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Karl (Philipp Hauß, Erster von re.) liest als Palmetshofer-Sprachrohr den lebensgierigen Eltern die Leviten. Gleich widerfährt den Alten Böses. 

Foto: Lilli Strauss/dapd

Aber Ewald Palmetshofers krudes Auftragsstück laboriert an schwachen Thesen und an seiner überschießenden Sprache.

Wien - Man möchte kein junger Mensch sein in Ewald Palmetshofers räuber. schuldengenital Die jungen Leute von gestern sind alt geworden. Aber sie verstehen es noch immer trefflich, sich auf Kosten ihrer Kinder zu amüsieren. Im Wiener Akademietheater rollt ein Servierwagen auf die Bühne. Zwei Damen, zwei Herren, alle vier ganz fürchterlich betrunken, ergründen das Wesen der Zeit.

Linde (Barbara Petritsch) erzählt den "Witz" der Zeit. Der Tod kommt. Er schickt die Zeit weg, setzt sich hin - und weiß nichts mit sich anzufangen. Lindes Gemahl Otto (Martin Schwab) spritzt kurz mit der Siphonflasche. Otto ist in diesem Auftragswerk des Oberösterreichers Palmetshofer das älteste Ekel von allen. Er entwickelt unter der Bettdecke kolossale Erektionen. Jede dieser Ausbuchtungen nennt das Paar einen "Schuldenberg". Man muss - was sich leicht sagt bei diesem Stück! - hellwach bleiben, um das Zotige nicht mit dem Philosophischen zu verwechseln.

Dabei ist alles viel einfacher. Die beiden Söhne von Linde und Otto haben ihren Besuch angemeldet. Karl (Philipp Hauß) und Franz (Christoph Luser) sind rechte Kanaillen. Es klingelt, die Eltern befinden sich in höchster Verlegenheit: "Ich kann ja nicht mit diesem großen Schuldenberg in / meiner Hose drin mich vor die Brüder stell'n", bemerkt Otto. Die Kinder haben derweil andere Sorgen.

Franz, ein düsterer Straßenstricher, schlägt sich gerne in die Büsche. Karl besitzt das rechtschaffene Aussehen eines gescheiterten Pflichtschullehrers. Nimmt man in Stephan Kimmigs Uraufführungsregie die Nachbarstochter Petra (Sarah Viktoria Frick) hinzu, die von ihrer rollstuhlfahrenden Mama (Therese Affolter) in die Schulter gebissen wird, dann ist das Bild einigermaßen komplett.

Die Elterngeneration hat ihre Nachgeborenen betrogen. Sie habe, erklärt Palmetshofer allen Ernstes im Programmbuch, für den "Abschwung des regulierenden Staates" gesorgt. Jetzt seien die Kinder verzweifelt. Sie wachsen in dem demütigenden Bewusstsein auf, ihren Eltern "sozial unterlegen" zu bleiben.

Andererseits haben die Jungen in einem Dramatiker wie Palmetshofer einen Fürsprecher gefunden. Ihr Anliegen zerfällt in lauter satzähnliche Partikel, die ein jambischer Atem würzig beseelt. "Spuck den Schwanzgeschmack / das Leben / spuck ich aus und geh", bemerkt der düstere Franz auf der verlassenen Landstraße des Lebens.

Die Bühne hat Ausstatter Oliver Helf in ein Unten und ein Oben geteilt. Im ersten Stock krähen die Greise. Zu ebener Erde aber kriecht das Mädchen Petra durch ein Kiefernunterholz. Petra ist sehr pfingstlich zumute. Sie wartet auf den unbekannten Liebsten. Ehe es aber so weit ist, "drängen meine spitzen Brüste durch das Kleid / durchbohr'n's / und weint das Kleid / nein blutet Honig (...)".

Gestus der 1920er-Jahre

Kimmig hat keinen Aufwand gespart, um diesen verspäteten Expressionismus aufzubessern. Gedanklich ist dem Stück schwer aufzuhelfen. Das Unbehagen in der Kultur ist evident. Aber die Rückwendung hin zum Sprachgestus der 1920er-Jahre verheißt nichts Gutes. Die erwünschte Aufhebung der angeblich paralysierten Verhältnisse gleicht einem Stochern im Trüben.

Tief im Inneren von räuber. schuldengenital schwelt die Sehnsucht nach dem alles umstürzenden Exzess. Die Eltern, die nicht einmal frische Milch im Eiskasten haben, sollen ihre Pension herausrücken. Franz und Karl massakrieren beflissen den Postboten, der wiederum der gelähmten Nachbarin Edith (Affolter) den Lebensabend verschönt. (Michael Königs Tanzschritte rund um den Rollstuhl gehören zu den Highlights des Abends. )

Der Abtrag des Schuldenbergs, den die Alten angehäuft haben, ist eine reichlich mickrige Angelegenheit. Die Erzeuger werden hingemeuchelt. Karl masturbiert voll Rachsucht und schmückt die Gesichter der Altvorderen mit seinem Sperma. Es haben Dramatiker schon überzeugender für den Ewigkeitswert ihrer Stücke geworben als Ewald Palmetshofer mit seinem schuldengenital.

Der freundliche Applaus galt den Schauspielern, aber auch dem hochgehandelten Autor. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 22./23.12.2012)