Christine Marek hat in der ÖVP Werner Amon als Bildungssprecher abgelöst und will einen Fokus ihrer Arbeit auf den Kindergarten legen. Man müsse "das Haus von unten aufbauen, nicht vom ersten Stock", sagt Marek. Im Interview mit derStandard.at erklärt sie, warum sie in Sachen Gesamtschule nicht einer Meinung mit ihrem Parteikollegen Günther Platter ist, und kritisiert, dass Lehrer immer in eine "Blockiererposition" gedrängt werden.
derStandard.at: Warum gab es jetzt diesen Wechsel von Werner Amon zu Ihnen?
Marek: Die außenpolitische Sprecherposition war neu zu besetzen und die wurde auf seinen Wunsch mit Werner Amon besetzt. Ich habe die neue Funktion mit großer Freude angenommen. Das Thema ist für mich sehr spannend, ich habe im Bereich Frühkindpädagogik schon sehr viel gemacht.
Für mich ist auch das Thema der ganztätigen Schulformen ein ganz wichtiges. Gerade als alleinerziehende Mutter habe ich selbst immer miterlebt, wie das ist. Es ist wichtig, klare Fronten zu haben, und wir haben da sehr viel Positives gemacht in der Vergangenheit und auch jetzt aktuell. Es stimmt nicht, dass in der Bildungspolitik nichts weitergeht. Wir nehmen viel Geld in die Hand, und es passiert auch sehr viel. Ich verwehre mich nur dagegen, dass es nur eine Schulform gibt, und die verpflichtend für alle.
derStandard.at: Das heißt, Sie sind gegen die Gesamtschule, die Ihr Parteikollege und Landeshauptmann Günther Platter in Tirol umsetzen möchte?
Marek: Ich kenne bis jetzt kein konkretes Modell. Wir warten darauf.
derStandard.at: Herr Platter sagt zum Beispiel: "Die Gesamtschule ist keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der Vernunft." Wie sehen Sie das?
Marek: Ich kenne die Aussagen von Günther Platter aus den Medien. Es gibt kein konkretes Modell. Es gibt auch keine Studien, die beweisen, dass die Gesamtschule tatsächlich viel bessere Bildungserfolge bringt als ein differenziertes Schulsystem.
derStandard.at: Platter beruft sich in seiner Argumentation darauf, dass die Ergebnisse in Südtirol etwa bei der PISA-Studie besser sind. Dort gibt es eine Gesamtschule in der Unterstufe.
Marek: Es gibt genug andere Beispiele. In Bayern gibt es ein differenziertes Schulsystem, das großartige Bildungsergebnisse hat. Wir haben das differenzierte Schulsystem festgeschrieben, im September haben wir die Weiterentwicklung vereinbart. Wir haben die Neuen Mittelschulen, dort gibt es sehr gute Begabungsförderungen für Schüler. Die Gymnasien und damit die Differenzierung im Schulsystem bleiben erhalten. Das war ein Einheitsbeschluss, dem sich auch Günther Platter angeschlossen hat, auch in der ÖVP. Dem ist nichts hinzuzufügen.
derStandard.at: Platter meint, dass die starre Position gegenüber der Gesamtschule in der ÖVP langsam bröckelt. Erleben Sie das auch so?
Marek: Nein.
derStandard.at: Wie kommt er dann darauf, das zu sagen?
Marek: Das müssen Sie ihn fragen. Haben Sie ihn gefragt?
derStandard.at: Ja, wir haben auch mit ihm ein Interview geführt.
Marek: Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen.
derStandard.at: Werden Sie das tun?
Marek: Natürlich.
derStandard.at: Und werden Sie dann versuchen, ihn von Ihren Ideen zu überzeugen?
Marek: (lacht) Nein. Es wird sicher ein Gespräch geben. Aber ich bin erst seit einer Woche Bildungssprecherin.
derStandard.at: Österreich fährt bei Bildungstests regelmäßig schlechte Ergebnisse ein. Wo sehen Sie den größten Fehler im System?
Marek: Wir müssen die Kinder individueller unterstützen. Was ich jetzt auch gerne angehen möchte, ist das Haus von unten aufzubauen, nicht nur vom ersten Stock. Wir diskutieren in der Bildungsdebatte immer nur über die Sekundarstufe 1. Diskutieren wir doch, wie wir schon bei den ganz Kleinen beginnen können. Das heißt im Kindergarten. Das ist die erste Bildungseinrichtung. Da haben sich schon wesentliche Schritte getan mit dem verpflichtenden Kindergartenjahr. Das ist auch ein Baby von mir. Wir müssen da ansetzen, auch durchaus mit Qualitätskriterien. Ich möchte mit den Ländern darüber diskutieren, wie wir gemeinsam weiterkommen. Dann kommen die Kinder schon mit ganz anderen Voraussetzungen in die Volksschule.
Wir haben bei den Lesetests gesehen, dass die Kinder in der vierten Klasse Volksschule eigentlich nicht dort sind, wo sie sein müssten. Das ist das Problem, wenn sie dann in die Sekundarstufe 1 kommen, dass ihre Leistungen total heterogen sind. Wir müssen im Kindergarten auch schon stärker etwas im Bereich Naturwissenschaften machen. Da machen Länder wie Deutschland schon mehr. Es gibt dort die Initiative "Haus der kleinen Forscher", die flächendeckend eingeführt worden ist. Bei "Kinder in Wien" machen die Kindergartenpädagoginnen mit den Kindern Experimente. Es geht darum, die Kinder neugierig zu machen. Das sollte auch in die Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen integriert werden
derStandard.at: Wollen Sie für mehr Qualitätskriterien in den Kindergärten mehr Durchgriffsrechte für den Bund?
Marek: Das ist realpolitisch kein Thema. Mir geht es darum, dass wir uns auf Basis der geltenden Rechtslage anschauen, wo wir gemeinsam weiterkommen können. Wir haben im Rahmen der geltenden 15a-Vereinbarung über das verpflichtende Gratiskindergartenjahr einen bundeseinheitlichen Bildungsplan für die Fünfjährigen. Da wäre es schön, wenn es uns gelingt, weiter über Qualitätskriterien zu diskutieren. Ich habe gelernt, dass es Sinn macht, das Machbare zu diskutieren. Ich kann natürlich sagen "Wünsch dir was" und ein fernes Ziel diskutieren, ich setze aber lieber einen Schritt,der realistisch ist, nach dem anderen. Mit kleinen Schritten komm ich auch zum Ziel.
derStandard.at: Die ÖVP hatte in dieser Legislaturperiode vier Personen, die für Schulthemen zuständig waren: Johannes Hahn, Beatrix Karl, Werner Amon und jetzt Sie. Warum wird dieses Thema zwischen so vielen Personen herumgereicht?
Marek: Moment, Sie reden hier von zwei Personen auf Regierungsebene und zwei aus dem Parlament.
derStandard.at: Ich rede von den Personen, die mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied verhandelt haben.
Marek: Aber das heißt nicht, dass das Thema herumgereicht wird. Das sind verantwortungsvolle Positionen und Personen, die dann einfach in eine andere Funktion gewechselt haben. Die Position muss dann neu besetzt werden.
derStandard.at: Eines der größten Probleme im österreichischen Bildungssystem ist, dass der Bildungsstand der Eltern auf die Kinder vererbt wird. Ist es Aufgabe der Politik, das zu ändern?
Marek: Ich gehe davon aus, dass wir mit der Weiterentwicklung der Hauptschulen zu Neuen Mittelschulen bereits einen wesentlichen Schritt gesetzt haben. Aber es geht auch darum, dass wir den Kindergarten bestmöglich gestalten und die Kinder auch in der Volksschule abholen. Natürlich sind auch die ganztägigen Angebote ein wesentliches Thema. Da geht es auch darum, dass Kinder von berufstätigen Eltern am Nachmittag die Hausaufgaben in der Schule machen können. Natürlich muss es eine Wahlfreiheit geben. In der ganztägigen Schulform kann man viel abfangen.
derStandard.at: Wenn die Eltern dafür wären, dass es eine verschränkte Ganztagsschule gibt und die Lehrer dagegen, dann wird sie nicht umgesetzt. Die Lehrer haben eine Vetomöglichkeit.
Marek: Diese Argumentation ist sehr ärgerlich. Bundeskanzler Werner Faymann hat das in der "Pressestunde" so argumentiert. Wir haben die Schulautonomie, wo Lehrer, Schüler und Eltern zu gleichen Teilen ein Stimmrecht haben. Es wird in den Raum gestellt, dass die Lehrer ein Vetorecht haben und blockieren. Wir ersuchen, einen Fall zu nennen, wo von den Lehrern so etwas blockiert worden ist. Wir kennen bis jetzt keinen. Ich halte es nicht für gescheit automatisch eine ganze Gruppe in die Blockiererposition zu bringen. Es geht darum, dass man gemeinsam eine Lösung findet.
derStandard.at: Aber man gibt den Lehrern damit schon sehr viel Macht.
Marek: Die Lehrer sind ein wesentlicher Teil des Systems. Wir vertrauen den Lehrern die Kinder an. Recht viel mehr Macht - im positiven Sinn - kann man nicht geben. Die Lehrer sind ein wesentlicher Faktor für die Erziehung der Kinder. So viele Eltern delegieren sehr viele ihrer Aufgaben an die Schule oder an die Lehrer. Sehr viele Eltern kommen nicht einmal mehr zum Elternsprechtag.
derStandard.at: Welche Rolle spielt für Sie der Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer in der Schulpolitik?
Marek: Fritz Neugebauer ist ein Gewerkschaftsvertreter der mit hohem Engagement die Interessen derer, die ihn gewählt haben, vertritt.
derStandard.at: Dadurch kommen oft Reformen nicht zustande.
Marek: Er macht das, wofür er gewählt ist. Er ist Interessenvertreter.
derStandard.at: Der größte Brocken, der in dieser Legislaturperiode noch ansteht, ist das Lehrerdienstrecht. Glauben Sie, dass das noch passieren wird?
Marek: Glauben heißt, nicht wissen. Hier gibt es konkrete Gespräche, die sind auf Sozialpartnerebene zu führen. Hier sind vor allem die Ministerinnen Heinisch-Hosek und Schmied gefordert, zusammen mit der Gewerkschaft. Die Frage ist, wie weit man aufeinander zugeht.
derStandard.at: Sie werden Sich da nicht einbringen?
Marek: Natürlich bringe ich mich ein, aber es ist in erster Linie ein Sozialpartner-Thema.
derStandard.at: Vorher waren Sie Chefin der Wiener ÖVP, jetzt werden Sie Bildungssprecherin der ÖVP. Das sind beides Jobs, die nicht besonders angenehm sind. Als ÖVP-Bildungssprecherin muss man öfter Dinge verhindern. Wie kommen Sie zu diesen Positionen?
Marek: Um Verhindern geht es der ÖVP überhaupt nicht, da widerspreche ich vehement! Ich bin nicht in der Bildungspolitik, um etwas zu verhindern, sondern um etwas zu gestalten. Es gilt natürlich immer, einen Interessenausgleich und eine gewisse Balance zu halten. Aber das ist in jedem Bereich so, auch als Staatssekretärin war das so. Politik muss immer auch Kompromisse schließen.
derStandard.at: Sie haben Ihre Aufgabe als Familienstaatssekretärin bei Ihrer Abschiedsrede von der Wiener ÖVP als "Herzensjob" bezeichnet. Wollen Sie wieder auf die Regierungsbank?
Marek: Ich bin jetzt sehr glücklich da, wo ich bin. Das ist jetzt kein Thema. Ich habe eine Aufgabe übernommen, die sehr spannend ist und über die ich mich riesig freue. (Lisa Aigner, derStandard.at, 20.12.2012)