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Der Flüchtlingsprotest ist mit zur Sache der Caritas und Teilen der katholischen Kirche geworden, was jedoch einigen Unterstützern missfällt.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Nach zwei Wochen Flüchtlingsprotest in der Wiener Votivkirche schießen sich Freiheitliche und BZÖ zunehmend darauf ein, dass dieser immer noch stattfindet. Der Wiener FPÖ-Klubchef und stellvertretende FPÖ-Bundesparteiobmann Johann Gudenus etwa meinte am Samstag, unter einem freiheitlichen Innenminister wären die Hungerstreikenden schon längst in Schubhaft und würden zwangsernährt.

Das macht deutlich, mit welchen Tabubrüchen (Zwangsernährung Hungerstreikender) in Österreich zu rechnen wäre, wenn nach den kommenden Wahlen die FPÖ mit in die Regierung und mit dem Innenministerium an ein zentrales politisches Ressort kommt.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die von Gudenus wegen ihres Verhaltens angesichts der Proteste als völlig inkompetent dargestellt wird, setzen derlei Ansagen aktuell wohl nicht besonders unter Druck: Ihre Entscheidung, vergangenen Mittwoch mit einer Abordnung von Flüchtlingen zu sprechen, war sicher wohl überlegt. 

Die Frage aber ist, ob im schwarz regierten Innenministerium die Abkehr von verbaler Kollektivverurteilung von AsylwerberInnen, wie sie unter Mikl-Leitners Vorgängerin, der jetzigen Finanzministerin Maria Fekter, noch gang und gäbe war, auch im weiteren Wahljahr 2013 durchgehalten wird. Vor Urnengängen hat die ÖVP ja zuletzt meist den rechten Rand als möglichen Stimmenlieferanten entdeckt.

Unterstützer auf dem Harnisch

Zurück zum Protest der Flüchtlinge: Dass dieser weiter aufrecht ist, ist trotz verbaler Abrüstung im Ministerium wohl hauptsächlich dem Umstand anzurechnen, dass sich das Matratzenlager in einem Gotteshaus befindet und dass die Caritas sowie ÄrztInnen der Johanniter die Betreuung der Hungerstreikenden übernommen haben.

Das bringt manche UnterstützerInnen, die seit Beginn der Flüchtlingsproteste - Plenas im Oktober und November, Marsch aus Traiskirchen nach Wien, Errichtung des inzwischen unter fragwürdigen Umständen polizeilich geräumten Zelt-Lagers im Sigmund-Freud-Park - mit dabei waren, auf den Harnisch.

So ergeht sich etwa ein solcher Unterstützer, der namentlich nicht genannt werden will, bei Nachfrage in Suaden über den angeblichen "Zynismus" der Caritas und deren Repräsentanten. Der Wiener Caritaspräsident Michael Landau sei "ein Rechter", meint er, die Flüchtlinge, die die Caritas im Grunde "aus der Kirche weghaben" wolle, würden "belogen". Seine Ansichten sind rund um die Flüchtlingsproteste derzeit keine Einzelmeinung.

Hier paart sich undifferenzierte Kirchenfeindlichkeit mit offenbarem Unwissen über die seit Jahrzehnten bewiesene Kompetenz der Caritas in Flüchtlingsfragen - sowie über die kritische Haltung von Teilen der katholischen Kirche zur österreichischen Asylpolitik. Diese wurde am Freitag etwa durch die Superiorenkonferenz der Männerorden in Österreich (siehe Dokument links) unter Beweis gestellt.

Männerorden sind solidarisch

In einem Sechspunktepapier schreibt diese: "Den in der Votivkirche protestierenden Flüchtlingen geht es nicht um eine Totalopposition zum Asylwesen in Österreich. Sie wollen auf ihre individuelle Situation, die sie als aussichtslos und perspektivenlos einschätzen, aufmerksam machen. Den Großteil ihrer Forderungen teilen sie mit sozialen und humanitären Organisationen".

So bitter nötig die Kritik am reaktionären Kurs im Vatikan und an Anachronismen wie den Zölibat und den Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe ist: Aber diese verliert keineswegs an Biss, wenn man ein solches Papier als Solidaritätserklärung mit den Hungerstreikenden in der Votivkirche wahrnimmt - und wertschätzt.

Zumal das breite soziale Engagement der Caritas im Vatikan, wie er derzeit ist, als zu kirchenfern gilt: Im Mai 2012 wurde der Caritas-Dachverband, die Caritas Internationalis, daher rechtlich enger an die Kirche gebunden - auf dass sie deren Botschaft künftig deutlicher verbreite: ein Versuch, deren Handlungsfähigkeit einzuschränken.

Handlungsfähigkeit hat die Wiener Caritas mit der Unterstützung der Flüchtlinge bewiesen, die aus eigenem Antrieb in die Votivkirche kamen. Dadurch ist der Protest mit zur Sache der Caritas und Teilen der katholischen Kirche geworden. Vielleicht ist die UnterstützerInnen-Wut schlicht diesem Umstand geschuldet: weil sie nicht mehr die einzigen UnterstützerInnen sind, also die ursprüngliche Bewegung wohl oder übel gespalten wurde.

Politischer Futterneid?

Somit könnten die von der Caritas kritisierten Gerüchteverbreitungen und unsachlichen Einmischungen durch Unterstützer in der Kirche ihre Ursache also in politischem Futterneid haben. Dass sie in Boulevardmedien, von Freiheitlichen und BZÖ willig als Beleg dafür genommen wurden, dass nicht Flüchtlinge, sondern österreichische und deutsche "AufrührerInnen" am Werk seien, zeigt, wie prekär die Lage rund um den Protest ist.

Tatsächlich ist auch zwei Wochen nach der Eröffnung des Flüchtlingscamps in der Kirche keine Lösung in Sicht. Die 40 Flüchtlinge halten an ihrem Hungerstreik nach dem Prinzip "Einer für alle, alle für einen" fest, kämpfen unter Einsatz ihrer Gesundheit um Aufenthaltsrecht und eine lebenswerte Perspektive in Österreich oder sonst wo in Europa - auch für jene in der Gruppe, die Österreich und Europa nach rechtskräftig negativen Bescheiden verlassen sollen.

Damit einhergehend sind Forderungen nach tiefgreifenden Reformen im Asylwesen, von denen manche den innenpolitischen Horizont überschreiten. Der Protest der Flüchtlinge bleibt eine im Asylbereich in Österreich bisher ungekannte politische Herausforderung, und es ist zu hoffen, dass die Antwort auf sie letztendlich nicht doch eine repressive sein wird. (Irene Brickner, derStandard.at, 5.1.2013)