Regisseur Quentin Tarantino auf den Spuren von Sergio Corbucci: Sein "Django Unchained" schließt den Spaghetti-Western mit der Geschichte kurz.

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Standard: Nach "Inglourious Basterds" gehen Sie auch in "Django Unchained" mit der Geschichte wieder auf freizügige Weise um. Ist das Kino für Sie ein Ort einer Gerechtigkeit, die es in der Wirklichkeit nicht geben kann?

Tarantino:  Auf jeden Fall, aber das gilt nicht nur für das Kino, das betrifft fiktionale Geschichten insgesamt: Comics, Romane, auch Krimis. Sie können innerhalb eines historischen Rahmens eine Katharsis erzeugen, die über historische Realität hinausgeht. Sie können den Opfern der Geschichte den Traum von Rache und Genugtuung anbieten.

Standard:  Das Motiv der Rache scheint Sie auf besondere Weise zu beschäftigen. Warum?

Tarantino:  In diesem Film geht es gar nicht so sehr um Rache. Nicht wirklich. Django fährt nach Candieland, um seine Frau Broomhilda aus der Sklaverei zu befreien, und nicht so sehr, um die Plantage in die Luft zu jagen. Er will mit ihr in den Norden flüchten, das ist der Deal - ich gebe jedoch zu, dass es unbefriedigend gewesen wäre, wenn der Rettungsplan von Dr. King Schultz (die Figur, die Christoph Waltz verkörpert, Anm.) problemlos geklappt hätte. Dann wäre nicht Django der Held, sondern Schultz. Im echten Leben ist Rache sicherlich keine gute Lösung. Aber im Genrekino sieht die Welt anders aus.

Standard:  Bevor alles eskaliert, sagt Schultz: "Ich konnte nicht widerstehen." Das sind doch eigentlich Sie, der das sagt.

Tarantino: Das stimmt. Ich spreche hier mit mehreren Zungen. In "Django Unchained" geht es mir wie in "Inglourious Basterds" darum, den Menschen des 21. Jahrhunderts die Chance zu geben, sich mit diesen Helden aus der Vergangenheit zu verbünden und ihnen gemeinsam eine Katharsis zu ermöglichen. Und da spreche ich nicht nur von den Juden oder den Afroamerikanern. Alle Zuschauer erleben die Story durch die Augen dieser Figuren. Als ich mit "Inglourious Basterds" durch die Welt gereist bin, haben alle gefragt: "Und was werden die Deutschen dazu sagen?" Und ich habe immer geantwortet: "Wenn jemand in der Welt davon träumt, Adolf Hitler umzubringen, dann sind es neben den Juden vor allem die Deutschen der letzten drei Generationen." Die Reaktion auf den Film in Deutschland hat das vollkommen bestätigt. Die Weißen, die sich jetzt in Amerika "Django Unchained" anschauen, sind nicht auf der Seite der weißen Plantagenbesitzer, sondern sehen die Welt durch Djangos Augen.

Standard: Ist das Politische für Sie mittlerweile mitentscheidend, ob Sie sich mit einem bestimmten Material beschäftigen?

Tarantino:  Ich sehe mich in erster Linie schon als Entertainer, wenn auch nicht wie ein Magier in einem Nightclub. Ich will große filmische Momente erschaffen und mein Publikum gut unterhalten. Auch wenn ich schwerwiegende Themen angehe, soll der Film Vergnügen bereiten. Dazu gehört es auch, dass man durchaus herausfordernde Momente im Film durchlebt. In "Django Unchained" kann man die verschiedensten Erfahrungen machen. Das Publikum hat einiges zu lachen und wird gleichzeitig mit der Brutalität der Sklaverei konfrontiert - es gibt darin Dinge, die man bestimmt nicht sehen will. Es gibt Gewalt, die man schwer ertragen kann, aber auch Gewalt, die Spaß machen kann. Das ist alles eine Frage der Balance, und diese Balance entscheidet über den Erfolg eines Films. Mir war besonders wichtig, dass das Publikum am Ende nach Django jauchzt.

Standard:  Wie finden Sie diese Balance?

Tarantino:  Bei Testvorführungen zeigte sich etwa, dass das Publikum von der Mandingo-Szene (in der zwei Männer auf Leben und Tod schaukämpfen, Anm.) regelrecht verstört war. Ich habe diese Szenen geändert, weil es mir ja nicht darum geht, die Zuschauer zu traumatisieren. Es gab abgetrennte Köpfe - die habe ich "zurückwachsen lassen". Mein oberstes Ziel ist es, dass sie sich mit meinem Helden verbünden. Diese Szenen hätten das verhindert.

Standard:  Sie haben in "Django Unchained" Christoph Waltz die Rolle eines deutschstämmigen Kopfgeldjägers auf den Leib geschrieben. Wie stark hat er sich in den Film eingebracht - es gibt ja auch einige Bezüge auf die Nibelungen-Sage.

Tarantino:  Ich weiß nicht, ob mir eine Figur wie King Schultz eingefallen wäre, wenn ich Christoph Waltz nicht kennen würde. Seit "Inglourious Basterds" ist er in meiner künstlerischen DNA verankert, die Figur ist regelrecht aus meiner Feder geflossen. Aber natürlich hat das auch mit meinen eigenen Erfahrungen in Deutschland zu tun. Für den Dreh von "Inglourious Basterds" habe ich sechs Monate lang in Deutschland gearbeitet. Diese Zeit war eine sehr prägende Erfahrung. Ich trage seitdem auch ein Stück deutsche Kultur in mir. In "Inglourious Basterds" habe ich mich mit dem deutschen Faschismus beschäftigt, und das hat meine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Faschismus und der Sklaverei in "Django Unchained" bestimmt stark beeinflusst.

Standard:  Lässt sich die Resonanz, die "Inglourious Basterds" durch seinen Umgang mit Geschichte hatte, denn mit jener von "Django Unchained" vergleichen?

Tarantino:  Die ersten Reaktionen sind fantastisch: Es gibt Afroamerikaner, die den Film schon zwei-, dreimal gesehen haben. Und er läuft erst seit zwei Wochen.

Standard:  Sie werden in diesem Jahr 50 und haben immer noch das Image des Kinorebellen. Haben Sie Angst davor, dass diese Rolle einmal nicht mehr zu Ihnen passt?

Tarantino:  Sie meinen, ob ich mich bald so fühlen muss, wie Oliver Stone sich gefühlt hat, als meine ersten Filme herauskamen? Auch wenn es eine Menge interessanter, junger Filmemacher gibt, sehe ich ehrlich gesagt im Moment keine Avantgarde, die mich zu überrennen droht. Es gibt niemanden anderen, der das tut, was ich tue. Ich sage aber auch nicht, dass das der Goldweg ist.

Standard:  Welche Erwartungen stellen Sie denn noch an Ihr Werk? In der "New York Times" haben Sie gesagt, Sie geben sich nur noch zehn Jahre als Regisseur.

Tarantino: Ja, das sind die letzten zehn ... Ich hoffe, dass meine Filme ein kulturelles Ereignis sind, so wie eine Platte von Bob Dylan oder ein Roman von Hemingway oder Dickens in ihrer Zeit eines waren. Deshalb habe ich auch keine Absicht, meiner Karriere ein anderes Gesicht zu geben und eine neue Werkphase einzuläuten. In meinen Filmen geht es ja nicht nur um Sensation und Provokation. Nach "Pulp Fiction" habe ich mich in "Jackie Brown" davon abgesetzt. Wenn ich den Film heute gemacht hätte, würden die Kritiker darin wahrscheinlich den Start meines Alterswerkes verkünden: "Ah, der neue Tarantino!" - ich habe den Film in meinen frühen 30ern gedreht. Mir geht es darum, dass mein Gesamtwerk aus einem Stück ist. Ich will meine Lieder auf eine bestimmte Art singen. Wenn man mit Rock 'n' Roll angefangen hat, soll man auch damit aufhören.  (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 12./13.1.2013)