Vor 20 Jahren, am 23. Jänner 1993, versammelten sich auf dem Wiener Heldenplatz, der Ringstraße und praktisch in der gesamten Innenstadt rund 250.000 Menschen mit Kerzen und Fackeln, um gegen Jörg Haider und sein "Ausländer raus"-Volksbegehren zu demonstrieren. Die Luftaufnahme vom Heldenplatz mit dem "Lichtermeer" ist seither eine Ikone geworden.

Seither ist Österreich in dreifacher Hinsicht ein anderes Land: erstens, weil das "Lichtermeer" die Existenz einer Bürgergesellschaft im autoritären Österreich bewies, die gegen rechte Verhetzung massenhaft auf die Straße geht; zweitens aber, weil die folgenden Wahlsiege von Haider und Strache bewiesen, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung für fremdenfeindliche bis rassistische Inhalte zu mobilisieren ist (oder, neutraler formuliert, die Anwesenheit vieler Zuwanderer als massives Problem empfindet); drittens, weil die Realität längst lautet: Österreich ist ein Einwanderungsland.

Die Zahlen der Statistik Austria sind eindeutig: Österreich hat inzwischen 8,3 Millionen Einwohner. Davon haben knapp 1,6 Millionen einen "Migrationshintergrund" (Definition: "Von Personen mit Migrationshintergrund wurden beide Elternteile im Ausland geboren"). Wien hat 1,7 Millionen Einwohner, davon rund 660.000 mit Migrationshintergrund (35 Prozent).

523.000 stammen aus einem EU-Land, rund eine Million aus einem Nicht-EU-Land. Davon sind wieder 152.000 Deutsche, 513.000 aus Exjugoslawien und rund 280.000 aus der Türkei.

Bei diesen beiden letzten großen Zuwanderergruppen, auf die sich die Ausländerfeindlichkeit am ehesten konzentriert (auf Exjugoslawen etwas weniger als auf Türken), sind rund 280.000 noch exjugoslawische bzw. rund 110.000 noch türkische Staatsbürger. Insgesamt haben von den rund 1,6 Millionen mit Migrationshintergrund rund 700.000 die österreichische Staatsbürgerschaft.

Das Lichtermeer war eine Aktion von ein paar Bürgern, die große Teile der SPÖ, der Gewerkschaft, der Kirche und anderer gesellschaftlicher Gruppen mobilisieren konnten. NGOs wie SOS Mitmensch (feiert am 20.1. im Volkstheater) entstanden damals. Haiders Kalkül ging trotzdem auf, weil die entnervten Großparteien einen Großteil seiner Forderungen umsetzten.

Es nutzte nichts, wie die Statistik zeigt: Die große Zahl der Zuwanderer ist Realität. Was in den Jahren seither nicht oder viel zu wenig geschah, ist eine Politik, die mit dieser Zuwanderung pragmatisch und praktisch umgeht. Nicht alle Beschwerden der "autochthonen" Bevölkerung sind falsch oder rassistisch motiviert. Dem Faktum, dass man hunderttausende Menschen aus einer anderen Kultur und mit teilweise anderem Bildungsstand holte, sich dann aber nicht um ihre Entwicklung kümmerte, wird erst langsam Rechnung getragen.

Österreich ist durch die Zuwanderung ein anderes Land geworden. Leugnen kann man das nicht mehr, auch nicht mit verrückten Maßnahmen rückgängig machen. Man kann nur unermüdlich am Management der Situation arbeiten. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 9.1.2013)