Foto: Peter Lechner

"Tutto tranquillo. Derzeit ist es ruhig hier, ja. Wir arbeiten daran, dass es so bleibt." Paolo Serras Lächeln wirkt ein wenig eingefroren. Es ist eine gute Miene zur fragilen Lage. Seit knapp einem Jahr kommandiert der italienische Generalmajor die UN-Blauhelm-Mission im Süden des Libanon. Schwierige Posten ist der Mann gewohnt. Kosovo, Afghanistan und nun eben hier: Camp Naqoura, das Hauptquartier der Unifil, zweieinhalb Kilometer von der "blauen Linie" zu Israel entfernt.

Der Libanon und Israel befinden sich im Kriegszustand. Die "United Nations Interim Force in Lebanon" (Unifil) steht seit 1978 zwischen den Parteien und überwacht die noch immer vorläufige Waffenruhe. Nach dem 34-Tage-Krieg 2006 bekam die Mission ein erweitertes, robustes Peacekeeping-Mandat. Derzeit halten rund 11.600 Soldaten aus insgesamt 37 Nationen die Hisbollah-Milizen und die israelischen Streitkräfte auseinander.

Seit November 2011 ist auch eine österreichische Logistik-Kompanie mit 157 Soldaten dabei. Sie organisieren den Transport für die Mission, warten die Fahrzeuge, halten die Blauhelme mobil. Nach dem Golan ist es die gefährlichste Mission des Bundesheeres. Vor allem, weil es schwer einzuschätzen ist, welche Auswirkungen der Bürgerkrieg in Syrien auf die Stabilität hier haben wird. "Das können wir nicht vorhersehen", sagt Hans-Peter Hohlweg, der Kommandant des österreichischen Kontingentes, bei einem Briefing mit Verteidigungsminister Norbert Darabos, der der Truppe am Mittwoch und Donnerstag einen Weihnachtsbesuch abstattete. Man sei jedenfalls auf alles vorbereitet.

Schwere Explosion

"Alles", das hängt vor allem von der Hisbollah ab. Die mit dem Iran verbündete "Partei Gottes" und ihre Milizen kontrollieren den Süden. In unterirdischen Verstecken sollen sie tausende ballistische Raketen gelagert haben. Erst vor wenigen Tagen gab es unweit des Camps eine schwere Explosion. Die Untersuchungen laufen. Es wird gemutmaßt, dass alte Hisbollah-Bestände hochgingen.

Die Gruppe hat vor allem Israel im Visier. In Tyrus, der nächstgrößeren Stadt ein paar Kilometer nördlich von Naqoura, steht - ironischerweise nicht weit von einer McDonald's-Filiale, dem Symbol des Satans USA - eine Stele für den religiösen Führer Irans, Ayatollah Khamenei, als Dank für Wiederaufbauhilfe aus Teheran nach dem 34-Tage-Krieg. Dutzende Plakate erinnern an die "Märtyrer von 2006". Und erst unlängst schickte die Partei Gottes neben wüsten Drohungen auch eine Drohne auf die israelische Seite bis in die Negev-Wüste. Trotz allen Säbelrasselns aber hält die Hisbollah die Lage ruhig - in Richtung Israel, in Richtung Syrien und vor allem im eigenen Land. "Man kann es wenden, wie man möchte: Die Hisbollah ist derzeit ein stabilisierender Faktor im Libanon" , erklärt die österreichische Botschafterin in Beirut, Ursula Fahringer.

Das unterstreicht auch der Politologe Ghassan al-Assi von der libanesischen Universität in Beirut: "Weder die Hisbollah noch die Feinde Damaskus' haben derzeit Interesse daran, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen." Ob nun von Katar und Saudi-Arabien finanzierte Salafisten zunehmend für Unruhe sorgen, die syrischen Truppen gelegentlich über die Grenzen schießen und sich pro-syrische Alawiten und Sunniten im nördlichen Tripoli immer wieder Schießereien liefern, die reguläre libanesische Armee greift umgehend hart durch. Denn alle wissen, dass ein Zündfunke in dem multiethnischen und multireligiösen Staat ausreicht, um ein ähnliches Gemetzel wie in Syrien auszulösen.

220.000 Flüchtlinge

Ein solcher Funke könnte der Flüchtlingsstrom aus dem Osten sein. Denn der wird immer mehr zum Problem der christlich-schiitisch-sunnitischen Proporz-Regierung, die zuletzt auch nach dem mutmaßlich von Syrern orchestrierten tödlichen Bombenanschlag auf einen hochrangigen sunnitischen Geheimdienstler keine Eskalation zuließ. 150.000 syrische Flüchtlinge sind offiziell bei der Uno registriert. Bis zu 220.000 sollen es tatsächlich sein. Dazu kommen 300.000 syrische Gastarbeiter und 500.000 Palästinenser.

"Und das bei geschätzten 4,1 Millionen Einwohnern. Das ist eine der höchsten Flüchtlingsquoten, die ein Staat bewältigen muss. Wenn dieses Problem außer Kontrolle gerät, dann erleben wir hier die gleiche Konfessionalisierung und das gleiche endlose Morden wie in Syrien" - so lautet die finstere Lageeinschätzung der Militärs, die in Camp Naqoura zu hören ist. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 21.12.2012)