Menschen mit Depressionen gelingt es meist nur schlecht, den Einfluss negativer Informationen auf ihr Denken und Empfinden zu begrenzen. Diese mangelnde Selbstkontrolle über die Verarbeitung negativer und belastender emotionaler Signale wird als eine wesentliche Ursache depressiver Erkrankungen betrachtet und geht mit einer geringeren Aktivität des linken Stirnhirns einher.

Durch die Steigerung dieser beeinträchtigten Aktivität im linken Stirnhirn mit transkranieller Gleichstromstimulation gelingt es, das Defizit der kognitiven Kontrolle bei Patienten mit Depressionen zumindest vorübergehend für die Zeit der 20-minütigen Stimulation zu beseitigen. Das konnten Christian Plewnia von der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Larissa Wolkenstein von der Abteilung Klinische Psychologie der Universität Tübingen im Rahmen einer Studie zeigen, die im  Wissenschaftsjournal Biological Psychiatry veröffentlicht wurde.

Aktivierende Wirkung auf den stimulierten Hirnbereich

Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation wird schwacher elektrischer Strom eingesetzt, der für die Patienten kaum spürbar ist, aber eine aktivierende Wirkung auf den stimulierten Hirnbereich haben kann. Bei den depressiven Patienten, die an der Tübinger Untersuchung teilnahmen, wurde eine stärkere Ablenkung durch emotional bewegende im Vergleich zu emotional neutralen Abbildungen festgestellt, was zu schlechteren Leistungen in einem einfachen Gedächtnistest führte.

Diese erhöhte Ablenkbarkeit durch emotionale Informationen ließ sich unter der Behandlung mit transkranieller Gleichstromstimulation nicht mehr feststellen. Die Patienten mit Depressionen haben mit der Stimulation die Fähigkeit wiedererlangt, den erhöhten Einfluss emotionaler Informationen auf ihr Denken und Handeln zu kontrollieren. Sie unterschieden sich damit nicht mehr von den gesunden Versuchspersonen.

Mit diesen Erkenntnissen lässt sich die Wirkungsweise antidepressiver Hirnstimulation besser verstehen. Bestätigt sich ihre Effektivität in weiteren klinischen Studien, könnten sie sich neben der Psychotherapie und der medikamentösen Behandlung als weitere Möglichkeit zur Behandlung von depressiven Störungen etablieren. (red, derStandard.at, 8.1.2013)