Hohe Erwartungen an die Kinder - das sei der Schlüssel: Der 29-jährige Volkswirt Adib Reyhani ist einer von 24 "Fellows", die seit September in Wien und Salzburg unterrichten und fördern.

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An der hinteren Wand des Klassenzimmers der 2b blinkt unablässig eine Lichterkette. Auch ein Adventkalender hängt am Fenster. Den Kindern Weihnachten näherzubringen ist nicht unheikel: 98 Prozent der Schüler in der Herzgasse haben Migrationshintergrund, Religion und Glauben verteilen sich entsprechend vielfältig.

"Wir singen einfach 'freut Euch ihr Kinder' anstatt 'ihr Christen'", sagt Edith Wendelin, der stellvertretende Klassenvorstand. Sie und andere Lehrer würden versuchen, wenigstens die Schule als Ort zu etablieren, wo sich die Kinder geborgen fühlen. "Zu Hause haben sie es nicht immer schön", sagt Wendelin.

Armut und Traumata dominieren den Alltag vieler Schüler. Gerade eben wurde eine Familie delogiert, ein anderes Kind musste in die Psychiatrie gebracht werden. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für die Zukunft, wie aktuelle Studien, etwa von der OECD oder der Statistik Austria, zeigen: Aufstiegschancen hängen in Österreich stark vom Einkommen und Sozialstatus der Eltern ab.

Volkswirt als Englischlehrer

"Der Knackpunkt ist die geringe Erwartung an die Schüler", sagt Adib Reyhani. "Bei Gymnasiasten geht man davon aus, dass sie studieren und etwas weiterbringen. Doch bei Kindern in den Haupt- und Mittelschulen zählt es schon als Erfolg, wenn sie nicht arbeitslos und zum Sozialfall werden", sagt der 29-Jährige.

Er ist einer von 24 "Fellows" der Organisation Teach for Austria, die sich für bessere Bildungschancen einsetzt. Ein Lehramt hat er – wie auch die anderen Teilnehmer – nie studiert. Trotzdem zog es den studierten Volkswirt nach einigen Jahren in der Unternehmensberatung an die Schule. Seit September unterrichtet er Geschichte, Geografie, Musik, Mathematik und Englisch an der Kooperativen Mittelschule in der Herzgasse.

Anfangs sei ihm nicht bewusst gewesen, wie sehr Erlebnisse von Krankheit, Gewalt und Vernachlässigung die Kinder in den Unterricht begleiten. Die anderen Lehrer seien sehr engagiert, ihnen Geborgenheit zu vermitteln, er könne viel von ihnen lernen.

"Wir haben in der Ausbildung vor allem gehört, hohe Erwartungen an die Kinder zu haben. Das hat man uns richtig eingetrichtert." Auf die Frage, was Reyhani besonders macht, antwortet ein Schüler im blauen Trainingsanzug: "Er lässt uns immer ausreden und hört uns zu. Er hat Respekt vor uns." Viele der Kinder nicken.

In der Geschichtestunde versucht Reyhani den Kindern zu vermitteln, wie das Zusammenspiel des Einzelnen, der Gesellschaft und der Institutionen funktioniert. Heute geht es etwa darum, wie ein Krankenhaus finanziert wird, welche Regeln darin gelten und vor allem, wie Arbeitsteilung funktioniert.

Ein Mädchen beißt sich auf der Suche nach den richtigen Antworten angestrengt auf die Unterlippe, andere fallen beinahe über den Tisch, weil sie so eifrig aufzeigen.

Später sollen sie einen fiktiven Artikel für die Schülerzeitung schreiben, fünf Punkte gibt es für schöne Formulierungen und Rechtschreibung, zehn für eine spannende Geschichte. Die Klassenlehrerin Wendelin schwärmt von der Initiative: "Junge Menschen wie Reyhani kommen mit neuen Ideen zu uns, das ist irrsinnig super."

Das Konzept, Quereinsteiger für zwei Jahre an Brennpunktschulen zu holen, stammt aus den USA (siehe Wissen). Seit September läuft das Projekt an Schulen in Wien und Salzburg und soll im kommenden Schuljahr auf ein weiteres Bundesland ausgeweitet werden. (Julia Herrnböck, Maria von Usslar, DER STANDARD, 27.12.2012)