Das Straßennetz der San Francisco Bay Area mit ihren heiklen, staugefährdeten Stellen. Die Forscher nahmen für die Analyse der Verkehrsbelastung Mobilfunkdaten zu Hilfe.

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Verkehrsforscherin Katja Schechtner.

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Der Verkehrsalltag in den Großstädten: Immer mehr Menschen wollen schnell und effizient von A nach B. Staus sind die Folge. Da hilft auch der Ausbau der Straßen- und U-Bahn-Netze nur bedingt, "Ein lebendiges Gebilde miteinander kommunizierender Gefäße", sagt Katja Schechtner, Mobilitätsforscherin am Austrian Institute of Technology (AIT) und am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Unter Umständen könnten "gezielte kleine Maßnahmen", vielleicht die Verlängerung einer Buslinie oder gezielte Carsharing-Werbung in einem bestimmten Stadtviertel Großes bewirken und den Verkehrsfluss nachhaltig verbessern. Schechtner erarbeitete gemeinsam mit weiteren Wissenschaftern vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Central South University in Changsha in China und der University of California in Berkeley eine Methode, wie man Verkehrsflüsse effizient und günstig analysieren und solche Schlüsselstellen ausfindig machen kann.

Die Forscher wollten neue Technologien anstelle von Umfragen und Verkehrszählungen nutzen. Also kombinierten sie statistischen Daten über die Autonutzung und die jeweilige Bevölkerungsdichte und Daten von detaillierten virtuellen Landkarten aus Geoinformationssystemen (GIS) mit Daten von Mobilfunkverbindungen. Auf diese Art konnten mithilfe ihrer Handygespräche die Bewegungen von mehr als einer Million Menschen in San Francisco und Boston analysiert werden.

Für die Analyse benötigen die Forscher möglichst große Datenmengen. "Die Daten aus den US-Mobilfunknetzen haben wir unter strikten Auflagen zur Verfügung gestellt bekommen", sagt Schechtner. Die Daten umfassen die Information, in welcher Mobilfunkzelle die Verbindung hergestellt und wo wieder aufgelegt wird, erklärt die Forscherin. Natürlich gehe man behutsam mit den Daten um. Für die Studie seien lediglich anonyme Verbindungsinformationen benötigt worden.

Unsicherheiten ausräumen

Aber nicht alle, die ein Handy nutzen, sind Autofahrer. Wer hinterm Steuer sitzt, telefonieret zudem selten die ganze Fahrt über. Und kann man davon ausgehen, dass der Ort, an dem am Abend regelmäßig telefoniert wird, tatsächlich die "Home Location" ist? Die Forscher mussten trotz der Datenfülle viele Unsicherheiten ausräumen. Man konnte aber anhand der Daten und in Abgleich mit den statistischen und Geoinformationsdaten dennoch präzise herausfinden, wie wichtig einzelne Streckenabschnitte sind, erklärt Schechtner. "Wir haben die Daten vorsichtig und statistisch sehr genau korrigiert."

Schechtner und ihre Kollegen kamen in den untersuchten Städten zum Ergebnis, dass die meisten Fahrzeuge auf den staugeplagten Straßen aus wenigen, klar abgrenzbaren Gebieten kommen. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass nur ein Prozent weniger Fahrten aus diesen Stadtteilen große Auswirkungen auf die Staubildung hatte. In der San Francisco Bay Area verminderte sich der Zeitverlust um 14 Prozent, in Boston um 18 Prozent. Ein Prozent des Verkehrs aus einzelnen Stadtteilen zu vermindern wäre schon mit kleineren städteplanerischen Maßnahmen ein relativ einfach zu erreichendes Ziel. Schechtner nimmt an, dass ähnliche Werte für den Großteil der Städte erreichbar wären.

Das hieße auch, dass die Städteplaner abgehalten würden, bei Überlastungen gleich neue Straßen oder zusätzliche Fahrbahnspuren zu erwägen. Anstelle neuen Asphalts würde einfach das vorhandene Netzwerk optimiert. Man könne vielleicht sogar eine alte Theorie bestätigen: Manches deute darauf hin, dass neue Straßenkilometer kaum zur Stauverminderung beitragen. Pro Einwohner gebe es in San Francisco mehr Autobahnen als in Boston, sagt Schechtner. Das Stauaufkommen sei aber ähnlich. "Es scheint ein Teil der menschlichen Natur zu sein, das Vorhandene bis zu einem bestimmten Maß an Zähflüssigkeit auszunutzen".

Mit der neuen Methode sei man in der Lage "sehr effizient, schnell und wesentlich präziser" die für die Verkehrsplanung notwendigen Daten zu erheben, sagt die Forscherin. Bisher sei man auf Verkehrstagebücher und Studien mit viel kleineren Bevölkerungsausschnitten angewiesen gewesen. Der Mobilfunkdatensatz, dem die neue, in der Fachzeitschrift "Nature Scientific Reports" veröffentlichten Studie zugrunde liegt, umspannt drei Wochen.

Die Daten sind für viele Städte vorhanden. Auch in Entwicklungsländern, die kaum über die Mittel für umfassende Untersuchungen der Verkehrsflüsse verfügen, wäre die Methode einsetzbar. Es gebe bereits eine große Anzahl von Anfragen, sagt Schechtner. Im Moment sehe man sich gerade die Lage in Ruanda an. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 09.01.2013)