Der Name des Kindes ist auch eine Projektionsfläche elterlicher Identität.

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Sprachwissenschaftler Hans Christian Luschützky bewertet auf Basis des österreichischen Personenstandsgesetzes, ob Kindernamen zulässig sind oder nicht.

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Namen sind nicht Schall und Rauch. Ob ein Bub Justin oder Justus heißt, sagt eine Menge aus - vor allem über seine Eltern. Vornamen sind Ausdruck von sozialem Status, von Werthaltungen und dem Wunsch, sich von anderen abzugrenzen. Die Sozialpsychologie weiß schon lange, dass unser Name beeinflusst, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Kevin oder Konstantin - dazwischen liegen Welten.

Das Symbol Kevin

Die deutsche Erziehungswissenschaftlerin Julia Kube fand heraus, dass Lehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer Namen eher negativ oder positiv wahrnehmen. Charlotte, Sophie, Alexander und Maximilian werden als freundlicher und leistungsstärker wahrgenommen als Chantal, Angelina, Kevin und Maurice, so Kube. Und zwar unabhängig von deren Leistung und Verhalten.

Kubes 2009 publizierte Studie war nicht unumstritten. Dass die Wissenschaftlerin als Methode eine simple Onlinebefragung gewählt hatte, brachte ihr Kritik aus Teilen der Wissenschaft ein. Dennoch schlug die Untersuchung hohe Wellen - wohl auch, weil sie "Kevin" zum namengewordenen Symbol für Unterschichtszugehörigkeit machte. Eine Lehrerin hatte auf ihren Fragebogen notiert: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose". Der Satz wurde zum geflügelten Wort - in Kreisen, die ihr Kind um nichts in der Welt Kevin nennen würden.

Alexander und Maximilian: konservative Codes

Die soziologische Namensforschung heißt Sozioonomastik. Deren Vertreter diagnostizieren, dass sich nach einer Phase des Anything-goes ab den 70er Jahren bei der Namenswahl heute verstärkt eine Schichtabhängigkeit zeigt. Auch in Österreich wählt die Mittelschicht wieder häufiger traditionelle Namen. Selbst Ferdinand, Leopolds und Josefinen im windelfähigen Alter tummeln sich heute in den Kindergärten der guten Gegenden.

2011 wurden hierzulande traditionelle Vornamen wie Maximilian und Alexander bei den Buben am häufigsten vergeben. Auch bei den Mädchen regiert Klassisch-Unverfängliches wie Sarah, Anna und Hannah. Sucht hier eine vom Abstieg bedrohte Mittelschicht nach Halt und nach Haltung?

Komplexe Namenswahl

Der Wiener Sprachwissenschaftler Hans Christian Luschützky kann dieser These einiges abgewinnen. Luschützky schreibt Gutachten für österreichische Standesämter. Er befindet darüber, ob die von den Eltern vorgeschlagenen Kindernamen zur Vergabe geeignet sind oder nicht. Die Entscheidung fällt der Standesbeamte, Luschütky berät lediglich. "Die Namenswahl ist auch eine Statusfrage", sagt der Sprachwissenschaftler. "Damit wird ein Revier abgesteckt."

Die Namenswahl ist ein komplexes Geschehen. Simple Zusammenhänge erklären nicht, warum Menschen ihren Kindern bestimmte Namen geben. "Die Namensgebung ist so vielschichtig, weil sie Identität stiftet", so Luschützky. "Schließlich sagt man: Ich bin Franz. Und nicht: Ich heiße Franz."

Die meisten Eltern wollen bei der Namenswahl Individualität mit Normalität verbinden, ist der deutsche Soziologe Jürgen Gerhards überzeugt. "Sie wollen im breiten Flussbett der akzeptierten Namen mitschwimmen, aber nicht in der Mitte des Modestroms." Vielleicht sind auch deshalb neutrale Namen wie Anna, Lukas, Hannah und Felix so beliebt.

TV-Serien und Fantasy

Jürgen Gerhards zeigte 2004 in einer Studie, wie das Ausleben von Geschmacksurteilen bei der Namensgebung dazu beiträgt, dass soziale Schichten überhaupt erst entstehen. Dass unterschiedliche Kinder in einer Gesellschaft Kevin, Konstantin und Karl-Theodor heißen, ist zugleich Ausdruck wie Garant für soziale Schichtung.

Status, Religion, politische Überzeugung - all das fließe in die Namenswahl ein, sagt Gerhards. Weniger gebildete Menschen würden ihre Kinder eher nach Popstars nennen, während Akademiker Namen aus der griechischen Mythologie bevorzugen. Etwa Helena oder Hermes.

Das bestätigt auch Hans Christian Luschützky. Eltern aus bildungsfernen Schichten wählen seiner Erfahrung nach öfter Fantasienamen wie Alpha oder Namen von Figuren aus Fernsehserien.

Kinder als Statussymbol

Doch was bringt Eltern dazu, ihrem Kind einen Fantasienamen wie Alpha zu geben? Einen Namen also, der nicht gerade als soziale Starthilfe oder als Türöffner bei Bewerbungen im späteren Leben wirken dürfte. Dabei spiele nicht zuletzt die Sicht auf das eigene Kind eine Rolle, sagt Luschützky.

"Ein Kind nach einem Serienhelden zu nennen zeugt von einer gewissen Kurzsichtigkeit. Diese Eltern denken oft weniger an das Kind als an sich selbst. Sie sehen das Kind als Objekt, das ihren eigenen Status im Moment symbolisiert - wie bei Markenkleidung."

"Adolf" war ein Bekenntnis

Dass Vornamen wesentliche Symbole der Identität sind, ist nicht neu. Die Münchner Historiker Michael Wolffsohn und Thomas Brechenmacher haben das schon 1999 in ihrer Studie "Die Deutschen und ihre Vornamen" nachgewiesen. Sie haben dafür fast 200 Jahre deutscher Vornamensgebung durchpflügt. Interessiert hat sie vor allem, wie sich im Namen des Nachwuchses die politische Haltung der Eltern ausdrückt.

Wer in den 30er Jahren seine Kinder Horst, Uta oder Gudrun nannte, sagte damit etwas aus. "Man konnte damals seine Kinder so nennen, musste aber nicht. Wer das tat, bekundete Gesinnung, erfüllte ein Übersoll", schreiben Wolffsohn und Brechenmacher. Der Vorname Adolf war in den 30ern und danach schlicht ein Bekenntnis. Doch auch heute noch sind Namen ein Substrat politischer Einstellungen und sozialer Orientierung.

Namen verraten die Kinderstube

Es ist auch dieses Wissen um die Wirkung von Namen, das Menschen sozial unterscheidet. Das Bürgertum wollte sich von jeher auch symbolisch von der Arbeiterschaft und den "einfachen Leuten" abheben; und wählte Namen, die eine gute Kinderstube verrieten - oder dem Nachwuchs zumindest nicht zum Nachteil gereichten. Wie Anna, Sophie oder Konrad.

Heute will eine schrumpfende Mittelschicht ihrem Aufstiegsstreben bei der Namenswahl Ausdruck verleihen. Weil sie sich bedroht fühlt, will sie sich symbolisch nach unten hin abgrenzen. Von "Statuspanik" spricht der deutsche Soziologe Steffen Mau in seinem Buch "Lebensschancen. Wohin driftet die Mittelschicht?" aus dem Jahr 2012.

"Das Bedürfnis, sich von unteren Schichten abzugrenzen, ist gerade bei Akademikern ziemlich ausgeprägt", sagt auch Jürgen Gerhards. Namen wie Maximilian und Marie-Theres, die seit Jahren immer populärer werden - sie zeigen wohl auch eine wachsende Sehnsucht nach gesellschaftlicher Übersichtlichkeit. (Lisa Mayr, derStandard.at, 11.1.2013)