Lewis Hamilton trägt nächstes Jahr eine IWC. Na und?, wird sich da mancher fragen. Und doch ist es relevant, schließlich ist Hamilton als Formel-1-Pilot in einer Sportart tätig, wo Rennwagen, -anzug und -fahrer eine begehrte Werbefläche sind. Dieser Punkt musste also diskutiert werden: Denn bisher hat man Hamilton mit einer Tag Heuer am Armgelenk gesehen. Die muss er nun mit dem Wechsel des Rennstalls ablegen, stellte Nick Fry, CEO des Teams Mercedes AMG Petronas, klar, für das Hamilton in der nächsten Saison starten wird. Die Kooperation zwischen der Schweizer Luxusuhrenmanufaktur IWC Schaffhausen und dem Formel-1-Rennstall wurde Ende letzten Jahres bekanntgegeben.
Ort des Geschehens war Brackley, rund eine Autostunde von London entfernt, wo, ganz in der Nähe von Silverstone, bereits - topsecret - der neue Bolide des Rennjahres 2013 entwickelt wird. Selbst jene, die in der Formel 1 nichts weiter als stundenlanges Im-Kreisfahren-mit-schnellen-Autos sehen, müssen zugeben, dass die Technik eines Rennautos einiges an Know-how voraussetzt - ganz zu schweigen von der körperlichen Belastung, der die Fahrer ausgesetzt sind.
Performance Engineering
So besteht der Bolide aus mehr als 3200 Einzelteilen und ist nur 600 Kilogramm schwer. Aus diesem Grund kommt zum Beispiel Kohlefaser zum Einsatz, ein Material, das doppelt so starr wie Stahl ist, aber nur ein Fünftel der gleichen Menge an Stahl wiegt. Oder Keramik, die besonders hitzebeständig ist und deshalb bei Bremsen Verwendung findet. Oder Titanlegierungen, die bei Motorventilen eingesetzt werden. All das dient der Leistungssteigerung, es geht um "Performance Engineering", wie es im Neusprech heißt.
Wer nach Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Welten sucht, wird daher nicht zuletzt beim Material fündig. Bei IWC wurde bereits 1980 mit Titan gearbeitet und schon 1986 auf Keramik gesetzt. Die Schweizer erkannten früh die Vorteile dieser neuen Werkstoffe. Mit der Ingenieur Chronograph Racer widmet IWC der Formel-1-Crew nun eine "ideale Uhr für die Rennstrecke", weil sie als "Alleszähler" Zeiten bis zu zwölf Stunden stoppt, Boxenstopps misst und über eine Referenzstrecke die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt. Angetrieben wird der Zeitmesser vom Kaliber 89361, an dem Spezialisten vier Jahre lang tüftelten. Sie wollten eine Chronografenanzeige kreieren, bei der die Messzeiten über einer Minute nicht wie üblich auf je einem Stunden- und Minutenzähler abgelesen und im Kopf addiert werden müssen. Die Lösung: Die gestoppten Stunden und Minuten wurden in einem gemeinsamen Computer zusammengeführt, der mithilfe von zwei Zeigern wie eine analoge Uhr abzulesen ist. Die Darstellung kurzer Stoppzeiten innerhalb eines Minutendurchgangs übernimmt weiterhin der Chronozentrumszeiger.
Doppelklinkenautomatik
Dafür musste ein komplett neues Uhrwerk her. Die Basis dafür war wiederum der Pellaton-Aufzug. Dieses System eines automatischen Aufzugs wurde vom damaligen technischen Leiter bei IWC, Albert Pellaton, entwickelt, 1946 zum Patent angemeldet und 1950 vervollständigt. Bei der als Doppelklinkenautomatik bezeichneten Konstruktion übertragen nicht mehr nur zwei hintereinandergeschaltete, sondern insgesamt vier diagonal am Klinkenrad anliegende Klinken - zwei Doppelklinken - die vom Rotor erzeugten Zug-und-Schiebe-Bewegungen zum Federhaus. Dadurch wird ein toter Winkel beim Aufziehen ausgeschlossen und die Effizienz des Aufzugs um messbare 30 Prozent erhöht.
Das längere Festhalten einer Stoppzeit führt nicht zu Amplitudenschwankungen und damit zu einem Fehlgang. Zudem sind die Klinken nicht mit Federn beaufschlagt, sondern selbst als Federn ausgelegt und liegen mit einer genau berechneten Spannung am Klinkenrad an. Gesteuert werden sie, ausgehend von der Rotorbewegung, von einer Miniaturkurbelwelle - ähnlich derjenigen in einem Automotor. (Markus Böhm, Rondo, DER STANDARD, 11.1.2013)