Das neue Wiener Schulmodell sieht vor, dass "nur (noch) Kinder, die die Unterrichtssprache Deutsch ausreichend beherrschen, eine 1. Klasse Volksschule besuchen (dürfen)." So die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz schlägt in genau dieselbe Kerbe und will gleich österreichweit das Schulpflichtgesetz ändern und die Beherrschung der deutschen Sprache als Kriterium für die Schulreife verankern.

Klingt auch sehr einleuchtend, was Brandsteidl und Kurz sagen. Kinder sollen Deutsch können, bevor sie in die Schule kommen. Ja klar, das wäre gut. Das würde es den LehrerInnen in der Schule einfacher machen. Dann bräuchte sich auch die Politik keine Gedanken mehr zu machen, wie sie das Schulsystem so gestaltet, dass es fit für muttersprachliche Vielfalt ist.

Integrationsstaatssekretär Kurz verspricht, dass sobald Kinder, die nicht gut Deutsch können, gesondert unterrichtet werden und dabei ein Schuljahr einbüßen, sie "nicht mehr während ihrer gesamten Schullaufbahn zum Hinterherlaufen gezwungen sein werden". Es werde ihnen durch die frühe Absonderung im späteren Leben "das Ghetto erspart".

Bravo! Blöd nur, dass die Deutschkenntnisse eines Kindes, das eine andere Erstsprache als Deutsch hat, nichts, aber auch wirklich gar nichts über dessen sprachlichen und sonstigen Entwicklungsstand aussagen. Sechsjährige Kinder, die (noch) nicht Deutsch können, weil sie eine andere Sprache als Deutsch können, so zu behandeln als könnten sie gar keine Sprache, bedeutet daher nicht mehr und nicht weniger als diese Kinder vom frühesten Alter an zu diskriminieren.

Neben der ohnehin schon bestehenden Barriere, dass Kinder im Alter von zehn Jahren in unterschiedliche Schulzweige auseinanderdividiert und damit mit unterschiedlichen Bildungschancen ausgestattet werden, wird nun eine neue Trennlinie eingezogen. Diesmal nicht erst mit zehn, sondern schon im Alter von sechs Jahren. Während von der OECD angefangen über eine Vielzahl an BildungsexpertInnen über zahlreiche erfolgreiche Modelle in Europa allerorten für eine Aufhebung von derartigen Barrieren plädiert wird, führt Wien - und wenn es nach Kurz geht, ganz Österreich - eine neue solche Barriere ein.

Ab zur Nachschulung

Ein Vergleich: Sprachreife Kinder allein aufgrund ihrer nichtdeutschen Erstsprache vom regulären Unterricht auszuschließen und in Sonderklassen zu stecken, ist ungefähr so klug, wie wenn man jemandem die Fähigkeit zum Autofahren abspricht und vom öffentlichen Straßennetz ausschließt, nur weil er das falsche Autofabrikat manövriert, nämlich kein Deutsches.

Sie fahren einen Fiat? Das ist kein echtes Auto, her mit ihrem Führerschein und ab zur Nachschulung! In einem Jahr dürfen sie dann wieder auf die Straße, dann nehmen wir an, dass sie nicht mehr nur fiat-, sondern auch golf- und mercedestauglich sind. Absurd? Nicht absurd genug, wenn es um Schulpolitik geht.

Klar wissen wir alle, dass wer einen Fiat fahren kann, auch schnurstracks einen Golf zu lenken imstande ist, speziell, wenn die Person ein paar Tipps bekommt, worauf man achten muss. Genau das brauchen auch Kinder, die eine andere Sprache als Deutsch beherrschen. Sie brauchen Deutschförderunterricht innerhalb der Regelschule. Sie brauchen ein Umfeld, das es ihnen ermöglicht, Sprachschalter umzulegen.

Eine moderne Schulpolitik macht das Schulsystem fit für Deutsch als Erst- und Zweitsprache. Das betrifft den Förderunterricht ebenso wie die entsprechende Ausbildung von LehrerInnen und die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen,

Doch anstatt auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder, und um die sollte es ja eigentlich gehen, Rücksicht zu nehmen, nimmt die verantwortliche Politik vor allem auf die eigenen Bedürfnisse Rücksicht, nämlich möglichst wenig tun zu müssen und dafür möglichst viel Applaus einzuheimsen. Das Kinderauslagerungsmodell von Brandsteidl und Kurz ist Schulpolitik von vorgestern auf dem Rücken von Kindern, die in ihrer Entwicklung mit 6 Jahren noch nicht zurückliegen, aber durch unzulängliche Schulen und nun auch noch durch eine Sprachabsonderungspolitik zurückgeworfen werden.

Dass jetzt auch Unterrichtsministerin Claudia Schmied, die bisher gegen das Aussortieren von Kindern aufgrund deren Muttersprache aufgetreten ist, nun zumindest in Erwägung zieht auf diesen Zug aufzuspringen, ist unverständlich oder auch wiederum nicht, schließlich ist 2013 Wahljahr. Da sind einfache Antworten gefragt. (Alexander Pollak, DER STANDARD, 9.1.2013)