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Waffenverliebtes Amerika: Nach der Tragödie in der Sandy Hook Volksschule sammelte die Polizei in Los Angeles freiwillig Waffen ein. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Foto: REUTERS/David McNew

Ed Coleman lächelt milde, so wie alte Männer, wenn etwas in Mode kommt, was sicher bald wieder verschwindet. "Das gibt sich wieder", sagt er über die Versuche Barack Obamas, nach dem Massenmord an der Volksschule von Newtown strengere Waffengesetze durchzusetzen. "Ein paar neue Paragrafen, und die meisten bleiben im Kongress auf der Strecke."

Coleman erinnert es an das Verbot halbautomatischer Sturmgewehre, 1994 beschlossen und 2004 ausgelaufen. Er sieht eine Achterbahn, auf der es ständig auf und ab geht, wobei sich an einer Konstante nichts ändert: Amerikanische Freiheitsliebe verbinde sich nun mal mit Waffen. "1776 haben wir unsere Unabhängigkeit mit Kanonen errungen. Waffen liegen uns im Blut."

Angetan mit ausgewaschenen Jeans und kakifarbenem Hemd, leitet Coleman einen Schießplatz, den größten im Staat Virginia, die Colonial Shooting Academy. Ein Name, in dem mehr als nur ein Hauch Südstaatennostalgie mitweht. Der Betonklotz liegt am Rande von Richmond, umgeben von Baumärkten und Kosmetikstudios, gleichförmige flache Klötze, das typische Vorortambiente. Drinnen zieht Kaffeeduft durch eine helle, luftige Halle. In Vitrinen liegen Pistolen wie anderswo Uhren oder Juwelen. "Fast wie bei Tiffany's", freut sich Coleman und erzählt, worauf es ihm ankam, als er das frühere Möbelhaus zu einem Waffenladen mit angeschlossenen 51 Schießbahnen umbaute: Nichts sollte den Kundenkreis einengen, nichts die Damen abschrecken, keine Enge, kein Mief, keine dumpfen Parolen. Einladend sollte es sein - eben: wie bei Tiffany's.

Wartelisten

Das Geschäft boomt, seit die Academy vor acht Monaten ihre Pforten öffnete. Für die meisten Kurse gibt es lange Wartelisten. Und der Schock vom Blutbad in Newtown hat den Ansturm nur noch verstärkt - eigentlich paradox, denn die Kritiker lassen diesmal nicht locker. Gabrielle Giffords, die Kongressabgeordnete aus Arizona, die wie durch ein Wunder einen Kopfschuss überlebte, wirbt seit neuestem mit einer eigenen Initiative für schärfere Regeln. Die Klatschwebsite gawker.com brach ein Tabu und veröffentlichte eine Liste aller "Arschlöcher, die in New York Waffen besitzen". Geleitet von Vizepräsident Joe Biden, denkt die Taskforce des Weißen Hauses darüber nach, Sturmgewehre auf den Index zu setzen, die Patronenzahl in Magazinen zu begrenzen und psychisch Kranken den Waffenerwerb zu erschweren.

Coleman stört es nicht: Er freut sich über Rekordumsätze, weil alle mit Restriktionen rechnen und sich noch schnell eindecken wollen. Und wer noch nie geschossen hat, kommt am Abend zu ihm, um es zu lernen.

"Leute, als Erstes gebt ihr eure Pistolen ab, dann könnt ihr mich nicht erschießen!" Reese Haller liebt schwarzen Humor. Später empfiehlt er seinen Schülern mit diabolischem Grinsen, nachts den Revolver nicht unters Kopfkissen zu legen: "Das kann unerwünschte Nebenwirkungen haben." Nach zwei Stunden Theorie führt er seine Klasse in einen Keller, verteilt Pappteller anstelle von Zielscheiben, dicke Ohrenschützer und an jeden Schüler 30 Patronen.

"Die bösen dürfen nicht siegen"

Haller war Polizist, ein Berufsleben lang. Jetzt bessert er seine Pension auf, indem er Anfängern beibringt, wie man eine Pistole hält: Grundsätzlich mit beiden Händen, und dass man besser beraten ist, seine Knarre nicht "bei Omar in der Seitengasse" zu kaufen, weil er sie gestohlen haben könnte. "Die Bösen dürfen nicht siegen. Deshalb sind wir hier."

Elf Männer und vier Frauen hängen an seinen Lippen. Einer trägt chinesische Tattoos auf den nackten Oberarmen, ein anderer feinen Zwirn und Strickweste.

Margaret Garrett, eine allein lebende Witwe, übt das Schießen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlt in den eigenen vier Wänden. Es liege an ihrem Stiefsohn: Der war bei der Erbschaft leer ausgegangen, als sein Vater, Margarets Mann, starb. Nun, so glaubt Margaret, will der Stiefsohn sie aus dem Haus ekeln. Am Telefon habe er sie bereits bedroht. Für alle Fälle liegt fortan eine Ruger mit einer Laserstrahl-Zielvorrichtung auf ihrem Nachttisch. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 12.1.2012)