Bild nicht mehr verfügbar.

Dankbare Bewohner, neugierige Nachbarn - und immer zu wenig Geld: Ute Bock hat mit ihrem Flüchtlings-Wohnprojekt in der Favoritener Zohmanngasse 26 alle Hände voll zu tun.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Ute Bocks Schreibtisch im hintersten Zimmer der Verwaltungsbüros im Flüchtlings-Wohnprojekt in der Favoritener Zohmanngasse 26 ist von Briefen übersät, das Telefon läutet im Minutentakt. Ute Bock hebt nicht ab, denn sie will sich auf das Gespräch konzentrieren - doch immer wieder öffnet sich die Tür, und jemand steckt seinen Kopf herein.

Erst ist es ein Mitarbeiter mit einer zu bezahlenden Rechnung - Bock gibt ihm Geld aus dem Tresor im Eck auf die Hand -, dann ein tschetschenischer Asylwerber, der sich überschwänglich für finanzielle Hilfe bedankt: "Ohne Sie wäre mein Leben kaputt!" Dann einer, der die Flüchtlingshelferin "für meine Schwester" um ein Autogramm ersucht.

Beim vierten Mal Klopfen wird Bock ungeduldig: "Jetzt geht's net!", ruft sie. - "Soll ich die vordere Tür zumachen?", fragt darauf die Fotografin. "Nein, ich muss zusperren, weil sonst stehlen's mir doch alles", antwortet Bock. Gesagt, getan. Das Interview kann beginnen:

STANDARD: Das war jetzt aber interessant: Sie gehen offenbar davon aus, dass die Menschen, denen Sie so großzügig helfen, Sie auch bestehlen. Wie gehen Sie damit um?

Bock: Weil ich mir immer sage: Wer weiß, wie ich wäre, wenn es mir auch so ginge? Wenn man eine Woche hungrig war und dann endlich Essen sieht, nimmt man eben doppelt so viel, als man braucht. Jedes Mal, wenn die Wiener Tafel (NGO, die Bedürftigen gratis gespendete Lebensmittel und Mahlzeiten liefert, Anm.) kommt, wird bei uns fast gerauft.

STANDARD: Wie reagieren Sie dann?

Bock: Ich plärre: "Lassts die Töpfe zumindest hinstellen!" Aber was soll man tun? Bei unserer Weihnachtsfeier habe ich eine Frau beobachtet, die ihre Kinder viermal um ein Packerl geschickt hat - bis nichts mehr da war. Ich hab ihr die Packerln gelassen und ihr gesagt, sie soll, wenn sie noch etwas braucht, wiederkommen.

STANDARD: Derart bedingungslos großzügig ist Ihr kommunaler Geldgeber, der Fonds Soziales Wien, nicht. Zuletzt wurden für zwei Wochen vorübergehend die Zahlungen an Sie gestoppt, weil es kritische Zeitungsberichte über Mietenvergaben in Ihren Wohnungen gab. Warum ist das Verhältnis zwischen dem Fonds und Ihnen immer wieder gespannt?

Bock: Weil sie beim Fonds eben ihre Vorschriften haben und sich über die Vorschriften nicht hinwegsetzen können, denn immerhin sind das Vorschriften ... Was die Mietbeihilfszahlungen für Asylwerber angeht, ist zwischen mir und dem Fonds jetzt zwar alles wieder alles in Ordnung, nur jetzt wollen sie, dass ich den Meldedienst (Hunderte Asylwerber sind bei Ute Bock gemeldet, um für Behörden erreichbar zu sein, und holen sich regelmäßig ihre Briefe ab, Anm.) woandershin verlagere.

STANDARD: Warum?

Bock: Weil sich Anrainer beschwert haben.

STANDARD: Was hätte die Verlagerung für Folgen?

Bock: Dass die meisten Gemeldeten von dort, wo sie ihre Behördenschreiben dann abholen würden, in die Zohmanngasse kommen müssten, um sich erklären zu lassen, was in den Briefen steht. Für die Anrainer, die sich gestört fühlen, würde die Verlagerung also wenig bringen.

(Auf der Straße bleibt ein Mann vor einem Fenster des Erdgeschoßzimmers stehen und starrt herein. Ute Bock erhebt sich, gestikuliert in Richtung Fensterscheibe: "Was suachst denn?")

STANDARD: Ist das ein Anrainer?

Bock: Ich glaube, schon. Manche Anrainer wollen sehen, was ich hier mache, seit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Parlament gesagt hat, ich feiere Orgien. Manche regen sich sogar darüber auf, dass Kinder aus unserem Haus auf den Spielplatz im Gemeindebau gegenüber kommen. Und weil sie Sonnenblumenkerne kauen und die Schalen ausspucken, hat letztens jemand sogar die Polizei geholt.

STANDARD: Sind viele Anrainer derart kleinlich?

Bock: Zum Glück nicht, im Gegenteil, viele bringen sogar Kekse vorbei. Aber bei Leuten, die von der FPÖ geprägt sind, hilft überhaupt nichts, da prallt jeder Einwand ab.

STANDARD: Zuletzt sind Sie geradezu zu einem Feindbild der FPÖ geworden. Ist das ein Kollateralschaden Ihrer in den vergangenen Jahren immer größer gewordenen Prominenz?

Bock: Sicher, ich werde bekämpft, weil ich als Helferin bekannt bin. Aber was soll ich machen? Ich brauche Spenden, um helfen zu können, derzeit 6000 Euro pro Woche allein für Essensgeld, um rund 40 Familien zu verköstigen, die von der öffentlichen Hand überhaupt nichts bekommen.

STANDARD: Aber Sie werden doch vom Industriellen Hans-Peter Haselsteiner unterstützt?

Bock: Schon, und darüber bin ich froh. Nur, dass er, wenn ich sage, dass ich 6000 Euro brauche, mir meist nur 3000 Euro überweist.

STANDARD: Vielleicht, weil er denkt, dass Sie, wenn er Ihnen 6000 Euro gibt, 12.000 Euro vergeben?

Bock (lacht): Da kann er schon recht haben. Nur: Was hätte ich von einer finanziellen Rücklage? Wenn mich dann der Schlag träfe, würde der Boulevard behaupten, ich hätte trotz des Geldes Hungrige vor der Tür stehen lassen. (Irene Brickner, DER STANDARD, 22./23.12.2012)