"The organisation of sex and gender once had functions other than itself it organized society. Now it only organizes and reproduces itself." (Rubin "The Traffic in Women" 1975, 199)

Mit ihrer These, dass die hierarchisierte Geschlechterunterscheidung nurmehr einen Anachronismus darstellt, eröffnet Gayle Rubin im Jahre 1975 die optimistische Perspektive, dass die Regime normativer Heterosexualität und rigider Zweigeschlechtlichkeit politisch anfechtbar seien. Queere Theorien und Politiken knüpfen seit Mitte der 1980er-Jahre hieran an. Sie bezweifeln jedoch, dass Geschlecht und Sexualität tatsächlich ihre sozio-strukturelle Bedeutung eingebüßt haben. Deshalb wird im Kontext der Queer Theory erneut die Frage gestellt, welche Funktionen Geschlecht und Sexualität für die Organisation des Gesellschaftlichen und konkreter sozialer Praxen und Institutionen haben. Der Begriff Heteronormativität verweist auf diese erweiterte Perspektive, denn er umfasst rigide Zweigeschlechtlichkeit und normative Heterosexualität nicht ausschließlich im Hinblick auf Identitäts-, Begehrens- und Beziehungskonstellationen.

Politischen und ökonomische Funktionen von Geschlecht und Sexualität

In diesem Sinne möchten die Veranstalterinnen Antke Engel und Claudia Koltzenburg den Workshop "Intervention statt Integration" feministische Queer Theory gesellschaftstheoretisch zuspitzen und mit globalisierungskritischen Ansätzen verbinden. Es soll nicht nur die sozio-historische Bedingtheit und bio-politische Hervorbringung heterosexualisierter Geschlechterverhältnisse in Betracht gezogen, sondern untersucht werden, welche sozialen, politischen und ökonomischen Funktionen Geschlecht und Sexualität zur Aufrechterhaltung (national-) staatlicher und globaler kapitalistischer und rassistischer Ordnungen erfüllen. Nicht zuletzt gilt es kritisch zu fragen, welche Bedeutung die Individualisierung und Flexibilisierung geschlechtlicher und sexueller Existenz sowie die verstärkte Akzeptanz und soziale Integration divergenter Lebensweisen für spätmoderne, neoliberale Gesellschaftsverhältnisse haben.

"Konstrukt Europa"

Hierbei gebührt dem Integrationskonzept besondere Aufmerksamkeit, denn es spielt nicht nur im Feld von Migrations- und Sexualpolitiken eine entscheidende Rolle, sondern auch im Hinblick auf das "Konstrukt Europa" (europäische Integration; EU-Erweiterung) sowie globalisierte Rechts- und Wirtschaftsordnungen. In all diesen Kontexten dient "Integration" unter dem Deckmantel von Fortschritt und liberaler Toleranz der dominanzkulturellen, eurozentristischen Normalisierung sowie der Installation von Hierarchien und Ausschlüssen. Die Homogenisierungseffekte und Ausschlussmechanismen von Integrationskonzepten, die sich in Form rassistischer Grenzregime, Migrations- und Sicherheitspolitiken, der Ökonomisierung des Sozialen und dem Abbau sozialer Solidarprinzipien ausprägen, sollen mit spezifischem Blick auf die Kategorien Geschlecht und Sexualität untersucht werden:

  • Welche Bedeutung hat die gesellschaftliche Organisation von Geschlecht und Sexualität für neo-liberale Ein- und Ausschlusspolitiken in den Feldern Arbeit, Bildung und soziale Rechte?

  • Inwiefern bedienen sich Asyl- und Migrationspolitiken in ihrem Anliegen, die Mobilität innerhalb und nach Europa zu begrenzen, den "Selbstverständlichkeiten" normativer Heterosexualität und rigider Zweigeschlechtlichkeit?

  • Was bedeutet dies im Hinblick auf die Neu-Beitritte zur EU: wer "begehrt" diese mit welchen Interessen, um welchen Preis und zu wessen Profit bzw. wie sind die Verweigerungen eines Beitritts zu verstehen?

  • Wie verknüpfen sich rassistische und ethnisierende Praxen mit gesellschaftlichen Sexualitäts- und Geschlechterverhältnissen? Und inwiefern sind Migrationsbewegungen durch die Faktoren Geschlecht und Sexualität reguliert?

  • Welche Funktionen haben Geschlecht und Sexualität für die Formierung sozialer Subjektivitäten und die Organisation des Gesellschaftlichen in einer sich globalisierenden Welt der Informationsnetze und des Finanzkapitals? Auf welche Weise unterliegen diese Funktionen höchst unterschiedlichen Bedingungen, in nördlichen, westlichen, östlichen, südlichen, postfordistischen, postsozialistischen, postkolonialen Gesellschaften höchst unterschiedlichen Bedingungen ?!

  • Wie sind diese "Funktionen" unter den spezifischen sozio-geo-historischen Bedingungen genauer zu bestimmen, wenn zugleich berücksichtigt wird, dass es womöglich kein einheitliches Geschlechter- und Sexualitätsregime gibt, sondern vielfältige, widersprüchliche, mehr oder weniger hegemoniale Diskurse und Praxen?

  • Welche Rigidität und Bindungskraft versus Flexibilität und Freiwilligkeit haben die darin wirksamen Normen, Praxen, Techniken und Apparate? Inwiefern wird die "Funktionalität" über die aktive Beteiligung der Individuen durchgesetzt?

    Call for Postcards!

    Mit dem zweitägigen Workshop "Intervention statt Integration" wird ein Forum für theoretische und politische Debatten geschaffen. Statt das Themenfeld im Vorfeld zu strukturieren und mit ausgearbeiteten Vorträgen zu füllen, soll anhand von Impulsreferaten oder kurzen Inputs (in beliebigen medialen Formaten) die Vielfältigkeit der Interessen, Perspektiven und Kompetenzen zum Einsatz kommen. In diesem Sinne versenden wir hiermit keinen Call for Papers, sondern einen Call for Postcards.

    Wer Interesse am Workshop hat, schicke bis zum 15. August eine elektronische oder papyrische Postkarte, die in textueller oder (audio-)visueller Form einen Beitrag zur obigen Auseinandersetzung darstellt. Die Veranstalterinnen möchten die Postcards allen TeilnehmerInnen bereits im Vorfeld via Web zur Verfügung stellen, so dass die Möglichkeit besteht, sich in der Vorbereitung der Workshop-Inputs voneinander inspirieren zu lassen und aufeinander Bezug zu nehmen. Ihr Anliegen wäre es, über die Diskussionen des Workshops Frageperspektiven und eine Strukturierung der Thematik zu entwickeln, die sich gegebenenfalls zu einer internationalen Tagung ausbauen ließen. (red)