Pracht und Hybris prägten die Präsentation der Über-Luxuslimousine im Jahr 2002, nun wurde die Produktion des Feudalherrschers aus dem Hause Mercedes ersatzlos eingestellt – Eine Aufarbeitung

Er war eine Inkarnation von gravitätischem Edelsinn und überbordender Potenz. Der ultimative Riegel für den Besserverdiener mit dem finalen Anspruch. Eine Yacht für die Straße, verfertigt von Mercedes-Benz, dem Premium-Hersteller schlechthin: der im Jahr 2002 präsentierte Prachtbau namens Maybach. Bis zu 6,2 Meter lang, eine halbe Million Euro teuer, aufgeladen mit modernster Technik, der kompletten Edelholz-Packung und vollmotorisierten Leder-Récamieren im Fond. Die Ansprüche waren hoch, das Auto dementsprechend total – den High Potential ereilte dennoch ein schleichender Tod.

Am 31. Dezember 2012 wurde der einstige Stolz von Mercedes-Benz mangels Nachfrage eingesargt.

Die Grabrede war zumindest bemüht charmant: "Im letzten Jahr seiner Verfügbarkeit war auch der Maybach bei den Kunden sehr beliebt. Insgesamt wurden 234 Luxusmodelle an neue Besitzer ausgeliefert, 12 % mehr als im Vorjahr." So stand es vor wenigen Tagen in der mit Erfolgsmeldungen für das Jahr 2012 gespickten Presse-Aussendung von Mercedes-Benz zu lesen.

Doch "sehr beliebt" ist angesichts der bei der Präsentation des Maybach angepeilten Zahlen relativ: Zumindest 1.000 Luxus-Kaleschen sollten Jahr für Jahr ihre Kunden finden – so lauteten die ehrgeizigen Prognosen, als die Stuttgarter den imposanten Leistungsträger im Juni 2002 vom Stapel ließen.

Foto: daimler

An Ego war in jenen Tagen kein Mangel: Auf dem Deck des Luxusliners "Queen Elizabeth II", vertäut in einer eigens gefertigten Glasvitrine, expedierte man den Maybach Number One vom englischen Southampton gen Vereinigte Staaten. Begleitet von Honoratioren, potenziellen Kunden und handverlesenen Edelfedern wurde die QE II vom freudvoll erregten Publikum in New York empfangen. Ein Hubschrauber transportierte den Glaskobel samt Inhalt medienwirksam gen City (dass der Luftraum wenige Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center gesperrt war, spielte für die Weltmacht Daimler keine Rolle), die eigentliche Präsentation hob an der Adresse Wall Street, Manhattan an.

Zu erleben gab es nominell eine prächtige Hervorbringung deutschen Automobilbaus in zwei Ausführungen: den Maybach 57 ( 5,7 Meter Länge, 2,7 Tonnen Gewicht) und den 62 (6,2 Meter, 2,9 Tonnen), die von einem V12-Biturbomotor mit 550 PS und 900 Nm maximalem Drehmoment akzeleriert wurden.

Schlechtes Timing

New York erlebte eine pompöse Inszenierung deutscher Ingeniosität – ein durchorchestriertes Muskelspiel, das den Hauptabsatzmarkt USA auf die Ankunft des neuen Luxusriegels einstimmen sollte. Allein: Der Maybach wurde in eine Welt entlassen, die sich noch tief in der Schockstarre nach den Anschlägen vom 11. September befand. Zudem hatte das Platzen der Dotcom-Blase die potenzielle Kundschaft deutlich dezimiert.

Als in Stuttgart im Jahr 1997 das "Go" für das Projekt Maybach gegeben wurde, ploppten die Start-up-Millionäre noch wie die Krokusse aus dem Boden. Fünf Jahre später waren die einst gefeierten Stars Fälle für den Staatsanwalt oder einfache Pixelschieber auf Amphetaminentzug – bloß keine Kunden für einen Superluxuswagen, der irgendwie in der falschen Zeit abgeladen schien.

Dabei gab sich Mercedes redlich Mühe: Erzählerisch aufgeladen wurde die revitalisierte Marke mit der Historie des legendären Wilhelm Maybach, eines findigen Motorenbauers, der Ende des 19. Jahrhunderts als Assistent von Gottlieb Daimler einer der Mitbegründer des Mythos Daimler-Benz werden sollte. Die von ihm entwickelten Aggregate waren echte Innovationsträger, ein Know-how, das er später als Unternehmer und Konstrukteur von Großmotoren für Luftschiffe und Flugzeuge verfeinerte.

Generierte Historie

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Sohn Karl die Geschicke des Unternehmens, das fortan Luxus-Automobile fertigte. Der Erfolg war eher verhalten, richtig legendär wurden bloß einige von Karosserie-Couturiers veredelte Maybach-Chassis. 1941 war Schluss mit Luxusauto, man konzentrierte sich nach 1945 auf den Motorenbau, die Marke dockte Jahre später über Umwege bei Mercedes an.

Wilhelm und Karl Maybach: gewaltige Leistung, große deutsche Technikgeschichte, sehr wichtig und richtig. Allein: Was konnte der gemeine Petro-Dollar-Texaner mit dem Namen anfangen? Nothin'. Maybach war kein selbsterklärender Mythos, hatte nicht die Story, nach der Japaner seit Jahrzehnten fahnden und die Marken wie Ferrari, Lamborghini, Aston Martin, Rolls-Royce oder Bentley einem ätherischen Glanz gleich abstrahlen. Da konnten die Mercedes-Mannen beim Chrom-Concours in Pebble Beach noch so viele Vorkriegs-Maybachs auffahren: Der Markenname blieb ein matter Gruß aus der Vergangenheit – und löste bei der anvisierten Kundschaft keine Begehrlichkeiten aus.

Aseptisches Image

Ganz anders Volkswagen und BMW: Gezielt angelten sie im Jahr 1998 nach den beiden klingendsten Namen des europäischen Automobilbaus, so es um Luxus und Image ging – Bentley und Rolls-Royce. Ersterer wurde von VW ab Anfang des Jahrhunderts zu einem Edelhersteller mit einem Hauch Bodenhaftung umgebaut, bei Rolls-Royce setzte BMW mit dem neuen Phantom voll auf die Gaga-Karte – und stach Maybach auf allen Märkten nach Belieben aus.

Was Wunder: Die neoimperialen Deutschen griffen gekonnt den Zitatenschatz der englischen Traditionshersteller ab. Der Feudal-Stuttgarter hingegen sah aus wie eine aufgebackene S-Klasse. Noch dazu wie der formal sehr dezente 1998er-Jahrgang, Code W220. Als 2005 die äußerst benzige, kräftig gezeichnete S-Klasse W221 ein echter Erfolgstyp der Oberklasse wurde, sah das Maybach-Duo plötzlich sehr gewöhnlich aus. Trotz nicht weniger als 90 Elektromotoren, die unter dem Blech ihren Dienst versahen. Trotz der exaltierten Preisgestaltung. 431.520 Euro für den "Kurzen", 501.102 Euro für den "Langen" inkl. Steuern. (Im österreichischen Finanzministerium ploppten die Sektkorken übrigens nur selten. Die Klientel kaufte lieber abgabenschonend in Monaco oder anderen verdächtigen Zweitwohnsitzen.)

Was ihr wollt

Kaufmännisch war das Projekt Maybach – das zeichnete sich schon zwei, drei Jahre nach dem Start ab – nicht zu retten. Zwar wurde die erste 1.000er-Tranche im Jahr des Debüts verkauft, danach blieben die Absatzzahlen jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Trotz eines elegischen Komforts im Fond, trotz des eigens hochgeziegelten "Excellence Center" in Stuttgart, in dem sich der Kunde der völligen Individualisierung hingeben konnte. Edelhölzer, Farben, Ledertexturen – alles war auf Wunsch erhältlich. Gerade einmal 3.300 Limousinen fanden ihren Weg auf die Straße. Immerhin der angepeilte Produktionszyklus von elf Jahren wurde erreicht.

Von Walter Röhrl, dem Ex-Rallyechampion und großem Driftwinkelphilosophen, ist folgender Merksatz überliefert: "Ein Sportwagen muss so stark sein, dass du Angst hast, wenn du drauf zugehst". In der automobilen Oberklasse gibt es ebenso eine Hartwährung: Respekt. Der kam Maybach mehr und mehr abhanden. Deutliches Indiz: Als die Stuttgarter bereits drei Jahre nach dem Start ein Facelift und die S-Versionen nachreichten, trat zur Präsentation in Dubai nur noch die zweite Garde der Schreiberlinge an. Der letzte Rest an Glanz war endgültig verblasst. Gern gesehen blieben die Maybachs bestenfalls als Edeltransporter zwischen Privatjet und Chalet-Hotel. Kein lohnendes Geschäftsmodell.

Teures Vergnügen

Der Versuch von Mercedes, sich selbst – den qua Historie ersten aller Premium-Hersteller – zu überholen, scheiterte grandios. Wie das britische Automagazin Car vorrechnete, pulverte Stuttgart insgesamt eine Milliarde Euro in die Revitalisierung der Marke. Die 3.300 abgesetzten Maybachs gegengerechnet, verbrannte Mercedes mit jeder Unterschrift unter einem Maybach-Kaufvertrag 330.000 Euro.

Ungemach, das per Jahresende 2012 aus dem Daimler-Portfolio gelöscht wurde. Zurück bleibt die Erinnerung an eine perfekte Luxuslimousine. Nicht mehr. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 11.1.2013)

Ansichtssache

Überfahrt Richtung USA im Glaskobel: Maybach schickt sich im Juni 2002 an, die Neue Welt zu erobern. Nur eine "Queen Elizabeth II" ist als Trägerrakete gut genug.

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Ankunft im Hafen von New York. Der Hubschrauber mit der edlen Fracht ist bereits Richtung Wall Street unterwegs.

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900 Nm maximales Drehmoment pumpte der V12 an die Hinterachse. Damals Weltrekord für einen Großserienmotor. Das Gewicht (ab 2.700 Kilo) verunmöglichte keineswegs beeindruckende Sprintwerte. 5,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h für den 57er, zwei Zehntel später rauschte der 62er durch.

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Im Fond war von Lärm und Unbill definitiv nichts zu bemerken. 7,2 mm dicke Seitenscheiben und Vorhänge schieden das Drinnen vom Draußen. Sehr schick: Das semitransparente Dach für diese gewisse opak schimmernde Noblesse.

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Das Fond-Gestühl wurde von sieben Elektromotoren in die genehme Position gebracht. Die Dentalbehandlungsposition überwachten Gurtstraffer, Gurtkraftbegrenzer, Sidebag, Fensterbag und eine crashaktive Lehne.

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Das freut den Geschäftstreibenden von Welt.

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Oberfläche: Edelholz. Unterseite: Nappa-Leder. Das alles eingefasst von hochfestem Aluminium. Macadamia-Nüsschen gefällig?

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Eine Reihe weiter vorn wurde dem Chauffeur ein feudaler Arbeitsplatz angerichtet.

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Die ausfahrbare Mobiltelefonhalterung. 2002 war das noch ein echtes Distinktionsmerkmal. Ebenso der "Personal Liaison Manager". Der persönliche Maybach-Butler für alle Anliegen das Fahrzeug betreffend war im Kaufpreis inbegriffen.

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Klassischer Panorama-Ausschnitt des Besserverdieners auf seinen Maybach.

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Individualisierung war ein Asset der Marke mit dem Doppel-M ("Maybach Manufaktur") im Logo.

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Das Excellence Center in Stuttgart. Hier konnten nach Belieben Ledersorten, Edelhölzer und Lackfarben miteinander kombiniert werden. Für den Wunsch nach einer Goldlackierung hatte man bereits den Bedarf an dem Edelmetall errechnet: 20 Kilogramm.

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Ein Maybach war das Ergebnis aufwendiger Handarbeit - was zu einem Gutteil den selbstbewussten Preis erklärt.

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Nun fährt er hin, der Maybach, Richtung Automobilgeschichte. Seit 1. Jänner ist es für eine Bestellung zu spät.

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