Es braucht eine Weile, bis sich diese beiden Menschen wirklich erkennen: Jennifer Lawrence (re.) und Bradley Cooper in David O. Russells Interpretation der Romantic Comedy, "Silver Linings Playbook". 

Foto: Constantin Film

Oder auch umgekehrt. Ein ungestümes Gefühlsbad.

Wien - Das erste Date ist kein Date, zumindest kein richtiges. Pat (Bradley Cooper) hat nämlich gar nicht vor, sich einem unbekannten Menschen gegenüber zu öffnen. Mit Tiffany (Jennifer Lawrence) ist das etwas anderes, denkt er, und um das zu betonen, bestellt er Frühstücks-Cerealien im Diner, obwohl es natürlich schon Abend ist. Halloween sogar. Und dann geht alles schnell, die beiden tauschen intime Angelegenheiten aus; Tiffany erzählt, mit wie vielen Männern aus dem Büro sie sich getröstet hat. Am Ende streiten sie sich darüber, wer der jeweils Verrücktere ist.

Diese Diner-Szene aus Silver Linings Playbook ist einfach fantastisch. Eigentlich ganz klassisch aufgelöst, ökonomisch-elegant, sodass man Nahtstellen prompt übersieht, funktioniert sie wie eine Showeinlage (es gibt dann auch Applaus von den anderen Lokalgästen); zugleich etabliert sie die Schräglage, die Hindernisse, über die die beiden erst hinwegkommen müssen, um ihre wechselseitige Anziehung zu akzeptieren. Pat ist gerade aus einer Klinik entlassen worden, er leidet an einer bipolaren Störung, die seine Ehe scheitern ließ; Tiffany war nach dem Tod ihres Mannes länger depressiv.

Nicht die besten Voraussetzungen für einen Liebesfilm, der David O. Russells jüngster Film im Outfit einer Komödie ist. Der 1958 geborene US-Amerikaner gilt seit seinem Debüt Spanking the Monkey (1994) als Spezialist für "smart comedies" und übersteuerte Familiendramen, zuletzt hat er mit dem Boxer-Brüder-Drama The Fighter einen großen Erfolg verbucht. Silver Linings Playbook basiert auf einem Roman von Mat-thew Quick, den Russell ein wenig abgemildert hat - und auch hier ist das Feld hinter den zentralen Charakteren wieder mit einer Reihe von eigenwilligen Familienmitgliedern besetzt.

Deren Dynamiken zu ergründen, in einem hektisch-chaotisch wirkenden Stil - das Resultat einer umso kontrollierteren Regie -, bereitet Russell mindestens ebenso viel Freude wie Pats und Tiffanys Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Silver Linings Playbook ist ein Ensemblefilm, der die innerfamiliären Druckverhältnisse nie aus den Augen verliert. Das wird schon in der frühen Szene ersichtlich, als Pat von seiner Mutter Dolores (Jackie Weaver) nach Hause gebracht wird - zur Verblüffung seines abergläubischen Vaters, den Robert De Niro als Mann verkörpert, der es sich zu eigen gemacht hat, direkten Konfrontationen mit möglichst sprechenden Gesten und zerknautschen Gesichtsausdrücken aus dem Weg zu gehen.

Fehlgeleitete Dialoge

So komisch einzelne Szenen von Russell auch angelegt sind - Pat jun. weckt seine Eltern mit Vorliebe mitten in der Nacht, um sich lautstark Luft zu machen -, geht es Russell doch auch darum, die Anspannung zu veranschaulichen, der diese Familie unterworfen ist. Wo der Sohn daran glaubt, mit seinem Handicap mittlerweile umgehen zu können, verhalten sich seine Angehörigen meist so, als müssten sie ständig mit einem seiner wilden Ausbrüche rechnen. Dass niemand wirklich bereit ist, irgendetwas auszusprechen, erleichtert das Miteinander nicht.

Wie überhaupt die Fehlleistungen der Kommunikation eine besondere Rolle spielen: Denn Tiffany und Pat gehorchen der Screwball-Regel, nach der sich das Pärchen laufend streiten und neue Missverständnisse schaffen muss. Hier gehört dies jedoch zur psychischen Kondition: Wo sie oft ein wenig zu viel preisgibt, hält er an Phantomen fest. Wie Bradley Cooper, der Strahlemann aus Hangover, diesen fragilen Part meistert, ist schlicht erstaunlich; und Jennifer Lawrence ist in ihrer unverstellt-geraden Art, Tiffany zu spielen, besonders eindrucksvoll.

Der Film ist entsprechend reich an widerstrebenden Gefühlen - Euphorie und Traurigkeit, den beiden äußeren Stimmungspolen des Helden, bleibt Russell hier insgesamt verpflichtet. Sein Kino hält sich nicht mit Zwischentönen auf, sondern sucht das Wechselbad der Emotionen. Es liegt auch keine Ironie im Blick auf die Figuren wie bei den Coen-Brüdern, die Komik entsteht aus widersprüchlichen Haltungen, die man nicht so einfach aufgibt.

Auch deshalb ist das Tanzen, jenes Freizeitvergnügen, das Tiffany und Pat näher zueinander führen wird, ein so treffendes Ventil. Es ist ein bisschen peinlich, Überwindung gehört dazu, aber es bedarf keiner Sprache, sondern der Körper. Und diese eilen ja mitunter dem Verstand voraus: Silver Linings Playbook ist ein wunderbarer Film, der von der Anstrengung erzählt, kurz das Gleichgewicht zu halten. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 3.1.2013)