitritt durch die Hintertür brauche ich nicht. Für mich ist entscheidend, ob künftige Maßnahmen auch mit der Neutralität vereinbar sind. Bei Friedensmissionen, bei denen die Uno uns ersucht, stärker zu sein, könnte ich mir vorstellen, dass es in Europa eine Art Teilung der Aufgaben gibt. Dass einige Länder verstärkt friedenserhaltende Maßnahmen vornehmen, eine Aufgabe für die neutralen und die Allianzfreien. Und dass andere Länder in anderen Bereichen ihre Stärken aufbauen. Aber die Neutralität steht für mich ganz oben auf der Skala der wichtigen Dinge. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 12./13.1.2013)