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Helmut Kraft: "Den Spielern wird hierzulande viel zu früh das Gefühl gegeben, dass sie etwas erreicht haben."

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"Die Sportklub-Fans praktizieren einen in der Fußballszene einzigartigen und wohltuenden Support. Gerade wenn man sich anschaut, wie blöd, unkultiviert, menschenverachtend und rassistisch sich Fans anderer Vereine teilweise aufführen, ist diese Vorbildfunktion immens wichtig."

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"In Deutschland genießt der Zuschauer eine Freizeitgestaltung auf hohem Niveau, in Österreich hat man gefrorene Finger und pickt mit einem kalten Hintern auf der Stahltribüne."

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Auch für Helmut Kraft ist Messi der Beste, Cristiano Ronaldo findet er nicht sympathisch, richtig angetan scheint er jedoch vom Anhang des Wiener Sportklubs zu sein, den er als "einzigartigen und wohltuenden Support" beschreibt. "Das Fanverhalten ist eine Frage der Kultur", sagt der neue Sportklub-Trainer im Interview mit derStandard.at, aber diese lässt leider nur allzu oft zu wünschen übrig. Der gebürtige Tiroler spricht sich gegen Stadionverbote und für ein offensives Auseinandersetzen mit den Problemkindern aus.

Nach seinem "interessanten" Engagement im American Football hat es dem früheren Ried-, Wacker- und Wiener-Neustadt-Trainer "zu denken gegeben, wie Fußballer ab einer gewissen Leistungsstufe verwöhnt werden, wie gut es ihnen geht und wie wenig sie das eigentlich zu schätzen wissen". Eine Aufstockung der zweiten Liga bezeichnet Kraft als "kompletten Nonsens", er sieht den österreichischen Kick auf einem guten Weg, wenngleich er konstatiert, dass Stadionbesucher "oftmals von der Tristesse eingeholt werden".

derStandard.at: Wer wäre Ihr Weltfußballer? 

Kraft: Ganz klar der, den ohnehin alle gewählt haben. Messi ist der beste, gar keine Frage.

derStandard.at: Wen sehen Sie auf Platz zwei?

Kraft: Ich bin kein Ronaldo-Fan, weil er mir vom Typ her nicht so sympathisch ist, daher würde ich ihn nicht auf Platz zwei sehen. Eher einen der beiden Barcelona-Mittelfeldspieler Xavi oder Iniesta, sie sagen mir von Auftreten und Ausstrahlung her mehr zu.

derStandard.at: Sie waren zuletzt in der PR-Abteilung der Rangers Wiener Neudorf im American Football engagiert. Ihr Resümee nach dem Ausflug auf ungewohntes Terrain?

Kraft: Das war ein ganz interessantes Jahr. Ich bin vom Profifußball in den Amateurbereich gewechselt. Diese Form von Amateurismus ist im Fußball undenkbar, und zwar in der Hinsicht, dass nichts bezahlt wird und jeder für sich selbst verantwortlich ist. Mir hat stark zu denken gegeben, wie die Fußballer ab einer gewissen Leistungsstufe verwöhnt werden, wie gut es ihnen geht und wie wenig sie das eigentlich zu schätzen wissen.

Ein ohnehin nur dreitägiges Trainingslager bei den Rangers spielte sich unter einfachsten Verhältnissen ab. Statt Fünfsternehotel waren wir in einer Pension untergebracht, die zehnstündige Anreise erfolgte selbstverständlich mit dem Bus. Sie leben für den Sport und nicht vom Sport, und sie müssen obendrein viel Geld in ihre Ausrüstung investieren. Man kann den Fußballern jedoch nicht viel vorwerfen, das Problem liegt in der Entwicklung des Profifußballs. 

derStandard.at: Im Gespräch mit dem STANDARD sagten sie vor rund einem Jahr, dass "Fußballer in einer Scheinwelt leben, weil sie bombig bezahlt werden" ...

Kraft: Wenn man vor einem vollen Teller am Tisch sitzt, weiß man nicht, wie sich jemand fühlt, der nichts am Teller hat. Manchen Fußballern täte es gut, einmal vor einem leeren Teller zu sitzen, um das wieder zu schätzen, was am Teller ist.

In Österreich haben wir viele gute Nachwuchsspieler, auffällig ist jedoch, dass oftmals nicht mehr viel weitergeht, wenn sie im Profitum angekommen sind. Außer sie wechseln ins Ausland, dort nämlich herrschen andere Sitten. In Österreich jedoch fühlt sich ein junger Profi zu schnell als Star, der es geschafft hat. Den Spielern wird hierzulande viel zu früh das Gefühl gegeben, dass sie etwas erreicht haben, dass der Weg ins Land, wo Milch und Honig fließen, vorgezeichnet ist.

derStandard.at: Gibt es eine Möglichkeit zu verhindern, dass Spieler abheben?

Kraft: Man sollte Jungprofis vermitteln, dass sie erst am Start und nicht schon am Ziel sind, man sollte ihnen keine Verträge unter die Nase halten, mit denen sie ein Vielfaches des Gehalts ihres Vaters verdienen. 

Positives Beispiel ist David Alaba, der in München lange bei einer Gastfamilie untergebracht war und ganz langsam an höhere Einnahmen gewöhnt wurde. Der Bub steht heute noch mit beiden Füßen auf dem Boden. Ein anderes Beispiel ist Marko Arnautovic, der viel zu früh mit zu viel Geld und Ruhm überschüttet wurde und nun erst langsam in die richtige Spur findet.

derStandard.at: Was macht den Reiz aus, mit dem Wiener Sportklub einen Nachzügler der Regionalliga Ost zu trainieren?

Kraft: Der Wiener Sportklub hat in Österreich einen Namen, der untrennbar mit Erfolgen wie dem legendären 7:0-Sieg gegen Juve und drei Meistertiteln verbunden ist. Der Sportklub hat Tradition, hat eine tolle Anhängerschaft. Fans, die sich zu einer richtig guten Fangemeinschaft entwickelt haben, die die Mannschaft richtig unterstützen, nicht nur dann, wenn das Team gewinnt. Vor allem wenn es nicht so läuft, unterstützen sie die Mannschaft lautstark. Es gibt in Österreich nicht viele Vereine, die eine derartige Tradition vorweisen können. Anreiz ist sicher auch, dass man den Verein, der in der Ostliga aktuell weiter hinten angesiedelt ist, wieder weiter nach vorne bringt.

derStandard.at: Abgesehen vom renovierungsbedürftigen Stadion, wo orten Sie die Baustellen im Sportklub-Team?

Kraft: In erster Linie müssen wir schauen, dass alle Spieler fit werden. Sertan Günes, ein tragender Spieler des Vereins, war den gesamten Herbst verletzt. Außerdem müssen wir versuchen, ein paar junge Spieler in die Mannschaft einzubauen. Es gibt ein paar gute junge Spieler, die das Zeug dazu haben. Außerdem sind ein paar Veränderungen in der Grundformation vonnöten. Ich werde versuchen herauszufinden, welcher Spieler an welcher Position am besten geeignet ist. Im körperlichen Bereich müssen wir auch viel arbeiten, dann können wir auch in der Meisterschaft gute Figur machen.

derStandard.at: Die Trainingsmöglichkeiten sind perfekt oder verbesserungswürdig?

Kraft: Vielleicht nicht perfekt, aber für Regionalliga-Verhältnisse sehr gut. Diesbezüglich kann es keine Ausrede geben.

derStandard.at: Alljährlich wird das Ligaformat diskutiert. Ihr Standpunkt?

Kraft: In Österreich gibt es wenige Vereine, die sich den Spielbetrieb in der zweiten Liga leisten können. Wichtig wäre, dass man die wirtschaftlichen Voraussetzungen schafft, schließlich ist der Unterschied zwischen der zweiten Liga und den Regionalligen enorm. In Österreichs zweiter Liga findet man oft nicht die wirtschaftlichen Rundumbedingungen, die für einen Profibetrieb erforderlich sind. Nach meinen Erfahrungen haben wir in diesem Bereich teilweise Scheinprofibetriebe. Da gibt es Nachholbedarf.

derStandard.at: Somit ist für Sie eine Ausweitung der zweiten Liga wohl auch kein Thema ...

Kraft: Die zweite Liga aufzustocken finde ich kompletten Nonsens. Vorstellbar wäre eventuell eine Aufstockung der Bundesliga auf zwölf oder 14 Vereine.

derStandard.at: In dem STANDARD-Interview vor einem Jahr sagten Sie auch, dass "der Fußball im Moment in Österreich nicht gespielt, sondern getreten wird". Wird der Fußball mittlerweile wieder gespielt?

Kraft: Ich glaube, ja. Heuer im Herbst hat sich der Fußball meiner Meinung nach stark verbessert und von einer besseren Seite gezeigt als noch im Jahr davor. Nach dem Spitzenstart der Admira, die dann leider komplett eingegangen ist, hat die Austria überragend gespielt. Die Salzburger haben zumindest den richtigen Ansatz gefunden, indem sie nun junge Ausländer holen.

derStandard.at: Was müsste getan werden, damit Österreichs Fußball attraktiver wird? 

Kraft: Ein großes Manko in Österreich ist, dass man von der Tristesse eingeholt wird, wenn man ins Stadion geht, da kann man Fußball spielen, so gut man will. Es fehlt an wirtschaftlichen Strukturen, dass Stadien so gestaltet werden können, dass sich die Leute dort wohl fühlen. Da gibt es viel aufzuholen.

Es ist kein Wunder, dass in Deutschland die meisten Zuschauer kommen, sie haben einfach die tollsten Stadien, und diese locken eben die Massen an. Es entsteht ein ganz anderer Eindruck eines Spiels, wenn es anstatt in einer alten Ruine in einer tollen Arena gespielt wird. In Deutschland genießt der Zuschauer eine Freizeitgestaltung auf hohem Niveau, in Österreich hat man gefrorene Finger und pickt mit einem kalten Hintern auf der Stahltribüne.

derStandard.at: Die EM 2008 wäre eine gute Gelegenheit gewesen, diesbezüglich voranzukommen ...

Kraft: Salzburg hat ein schönes Stadion, leider fehlen dort die Zuschauer. Das Happel-Stadion ist kein Bundesliga-Stadion, das Innsbrucker Stadion wurde wieder zurückgebaut, und in Kärnten gibt es keinen Fußball. Somit ist schon alles erledigt. Das ist wirklich arg, da sieht man das Dilemma im österreichischen Fußball.

derStandard.at: Der Fußball an sich wäre hierzulande gar nicht so schlecht, wie es oft den Anschein hat?

Kraft: Auch wenn es international in letzter Zeit nicht besonders rosig ausgesehen hat, so hat sich der Fußball doch ganz gut weiterentwickelt. Auch das Nationalteam vermittelt den Eindruck, dass etwas weitergeht, und alle Verantwortlichen sind gefordert, dass man diesen Eindruck weiter bestätigt. Man bewegt sich auf einem schmalen Grat, und in Österreich gibt es nur Schwarz oder Weiß, daher kippt die Stimmung auch oft einmal ziemlich schnell. Jetzt gilt es, den Funken, der glimmt, fest anzufachen, damit es vielleicht doch einmal ein wärmendes Feuer gibt, das dem Fußball wieder auf die Sprünge hilft.

derStandard.at: Holen RBS, Rapid und Austria annähernd das Maximum aus ihren Möglichkeiten heraus?

Kraft: Die Austria schon, Rapid präsentiert sich auch besser, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Bei den Hütteldorfern wird vieles negativ betrachtet, was eigentlich gar nicht so schlecht ist. Dort gibt es viele Junge von den eigenen Amateuren. Ich glaube, dass sie auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass es gelingt, das Projekt Stadionneubau zügig voranzutreiben, weil das einen Riesenimpuls für den Verein mit den meisten Anhängern geben würde. Für Salzburg lautet die Antwort logischerweise Nein, weil für die Möglichkeiten viel zu wenig herausgeholt wird.

derStandard.at: Die Fans des Sportklub sind in puncto Fairness und Support positiv verhaltensauffällig. Könnten eine rauere Ausdrucksweise und ein weniger kuscheliger Umgang der Fans mit der Mannschaft in Zeiten der Krise vielleicht besser sein?

Kraft: Ich glaube nicht. Die Sportklub-Fans praktizieren einen in der Fußballszene einzigartigen und wohltuenden Support. Gerade wenn man sich anschaut, wie blöd, unkultiviert, menschenverachtend und rassistisch sich Fans anderer Vereine teilweise aufführen, ist diese Vorbildfunktion immens wichtig. Die Spieler des Sportklub schätzen die angenehme Atmosphäre, sind froh, dass keine aggressive und gewaltbereite Stimmung in das Stadion hineingetragen wird. Das Fanverhalten ist eine Frage der Kultur, und leider hat in den letzten 30, 40 Jahren eine Unkultur im Fußball Einzug gehalten. Das Verhalten auf der Friedhofstribüne ist hoffentlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

derStandard.at: Stichwort Fangewalt: Sind Stadionverbote zielführend?

Kraft: Wenn es Leute gibt, die nichts kapieren wollen, dann ist irgendwann ein Stadienverbot auszusprechen, aber prinzipiell halte ich von Verboten überhaupt nichts. Man sollte versuchen, mit den Unmutsäußerungen von vornherein schon anders umzugehen. Der Platzsturm im Derby Rapid gegen Austria ist ja nicht unmittelbar die Folge des Spiels gewesen, sondern vielmehr ein Resultat einer längeren Entwicklung. Um dem entgegenwirken zu können, ist es notwendig, dass man erkennt, welche schlechten Früchte am Baum reifen und welche guten. 

derStandard.at: Was können Vereine gegen Fangewalt tun?

Kraft: Es gilt, die Augen offen zu halten und frühzeitig mit Argumentation und Überzeugungsarbeit zu reagieren. Dann sollte es möglich sein, einen großen Teil der Probleme in den Griff zu bekommen. Wichtig ist, die Fankultur immer wieder mit positiven Beispielen zu füttern. Man sollte versuchen, Leute mit Hirn in die Fanklubs zu integrieren, die sich der Problemkinder annehmen, die ja ohnehin bei jedem Verein bekannt sind. Viele wollen sich nicht mit ihnen auseinandersetzen, aber diese Leute sind nicht unzugänglich, sie haben etwas zu sagen, sie haben Anliegen, Wünsche und Hoffnungen. (Thomas Hirner, derStandard.at, 9.1.2013)