Die Wiener Polizei hat sich für eine Eskalationsstrategie entschieden, zumindest außerhalb des Schutzraums Kirche.

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Vor einer Woche sah es ganz so aus, als wolle man auf Seiten der Politik und der zuständigen Behörden mit dem Protest der Flüchtlinge im Wiener Sigmund-Freud-Park und in der Votivkirche fair und möglichst vernünftig umgehen. Ein runder Tisch, initiiert von der katholischen Kirche und der Caritas, hatte Flüchtlinge, NGOs und Regierung - Innenministerium und Staatssekretariat Ostermayer, also Schwarz und Rot - zu einem ersten Gespräch zusammengebracht.

Auch im Innenministerium, dem Polizeiressort, schien sich die im Vergleich zu früheren Jahren verbal liberalere Linie durchzusetzen. Man werde das Demonstrationsrecht hochhalten, hieß es wochenlang auf Fragen, wie man es mit dem Wiener Protestcamp im Park halte: Das Recht, sich zu versammeln, komme auch AsylwerberInnen zu.

Dieses ministerielle Tauwetter im Umgang selbst mit Flüchtlingsfragen (auch wenn es den Inhalt der Fremden- und Asylgesetze noch nicht erreicht hatte) ließ die Verbissenheit und Repressionsbefürchtungen einzelner, aber einflussreicher UnterstützerInnen alt aussehen. Und damit auch deren unangenehmen Alarmismus, mit dem sie bei den Subjekten des Protests, den Flüchtlingen, falsche Einschätzungen der österreichischen Realitäten, also des zu Erwartenden, einimpften.

Zum Schlechteren gewendet

Doch das war vor sieben Tagen. Inzwischen hat sich das Blatt zum Schlechteren gewendet. Die Wiener Polizei hat sich für eine Eskalationsstrategie entschieden, zumindest außerhalb des Schutzraums Kirche. Das Flüchtlingscamp (das entgegen anderslautenden Behauptungen, etwa in der Tageszeitung "Die Presse", seit seiner Errichtung querdurch als politische Versammlung behördlich nicht untersagt und somit bewilligt war) wurde am Freitag in einer nächtlichen Hauruckaktion aufgelöst und geschliffen. Die medial verkündeten "Ultimaten" aus der FPÖ, laut denen das Lager ab Mittwoch "binnen 24 Stunden" behördlich zu räumen sei, wurden zeitnah eingehalten - wahrscheinlich nur ein Zufall.

Als Begründung des Räumeinsatzes wurde ein Bruch der Wiener Kampierverordnung und anderer Verwaltungsvorschriften herangezogen, die laut Polizeiinterpretation damit offenbar über dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf Versammlung stehen. Das ist eine demokratiepolitisch bedenkliche Interpretation, ein Skandal!

Andere Sichtweise

Bei der Wiener Polizei sieht man das erwartungsgemäß anders. Doch auch im Innenministerium wird jetzt, statt von garantierter Demonstrationsfreiheit für Flüchtlinge, vielmehr von deren angeblich gebrochenen Versprechen geredet. Die Flüchtlinge hätten sich nicht an Vereinbarungen am Runden Tisch gehalten, denn sie hätten sich geweigert, per Bus aus der Votivkirche in bereitgestellte Quartiere zu übersiedeln, heißt es dort.

Mit Verlaub, sollte in der Wiener Herrengasse wirklich jemand geglaubt haben, dass die verzweifelten, zum Teil fehlinformierten und dabei höchst wehrbereiten Flüchtlinge mit ihren langjährigen Vertreibungs- und Abweisungserfahrungen ihr einziges Druckmittel, den Protest, für beheizte Zimmer und gutes Essen aufgeben würden? Das war eine Verkennung der Lage!

Unerwartete Herausforderungen

Vielmehr stellen Menschen wie diese, die oft keine klassischen Asylgründe haben, aber dennoch dringend Aufenthaltssicherheit und Existenzsicherung bräuchten, Behörden und Bewohner eines reichen, seit längerem von Kriegen und Aufruhr verschonten Landes wie Österreich vor
neue Herausforderungen. Annehmen will und kann diese offenbar niemand. Die jahrzehntelang aufgebaute Sündenbockfunktion von AsylwerberInnen verstellt den Blick. Aber auch in der internationalen Diskussion um
Menschenrechte ist der Umgang mit derlei Bedürftigkeiten keineswegs geklärt.

Und so harren denn die Refugees, statt in warme Wohnungen zu ziehen, weiter in der kalten Votivkirche aus - und reagieren auf Druck panisch bis selbstzerstörerisch. Nach der Camp-Räumung traten einige der 14 Hungerstreikenden zusätzlich auch noch in Durststreik. Durch Zureden von Ärzten und Caritas-MitarbeiterInnen zum Glück nur für kurz: Ein Durststreik endet nach wenigen Tagen meist mit Nierenversagen und Zusammenbruch. Und die Chance, dass den Flüchtlingen EntscheidungsträgerInnen dann bereitwilliger zugehört hätten, war als gering anzusetzen. So läuft der Hase bei österreichischen PolitikerInnen nicht, die konfliktunwillig sind und/oder vor Wahlkämpfen stehen sowie meist vor der FPÖ zittern!

PolitikerInnen, bitte einmischen!

Doch wenn sich niemand von politischem Gewicht ein Herz und damit die Verantwortung (über)nimmt, wird die Lage in der Votivkirche weiter so verfahren und aussichtslos bleiben, wie sie derzeit ist. Dann bleibt als "Lösung" mittelfristig nur jene der Freiheitlichen und anderer Rechten: Räumung auch der Kirche mit Gewalt, sei diese nun offen oder versteckt. Wer das als PolitikerIn nicht will, muss sich in diesen Konflikt einbringen, denn Caritas und noch so gutwillige HelferInnen allein können ihn nicht lösen.

Und es wäre doch eine Schande, wenn die erste politische
Protestbewegung von Flüchtlingen in Österreich mit noch größerer Verzweiflung der Protestierenden endet als davor. Und wenn auf wichtige Forderungen wie die Überprüfung fragwürdiger Asylentscheide, selbstgewählte, akzeptable Quartiere und Arbeitsrecht nur mit einmaligem Meinungsaustausch am Runden Tisch reagiert worden wäre, gefolgt von Repression. (Irene Brickner, derStandard.at, 29.12.2012)