Als im Dezember ziemlich überraschend in Ungarn Schüler und Studenten in großer Zahl auf die Straße gingen, um gegen die Bildungspolitik der Regierung zu protestieren, beschwichtigte Ministerpräsident Viktor Orbán sein politisches Fußvolk. "Nur mit der Ruhe", schärfte der rechtskonservative Politiker der Parlamentsfraktion des regierenden Bundes Junger Demokraten (Fidesz) ein, "bis Weihnachten sind die Proteste abgeflaut."

Doch Orbán hatte nur insofern recht, als dass zu Weihnachten tatsächlich niemand mehr demonstrierte. Doch sobald die allgemeine Feiertagsperiode im neuen Jahr zu Ende geht, ist mit neuen Studentenprotesten zu rechnen. Denn deren Ursachen - die teilweise Einführung von Studiengebühren und die allgemeinen finanziellen Kürzungen bei den Hochschuleinrichtungen - sind nicht aus der Welt.

Vor allem aber wehren sich die Studierenden gegen den sogenannten "Staatsfrondienst". Wer sein Studium nicht selbst bezahlt, muss sich nämlich künftig in einem "Hörervertrag" dazu verpflichten, später die doppelte Studienzeit lang in Ungarn zu arbeiten. Über diesen Punkt lässt Orbán gar nicht erst mit sich reden. Kritiker behaupten sogar, dass der Premierminister mit dieser Maßnahme auf die Schwächung der kritischen Intelligenz abzielt.

Die Studenten wollen jedenfalls im neuen Jahr mit neuen Aktionen auf die ihrer Meinung nach gegebenen Missstände der Orbán'schen Bildungspolitik aufmerksam machen. In der südungarischen Stadt Szeged halten sie am kommenden Freitag, dem 4. Jänner, einen sogenannten "Nicht-Streik" ab: Mehrere Dutzend Universitätsprofessoren und -dozenten werden für jedermann zugängliche Vorträge über Fragen der Hochschulpolitik und der Soziologie der Macht halten - "gebühren- und honorarfrei", wie es im Aufruf des organisierenden "Hörer-Netzwerks" (Hallgatói Hálózat) heißt.

Berührungspunkte

In manchen Fidesz-Kreisen wird all dies mit Sorge beobachtet. Denn zum einen war die Orbán-Partei in ihren Anfängen selbst eine der - damals kommunistischen - Macht gegenüber kritische Studentenbewegung. Zum anderen lässt sich vorhersehen, dass die heutige Studentenbewegung gemeinsame Berührungspunkte mit anderen Akteuren des Widerstands gegen die Regierungspolitik unter Premier Orbán finden wird. So könnte sie sich recht bald mit Aktivisten aus der Medien- und Kulturszene, mit Gruppen, die sich gegen soziale Diskriminierung einsetzen, oder mit Teilen der außerparlamentarischen politischen und gewerkschaftlichen Opposition verbünden. (Gregor Mayer aus Budapest /DER STANDARD, 31.12.2012)