Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, eine alte Erkenntnis aus dem Bereich der Kunst, die leider nicht allzu weit auf das Gebiet der Politik vorgedrungen ist. In Österreich muss man dabei nicht speziell an rasende Milliardäre oder ärarische Spekulanten denken, es gibt auch andere Beispiele, die die Wahrheit dieses Satzes bestätigen.

Aber es wäre nicht Österreich, würden sich nicht ausgerechnet Personen des öffentlichen Lebens auf die Vernunft berufen, die gerade besonders intensiv daran arbeiten, sie in Tiefschlaf zu versetzen. Der Wiener Bürgermeister und in proletarischer Disziplin mit ihm der Bundeskanzler haben eine Heeresdebatte vom Zaun gebrochen, die das Land in diesen Zeiten so nötig gehabt hat wie einen Kropf, und im Bemühen, die Bevölkerung dabei zum Komplicen zu machen, in einem Brief kühn behauptet: "Wehrpflicht abschaffen, sagt die Vernunft."

So erwünscht der Einzug der Vernunft in die Politik wäre, lehrt die Erfahrung leider doch, dass Vorsicht geboten ist, wenn Ausübende vor drohenden Wahlen behaupten, im Zwiegespräch mit ihr zu stehen, die jahrzehntelang nicht auf die Idee gekommen sind, eine Abschaffung der Wehrpflicht zum Gesprächsthema zu machen, ja sich im Gegenteil wenn schon nicht auf die Vernunft, so doch auf historische Erfahrung beriefen, um auf der Wehrpflicht zu bestehen.

Religiöse Erleuchtung kann bekanntlich wie der Blitz herniederfahren, um aus einem Saulus einen Paulus zu machen, Vernunft braucht gewöhnlich etwas länger, um Änderungen zum Besseren zu bewirken. Wenn in diesem Fall sogar ein Saulus Darabos, der die Wehrpflicht noch als zuständiger Minister täglich in Stein meißelte, sich von einem Kugelblitz aus der Nudelsuppe der "Kronen Zeitung" den Meißel aus der Hand schlagen ließ, um als Paulus Darabos das rechte Bewusstsein wiederzuerlangen, kann es sich nur um ein Wunder handeln. Und da es sich um ein Wunder in Österreich handelt, hätte es in dem Brief an die Bevölkerung korrekt lauten müssen: Wehrpflicht abschaffen, sagt Dichand, er sei unser Hirte, sein Licht leuchte uns, wenigstens bis zum Herbst.

Wehrpolitik als Wahlgag mit Inseratensegen - da konnte es nicht ausbleiben, dass zur höheren Ehre des Zivildienstes auch der Koalitions-, na ja, -partner einen vernunftfernen Purzelbaum schlagen musste. Dabei wäre es gar nicht notwendig, von den sonstigen Leistungen der Regierung durch eine Volksbefragung abzulenken, auf die das Zitat passt: Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Was als Belebung der direkten Demokratie ausgegeben wird, endet noch vor dem Termin mit ihrer Diskreditierung durch eine Obrigkeit, die ihren Opportunismus für ein geeignetes Thema hält, dem Volk zur Mitbestimmung vorgelegt zu werden.

Dass die Parteien vorweg verkünden, sich an das Ergebnis halten zu wollen, egal wie und wie knapp es bei welcher Beteiligung ausfällt, zeigt nur, dass sie die Verantwortung für das, was sie leichtfertig lostraten, ebenso leichtfertig abzuschieben bereit sind. Was sagt die Vernunft, sofern sie nicht schläft? Traue keiner Partei, die sich ihr Programm vom Boulevard diktieren lässt. Und keiner anderen, die nur auf eine solche Gunst wartet. (Günter Traxler, DER STANDARD, 11.1.2013)