Zwanzig Jahre nach der friedlichen Auflösung des tschechoslowakischen Staatsverbundes stimmen praktisch alle Beobachter in der verblüffenden Gesamtbeurteilung überein: Nach einem bedenklichen Anfang wies die Slowakei eine unerwartete Erfolgsgeschichte auf, während sich Tschechien nach einem vielversprechenden Start als eine der größten Enttäuschungen entpuppte.

Sowohl bei der gelungenen Scheidung wie auch bei der innen- und wirtschaftspolitischen Entwicklung Tschechiens hat der heute 71-jährige Nationalökonom Václav Klaus eine Schlüsselrolle gespielt. Noch vor der Wende am 12. November 1989 trat er zum ersten Mal vor der internationalen Öffentlichkeit in einem ORF-"Oststudio" zum Generalthema "Von der Wende zum Ende - Systemkrise im Osten" auf. Nach der Live-Diskussion mit Gästen auch aus Deutschland, Slowenien und Ungarn charakterisierte Kurt Vorhofer in der "Kleinen Zeitung" Klaus als einen "akademischen Schwejk", der die Dinge, auf die es ankomme, mehr zwischen den Zeilen sage, zumal er "auf die noch stark vereisten Zustände" in seinem Land Bedacht nehmen müsse.

Knapp zwei Wochen später war der Umbruch in Prag in vollem Gange. Klaus war bei den spannenden Verhandlungen bereits auf Václav Havels Seite anwesend. Der "akademische Schwejk" entpuppte sich bald als großes politisches Talent. Im Jahr darauf war er bereits Finanzminister, ein Jahr später gründete er seine eigene Demokratische Bürgerpartei (die ODS), und 1992 rückte er zum Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik auf.

Vor dem Hintergrund der politischen Duelle zwischen den beiden "Václavs", dem Regierungschef Klaus und dem Präsidenten Havel, hatte der überzeugte Anhänger der "Marktwirtschaft ohne Adjektive" zwischen 1992 und 1998 ein schwindelerregendes Tempo der Privatisierung der tschechischen Wirtschaft diktiert. Nach seinem wegen eines Spesenskandals erfolgten Rücktritt blieb Klaus als Parlamentspräsident und bis 2002 als Vorsitzender der ODS der stärkste Gegenspieler der Sozialdemokraten.

Ab Anfang 2003 hat der 2008 wiedergewählte Klaus als Staatspräsident rund zehn Jahre lang direkt und indirekt durch Vetos gegen diverse Regierungsvorlagen und durch die (zeitweilige) Verweigerung seiner Unterschrift bei wichtigen internationalen Abkommen sowie bei der Einflussnahme innerhalb seiner Partei und der von dieser geführten Regierungen die Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik maßgeblich mitgeprägt.

Vor dem Ende seiner Präsidentschaft am 8. März wollte Klaus offensichtlich mit einer großen Geste, mit einer unerwarteten Massenamnestie den Abschied von der politischen Bühne krönen. Die bevorstehende Freilassung von rund 7000 Häftlingen und vor allem die beabsichtigte Einstellung der Verfahren gegen Großbetrüger und Bankrotteure, die in den Neunzigerjahren zehntausende Menschen um ihr Geld gebracht hatten, löste aber national und international eine Welle beispielloser Empörung aus. Nach einem glänzenden Start vor zwei Jahrzehnten erleben wir einen traurigen Abgang des trotz seiner zunehmend eigensinnigen, ja skurrilen Handlungen zweifellos herausragendsten Politikers der postkommunistischen tschechischen Demokratie. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 8.1.2013)