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Simone de Beauvoir (hier auf einem Archivbild aus dem Jahr 1982): "Da ich nicht denke, dass die Frau von Natur aus dem Manne unterlegen ist, denke ich auch nicht, dass sie ihm von Natur aus überlegen ist".

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Sie war Schriftstellerin und Philosophin und als solche die bedeutendste Vertreterin des Existentialismus. Weltweit berühmt wurde Simone de Beauvoir aber vor allem durch ihr feministisches Grundlagenwerk "Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau" ("Le Deuxième Sexe"). 1949, bereits 20 Jahre vor der Etablierung der Neuen Frauenbewegung, erstmals erschienen und bald darauf in alle europäischen Sprachen übersetzt, ist es bis heute das meist verkaufte Sachbuch des Feminismus. Ohne dieses epochale Werk wäre die zweite Frauenbewegung undenkbar gewesen. Ein Grund mehr, sich mit der unkonventionellen Denkerin zu beschäftigen.

Die Frau - "das Andere"

In ihrer 700 Seiten starken Analyse spannte Beauvoir einen Bogen von der frühen Geschichte bis zur Gegenwart und berücksichtigte dabei beinahe alle wissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer Zeit. Das wichtigste Ergebnis: "Weiblichkeit" sei ein patriarchales Konstrukt, in dem die Frau als ein Komplement des Mannes zu fungieren habe. Während sie das Andere, das relative Objekt stelle, verkörpere er das absolute Subjekt. In diesen determinierenden Kategorisierungen - Frau/Körper/Natur versus Mann/Geist/Kultur - ortete sie nichts anderes als ein hohles Abstrakt uralter Biologismen.

Die Publikation löste einen Sturm der Empörung aus. "Männerfresserin", "bacchantische Priesterin", "Suffragette und Amazone, die eine Hälfte der Menschheit gegen die andere aufzubringen versucht" waren nur einige emotionsgeladene Aussprüche im Reigen der Schimpftiraden. Während das Buch von weiten Teilen der männlichen und rechten Presse als "unsachlich" diffamiert und vom Vatikan auf den Index verbotener Bücher gesetzt wurde, blieben auch private Anschwärzungen nicht aus. Francois Mauriac bezeichnete es sogar als "Brechmittel" und höhnte: "Jetzt wissen wir alles über die Vagina der Simone de Beauvoir."

Das Problem mit der Mutterschaft

Auf der anderen Seite erntete Simone de Beauvoir auch massenhaft Lob. Die Grundaussage des Buches "Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird dazu gemacht" sprach vielen Frauen aus der Seele. Endlich war da etwas, das Thesen zur weiblichen Selbstverwirklichung sozialhistorisch begründete und Lösungen nicht bloß anbot, sondern auch forderte. Und: Beauvoir selbst lebte ja vor, wie es gehen könnte.

Kritik aus den eigenen Reihen musste sie trotzdem einstecken. Zielscheibe des Vorwurfs: Sie leugne biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was sich in ihren "negativen Ansichten" über die Mutterschaft manifestiere. Besonders der Satz "Mutterschaft ist heute eine wahre Sklaverei" löste heftige Proteste aus. Bis an ihre Pariser Privatadresse schrieben Frauen aus aller Welt: "Sie haben etwas gegen Mütter! Sie sind wohl frustriert! Schütten Sie das Kind doch nicht mit dem Bade aus!" Und bis heute, so Alice Schwarzer in ihrem Essay zu Beauvoirs 100. Geburtstag, "beharren alle, die die Radikalität und mangelnde Bereitschaft zum (Selbst-)Betrug im Denken von Simone de Beauvoir nicht aushalten, darauf sie misszuverstehen".

Verlogene Doppelmoral

"Grundlegende Missverständnisse", wie Simone de Beauvoir später in zahlreichen Interviews betonte. Denn nie und nirgends hätte sie jemals behauptet, es gäbe keine Unterschiede zwischen Frau und Mann, sondern die Gebärfähigkeit der Frau würde dazu missbraucht, sie kulturell und sozial zu unterdrücken. Gerade der Glaube an die "Natur der Frau" führe die Frauen in die Irre und verleite dazu, sich abhängig zu machen. Wenn sie sagte "Frauen sollten sich vor der Falle Mutterschaft hüten", dann kritisierte sie vor allem die patriarchale Doppelmoral: "Väter und Gesellschaft lassen die Frauen mit der Verantwortung für die Kinder ziemlich allein. Die Frauen sind es, die aussetzen, wenn ein Kleinkind da ist. Frauen nehmen Urlaub, wenn das Kind die Masern hat. Frauen müssen hetzen, weil es nicht genug Krippen gibt...", so Beauvoir im "Spiegel"-Interview 1976.

"Außergewöhnliche Verlogenheit"

Ein weiteres Problem der Mutterschaft sei, dass nur den Müttern die Schuld zugewiesen werde, wenn es mit den Kindern Probleme gibt, analysierte Beauvoir in "Das andere Geschlecht". Die Mutter sei zwar für alles Familiäre verantwortlich, eine beliebte Sündenziege, aber im Grunde rechtlos. Die Behauptung, dass "Mutter und Kind einander ausschließlich zugehörten" sei ein Trugschluss und stelle "eine verhängnisvolle Unterdrückung" dar. In Wahrheit gehören die Kinder den Vätern und dem Staat, wie sich anhand von Abtreibungs- und Obsorgegesetzen zeige. Deshalb sei es eine Täuschung, dass "im Muttertum ... die Frau dem Mann völlig ebenbürtig" werde. Alleine die Tatsache, "dass man die Verachtung, die man den Frauen zollt, mit der Achtung, die man den Müttern entgegenbringt, vereinen will", zeige doch schon die "außergewöhnliche Verlogenheit". Doch "da man den Frauen nicht die Schönheit des Geschirrspülens preisen kann, preist man ihnen die Schönheit der Mutterschaft", spottete sie im "Spiegel"-Interview. Davor wollte sie die Frauen warnen.

Gegen "finsteren Biologismus"

Obgleich sich Simone de Beauvoirs Theorien keiner feministischen Strömung eindeutig zuordnen lassen, steht sie dem Gleichheitsfeminismus näher. "Da ich nicht denke, dass die Frau von Natur aus dem Manne unterlegen ist, denke ich auch nicht, dass sie ihm von Natur aus überlegen ist". Hier wird deutlich, wie sehr sie den Differenzansatz ablehnt. In einem mit Alice Schwarzer 1976 geführten Interview sprach sie sich in aller Schärfe gegen ein "Anders- oder Besser-Sein" von Frauen aus: "Das wäre finsterer Biologismus und steht in krassem Gegensatz zu allem, was ich denke. Wenn man uns sagt: Immer schön Frau bleiben, überlasst uns nur all diese lästigen Sachen wie Macht, Ehre, Karrieren, seid zufrieden, dass ihr so seid: erdverbunden, befasst mit den menschlichen Aufgaben ... Wenn man uns das sagt, sollten wir auf der Hut sein!"

Der Vater sagte einst: "Wie hässlich du bist!"

Möglicherweise war es ein Fauxpas ihres Vaters, der die am 9. Jänner 1908 als Simone Lucie Ernestine Marie Bertrand de Beauvoir in Paris geborene Tochter einer großbürgerlichen Familie dazu brachte, alles daran zu setzen, eine Intellektuelle zu werden. Als sie zwölf war, schockierte er sie mit den Worten "Wie hässlich du bist!". Eine Aufforderung für die kleine Simone, besessener denn je zu lernen, um ihn, den Belesenen, auf diese Art zu gefallen. Nach der Matura studierte sie zuerst Philologie und Mathematik, dann Philosophie an der Sorbonne und diplomierte 1929 mit einer Arbeit über Leibnitz. Während ihrer Probezeit als Lehramtskandidatin lernte sie Jean-Paul Sartre kennen und lieben. Eine lebenslange Beziehung, jenseits der damals gültigen Muster, begann. Beide wollten sich den Normen der bürgerlichen Ehe widersetzen und so vereinbarten sie, getrennt zu wohnen und sich auch in sexueller Hinsicht jede Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren.

Das Leben einer Bohèmienne

Zwischen 1929 und 1945 unterrichtete Simone de Beauvoir Philosophie an verschiedenen Schulen und gab auch Privatstunden. Nebenbei führte sie das typische Leben einer Intellektuellen. In regelmäßigen Sitzungen mit Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Jean Genet, Alberto Giacometti und Pablo Picasso wurden im Café Flore am Boulevard St. Germain-des-Prés gesellschaftspolitische Probleme erörtert und die Widerstandsgruppe "Socialisme et Liberté" gegründet.

Nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst 1943 war Beauvoir ausschließlich als freie Schriftstellerin tätig. Neben autobiografischen Romanen publizierte sie auch eine Reihe gesellschaftskritischer Schriften sowie philosophische und politische Essays.

Aktiv in der Frauenbewegung

Erst zwanzig Jahre nach "Das andere Geschlecht" war Simone de Beauvoir aktiv in der Frauenbewegung tätig. Sie wurde Vorsitzende der Gruppe "Choisir" und Präsidentin der "Liga für Frauenrechte" in Frankreich. 1971 gehörte sie zu jenen 343 Frauen, die sich in der Zeitschrift "Le Nouvel Observateur" selbst bezichtigten, abgetrieben zu haben. Mit der Aktion "J'ai avorté" ("Ich habe abgetrieben") sollte der damals gültige Abtreibungsparagraf ausgehebelt werden. Außerdem unterstützte sie Frauenhäuser und das "Antisexistische Gesetz" von 1983 gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und setzte sich gegen den Algerien-Krieg, AusländerInnenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ein.

Die letzten Jahre

Nach dem Tod Jean-Paul Sartres 1980 erlitt sie einen Schock musste einen Monat lang im Krankenhaus behandelt werden. Wie schon beim Tod ihrer Mutter, versuchte sie diesen Verlust durch Schreiben zu verarbeiten. In "Die Zeremonie des Abschieds" berichtete sie mit totaler Offenheit über die letzten Lebensjahre und das Siechtum Sartres.

Dass Simone im letzten Drittel ihres Lebens auch noch eine innige Liebesbeziehung zu ihrer 34 Jahre jüngeren Adoptivtochter Sylvie le Bon hatte, wird in den Medien gerne verschwiegen. Zu schön ist das Bild von der lebenslangen Verbindung von Beauvoir und Sartre, das trotz anderer beidseitiger Liebeleien nicht angekratzt werden durfte. So scheint es zumindest. "Das ist sehr bedauerlich", meint Luise F. Pusch auf FemBio, "denn ähnlich wie die Beziehung zwischen Simone und Jean-Paul unbestreitbar einen großen Einfluss darauf hatte, wie emanzipierte Frauen heute vorzugsweise ihre Männerbeziehungen gestalten, könnte und sollte auch die Beziehung zwischen Simone und Sylvie stilbildend wirken. Aber den Weg in die weibliche Freiheit hat das Patriarchat mit ein paar starken Barrieren verbaut ..."

Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 im Alter von 78 Jahren in Paris und wurde neben Jean-Paul Sartre auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt. (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 6.1.2013)