Bild nicht mehr verfügbar.

Superman Obama? Geplanten Heldentaten des Präsidenten könnten politische Ereignisse einen Strich durch die Rechnung machen.

Foto: Jacquelyn Martin/AP/dapd

Ob er Frieden stiftet zwischen Israelis und Palästinensern? Ob er Klimagesetze durch den Kongress bringt? Die atomare Abrüstung vorantreiben kann? Stehen amerikanische Präsidenten vor ihrer zweiten Amtszeit, macht in aller Regel das Wort vom Vermächtnis die Runde. Dann fragt man sich, mit welchem Vermittlungskraftakt, welcher historischen Weichenstellung der Mann im Weißen Haus in die Geschichtsbücher eingehen will. Aber vielleicht wird am Ende wieder einmal Harold Macmillan recht behalten, jener britische Premier, der auf die Frage, was sein Kabinett am ehesten vom Kurs abbringen könnte, in lakonischster Kürze sagte: " Ereignisse, mein Junge, Ereignisse."

Ob Iran, arabische Turbulenzen oder Spannungen im Südchinesischen Meer - es gibt jede Menge Ereignispotenzial, das Barack Obama zum Krisenmanager stempeln könnte, der immerzu reagieren muss und gar nicht mehr dazu kommt, seine eigene Agenda umzusetzen. Dennoch sei an dieser Stelle der Versuch gewagt, so etwas wie ein Szenario Obama 2.0 zu entwerfen.

Schaden und Erfolg

Wobei sich ein Blick in die Geschichtsbücher lohnt. Ronald Reagan konnte viele seiner Erfolge erst nach seiner Wiederwahl im Herbst 1984 verbuchen: Einwanderungsreform, Steuerreform, ein Rüstungskontrollvertrag mit der Sowjetunion. Bill Clinton sonnte sich ab 1997 im Boom der New Economy, er half bei der Aussöhnung in Nordirland und wurde im Kosovo als Befreier gefeiert. George W. Bush war in seiner zweiten Amtsperiode vor allem damit beschäftigt, den Schaden zu reparieren, den er in der ersten angerichtet hatte, angefangen beim Flicken der irakkriegsgeschädigten transatlantischen Allianz.

Obama muss zunächst einmal konsolidieren, was er bisher an Reformen durchsetzte, von der erst 2014 voll in Kraft tretenden obligatorischen Krankenversicherung bis hin zu strengeren Regeln für die Wall Street. Er hat auf die Schuldenbremse zu treten, damit Uncle Sam nicht auf griechische Verhältnisse zusteuert. Zugleich muss er mehr sein als der vorsichtige, juristisch gewiefte Taktierer, als den ihn seine Landsleute in den ersten vier Jahren kennenlernten. Er muss etwas riskieren, um sich einen würdigen Platz in den Annalen zu sichern.

Welche neuen Baustellen ihm wichtig sind, hat er bereits vor Monaten anklingen lassen. Da sprach er vom Klimawandel als der wichtigsten Herausforderung, der er sich im Falle seiner Wiederwahl stellen müsse. Konkretisiert hat er die Aussage noch nicht, wohl wissend, wie schnell der erste Anlauf im Kongress versandete. Aber diesmal, beteuern Ratgeber im Weißen Haus, meint es der Präsident ernst. Nur: Die Konservativen werden zu bremsen wissen, an ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus führt kein Weg vorbei.

Größere Chancen hat eine Reform des Einwanderungsrechts, de facto eine Amnestie für zwölf Millionen illegale Immigranten, die meisten aus Lateinamerika, von denen manche seit gut einer Generation in den USA leben. Nägel mit Köpfen sind schon deshalb zu erwarten, weil sich auch etliche Republikaner dafür erwärmen, da sie nicht länger als Anti-Latino-Partei dastehen wollen, auf Kriegsfuß mit der am schnellsten wachsenden Wählergruppe.

Und die Außenpolitik? Obama hat einen unpopulären Krieg beendet, den er früh als den falschen bezeichnete, den Irrweg im Irak. Der zweite, aus seiner Sicht lange Zeit der richtige Krieg, der Militäreinsatz in Afghanistan, ist in den Köpfen vieler Amerikaner bereits abgehakt, auch wenn es noch zwei Jahre bis zum vollständigen Abzug dauert. So etwas schafft Handlungsfreiheit, und Washington kann Prioritäten folgen, wie sie bekannte Strategen schon lange predigen - dem Schwenk nach Ost- und Südasien. Jedenfalls geht das Denken über den Tellerrand in diese Richtung, wobei Macmillans berühmte Ereignisse natürlich manchen Strich durch die Rechnung machen können.

Was Obama in erster Linie gestalten möchte, ist ein Ausgleich mit China. Das vergleicht er bisweilen mit dem erstarkenden Deutschland, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts so sehr an den Zäunen der Weltordnung rieb, dass bewaffnete Konflikte die Folge waren. Den Wandel in Asien in berechenbare Bahnen zu lenken steht ganz oben auf Obamas internationaler Agenda. Vielleicht ist es das, woran ihn Historiker in vier Jahren zuallererst messen. (Frank Hermann, DER STANDARD, 4.1.2012)