Jubiläen sind die frische Landbutter auf dem Brot der Kulturverwaltung. Nehmen wir Wagner und Verdi: Die unerhörte Findigkeit des Zufalls hat uns den Aufgang dieses Doppelgestirns am Opernhimmel 2013 beschert (200. Geburtstag).

Nun könnte man mit Recht entgegnen, die beiden antipodischen Herren seien gar nie weg gewesen. Wagner zum Beispiel: Man entsinnt sich bei dem kleinwüchsigen Sachsen einiger sehr unschöner Wesenszüge.

Er verpulverte das Geld seines Sponsors Wesendonck und stieg - sozusagen als Dankeschön! - mit dessen Gemahlin in die Kiste. Charakterlich wird man ein derartiges Verhalten nicht unbedingt gutheißen wollen. Und doch: diese Musik. Diese herrliche Uneindeutigkeit des Tristan-Akkordes! Da ist dem Wagner wirklich etwas aus der Feder geflossen. Wenn Wagnerianer nicht zumeist schon die 50 überschritten hätten, sie würden sich die süße Schwelgerei bestimmt herunterladen oder sie als Klingelton benutzen.

Bei Wagner scheint somit der Fall klar: ein kleiner, obendrein offen antisemitischer Sexprotz, der die Erregungskurve eines Orgasmus täuschend echt in Musik zu verwandeln verstand. Chapeau, das kann nicht jeder, da sieht man dem Wagner gerne etwas nach!

Kniffliger wird die Sache bei anderen Jubilaren des Prachtjahres 2013. Da wäre zum Beispiel Richard Nixon. Der hat sich, wenn auch leider unfreiwillig, um die Kultur der journalistischen Aufdeckung verdient gemacht. Als amerikanischer Präsident war "Tricky Dick" eher ein Schurke, man erinnere sich an Watergate. Gedenkt man seiner nun rühmlich, bloß weil er heuer 100 Jahre alt geworden wäre?

Es hilft nichts, Jubiläen müssen ausgestanden werden. Kehren wir zur Musik zurück und entsinnen uns Mick Jaggers. Der rüstige Rolling Stone feiert heuer sein 70. Wiegenfest. Wir stehen schon wieder vor dem Phänomen: ein nicht sehr großwüchsiger Sexprotz, der die Erregungskurve eines Orgasmus täuschend echt ... Ad multos annos! (Ronald Pohl, DER STANDARD, 5./6.1.2013)