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Die Künstlerin auf dem Seziertisch: Sunnyi Melles als Königin der Nacht und Joachim Meyerhoff als Doktor in Thomas Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige" am Burgtheater. 

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Die Stücke von Thomas Bernhard machen sich auf den Spielplänen von heute rar. Auf die hohen Töne der Erregungskunst scheinen sich Dramaturgen und Schauspieler nicht mehr vorrangig zu verstehen. Doch in einem Jahr, in dem der Burgtheaterdirektor einen Spielplan mit Österreich-Schwerpunkt ausgerufen hat, vermag ein Thomas Bernhard eine Thomas-Vinterberg-Lücke gut und gern zu stopfen.

Ursprünglich war für die Silvesterpremiere nämlich eine Trinkerinnentragikomödie des dänischen Film- und Theaterregisseurs Thomas Vinterberg angesetzt gewesen. Sie wurde verschoben. Regisseur Jan Bosse eilte zu Hilfe. Der Ignorant und der Wahnsinnige, eine nicht gerade wechselvolle Suada über die Mühen der (Sanges-)Kunst, der Künstler und ihrer mitleidenden Angehörigen, verhandelte wenige Stunden vor Jahresende das schrecklich Empörende am Leben einer sogenannten Künstlerexistenz.

Ein pingeliger Anatom (Joachim Meyerhoff) ergeht sich da in der Künstlergarderobe einer Operndiva (Sunnyi Melles) zur Unterhaltung von deren Vater (Peter Simonischek) in Ausführungen über die Leichensektion. Was wird da nicht alles mit Darmschere und Hirnmesser getrennt und angesägt, um sich der Täuschung hinzugeben, den Körper durchschauen zu können. Den Körper als Objekt der Kunst wie der Medizin.

Vor einem hoch aufragenden Schminktisch mit vielen, dem Konterfei der Sängerin gleichenden Perückenbüsten (Bühne: Stéphane Laimé) warten Doktor und Vater auf den Star. An diesem Abend wird die Koloratursopranisten zum 222. Mal die Partie der Königin der Nacht singen. Während der Vater (Simonischek) seine (ausgestopfte) Körperfülle träge gerade noch in den Clubsessel hieven konnte und fortan seine weißen Mokassins weit von sich streckt, aber heftig an der Schnapsflasche nippt sowie mit dem Blindenstock Terror macht, tänzelt der Doktor (Meyerhoff) den Tanz eines über seinen Schützlingen wahnsinnig gewordenen Meister Lämpel. Mit spitzen Schritten vollführt er ein artifizielles Ungeduldstänzchen, verknotet bei Bedarf seine nervösen Kniegelenke oder bringt die Hose seines redefaulen Gesprächspartners zum Quietschen, bis dann endlich die Königin erscheint.

Sunnyi Melles tritt gefolgt von ihrer Garderobiere Frau Vargo (Stefan Wieland) ganz bodenständig im Backstage-Outfit mit Thermoskanne und Pelz-Boots aus ihrem Kleiderschrank. In diesem Moment wird nach der Mitte dieser Inszenierung noch gesucht, die sich dann doch dem Schabernack, wenn auch recht edel, übergibt. An die ironiefreie Deklamationskunst glaubt Jan Bosse nicht. Er zieht vor allem an der Figur des Doktors die Sätze Thomas Bernhards ins Klamaukige. Das beeinträchtigt die Sprache in ihrer eigenen Künstlichkeit erstaunlicherweise nicht. Es bleibt ein Vergnügen, dem Fatalismus dieser Monologe zu folgen. Beispielsweise heißt es einmal: "Wenn wir den Schwachsinn / der in dieser Kunstgattung herrscht / geehrter Herr / mit der Gemeinheit / der Zuschauer verrechnen / kommen wir in den Wahnsinn [ Königin hustet]".

Hat die Uraufführung von Der Ignorant und der Wahnsinnige 1972 bei den Salzburger Festspielen durch ein nicht abgedrehtes Notlicht und die darin begründete sofortige Absetzung des Stücks einen Skandal verursacht, so quittierte man die Silvestervorstellung am Burgtheater nun mit knappem, aber wohlwollendem Applaus.

Theater als Apéro für einen langen Abend? Nicht nur. Allein im großen Bühnen-Flug der Königin der Nacht vom Schauplatz Oper im ersten Akt zum Schauplatz Restaurant im zweiten Akt liegt das genial Einfache dieses Abends. Jan Bosse war bewusst: An Thomas Bernhard kann man zwar nicht groß herumdoktern, aber es kann gelingen, ihn aufzupolieren. Und hier hat er immerhin ein wenig gestrahlt. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 2.1.2013)