Wien - Viele Säugetiermütter steuern, ob sie mehr männlichen oder weiblichen Nachwuchs bekommen, je nachdem, wie gut die Umweltbedingungen zum Zeitpunkt der Befruchtung sind. Wie die Tiere das allerdings genau machen, ist bisher erst wenige erforscht. Wissenschafter der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni) konnten nun zumindest bei Pferden zeigen, dass an dem Vorgang ein Protein beteiligt ist und das doppelte X-Chromosom bei weiblichen Embryos deren Überleben fördern könnte. Ihre Arbeit wurde in der Fachzeitschrift "Theriogenology" veröffentlicht.

Dass viele Säugetiere nicht gleich viele Söhne wie Töchter bekommen, wurde schon unterschiedlich versucht zu erklären. So wurde die Tatsache, dass männliche Spermien etwas leichter sind, dahingehend interpretiert, dass sie dadurch schneller bei der Eizelle ankommen könnten. Eine andere Erklärung geht von unterschiedlichen Überlebensraten für männliche und weibliche Föten in der Gebärmutter aus.

Ein Team von Christine Aurich von der Vetmeduni liefert nun Hinweise darauf, dass ein Protein namens IGF1 in die Festlegung des Geschlechterverhältnisses bei Pferden involviert sein könnte. Das Protein Insulin-like Growth Factor-1 (IGF1) ist an Wachstumsprozessen beteiligt und hemmt zudem die sogenannte Apoptose, den programmierten Zelltod. Jana Beckelmann aus dem Team Aurichs stellte bei der Untersuchung von 30 Pferdeembryos fest, dass in einer frühen Phase der Trächtigkeit bei weiblichen Embryos doppelt so viel von der Messenger-RNA in den Zellen zu finden war, die für IGF1 codiert, als in männlichen. Zudem wurde in allen untersuchten Zellen die vorhandene Messenger-RNA tatsächlich in IGF1 umgesetzt.

Zusammenspiel von inneren Faktoren und Umweltbedingungen

Da IGF1 in der Zellkultur, beispielsweise bei in vitro erzeugten Embryos, bei Rindern dafür sorgt, dass mehr Embryonen überleben, könnte IGF1 auch bei Pferdeembryos eine ähnliche Wirkung haben, vermuten die Wissenschafter. Sie gehen davon aus, dass die weiblichen Embryos mehr IGF1 in sich tragen, weil Weibchen zwei X-Chromosomen in jeder Zelle haben, Männchen aber nur eines. Zwar liegt das Gen für das IGF1 selbst nicht auf dem X-Chromosom, jedoch könnte ein die Aktivität des IGF1-Gens steuernder Faktor dort liegen. So könnten weibliche Zellen mit zwei X-Chromosomen auch doppelt so viel IGF1 produzieren als männliche Zellen mit nur einem X-Chromosom.

Beckelmann vermutet, dass die höheren IGF1-Konzentrationen in den weiblichen Embryonen "einen Mechanismus spiegeln, der das Überleben weiblicher Embryonen unter Umweltbedingungen fördert, unter denen normalerweise deutlich mehr männliche Embryonen überleben würden." Sollte dies zutreffen, wäre das Geschlechterverhältnis bei Pferden das Ergebnis eines bisher unbekannten subtilen Zusammenspiels von inneren Faktoren mit Bedingungen in der Umwelt. (APA/red, derStandard.at, 18.12.2012)