Bild nicht mehr verfügbar.

Pessimistisch: "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger.

Foto: APA/epa/okten

Das Redaktionsgebäude des Guardian liegt idyllisch und doch zentral mitten in London. In der Mittagspause können die Reporter des weltberühmten Blattes am Regent's Canal ihren Kaffee schlürfen, der nahegelegene Bahnknotenpunkt King's Cross/St. Pancras sorgt für glänzende Anbindung, im Keller laden zwei Kammermusiksäle zum Kulturgenuss.

Die Harmonie ist nur äußerlich. In den Redaktionen herrschen Unsicherheit und Angst. Zum ersten Mal in der Geschichte des 1821 im nordenglischen Manchester gegründeten Blattes werden Journalisten entlassen. Freiwillig gingen im Rahmen eines Sparprogramms lediglich 34 von rund 600 Mitarbeitern, 68 weitere trifft es nun.

Rote Zahlen

Denn das Blatt, das zuletzt durch die Aufdeckung des Murdoch-Abhörskandals Geschichte machte, schreibt rote Zahlen. Guardian Media Group (GMG), zu dem auch die Sonntagszeitung Observer gehört, machte im letzten Geschäftsjahr (bis März 2012) 54,3 Millionen Euro Verlust. Wenn die wirtschaftliche Lage sich nicht verbessere, hat GMG-Geschäftsführer Andrew Miller schon 2011 prophezeit, "könnte uns in drei bis fünf Jahren das Geld ausgehen".

So viele Leser wie nie zuvor

Das linksliberale Leitmedium hat unter Chefredakteur Alan Rusbridger (59) zwar immer weniger Auflage (zuletzt rund 200.000 täglich), dafür aber so viele Leser wie nie zuvor: Dem digitalen Marktforscher comScore zufolge belegt guardian.co.uk hinter der britischen Boulevard-Site Mail Online sowie der New York Times Platz drei in der weltweiten Beliebtheitsskala englischsprachiger Nachrichtenmedien.

Pessimismus

Doch Guardian und Observer erleben das Dilemma aller Zeitungen: Während die Erlöse aus Stellenanzeigen binnen vier Jahren um 46 Millionen Euro zurückgingen, spülen die neugewonnenen digitalen Nutzer kaum Geld in die Kasse. Chefreporter Nick Davies ist von tiefem Pessimismus erfüllt: "Das Internet macht den Journalismus kaputt."

Freilich gibt es beim Guardian nicht wenige, die auch Rusbridger und Miller für Zerstörer halten. Trotz ihrer Vision mit dem schönen Titel "Digital First" planen die Guardian-Leute keine Paywall für ihre Website. " Das funktioniert nicht", glaubt Rusbridger. Nüchterner sagte es Verlagsmanager Miller in der Financial Times: "Wenn man Kundschaft ausschließt, beraubt man sich digitaler Möglichkeiten" - die ohnehin noch allzu raren Anzeigenkunden laufen davon.

Letzte Cashcow

Stattdessen will Miller offenbar die letzte Cashcow des Unternehmens schlachten. Die Trader Media Group, die mit Autoanzeigen gut Geld verdient, soll an eine Private-Equity-Firma wie Apax oder KKR verkauft werden. Auch die britische Tochter des deutschen Bauer-Verlags (Bravo, TV Movie, Bussi Bär). Brancheninsider schätzen den Erlös auf bis zu 738 Millionen Euro. Seine Radios hat der Guardian schon verkauft. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 3.1.2013)