Auf den ersten Blick erscheint der Erdrutschsieg der Liberaldemokraten bei der Unterhauswahl vom vergangenen Sonntag als beeindruckendes Mandat für eine neue, starke Regierung in Japan. Dem kommenden Premierminister Shinzo Abe falle nach seiner ersten Amtszeit 2007 die Chance auf ein fulminantes Comback zu, meinen einige Beobachter.

Ein zweiter Blick allerdings relativiert die Dinge einigermaßen: Die Wahlbeteiligung war mit nur 59 Prozent auf einem Rekordtief, von einem starken Mandat kann kaum die Rede sein. Und jene verzagten Wähler, die zu den Urnen gingen, stimmten statt für einen Wandel mehrheitlich für altbackene Rezepte. Reformen, die Nippon so dringend nötig hätte, sind von Abe kaum zu erwarten.

Seit 20 Jahren ist Japan in einer strukturellen Krise. Und seit 20 Jahren finden japanische Regierungen keinen Ausweg daraus. Wie Abe jetzt haben schon viele seiner liberaldemokratischen Vorgänger versucht, das Land mit enormen Investitionspaketen auf Pump wieder flottzumachen. Fahrt hat der Supertanker Nippon dadurch nie wirklich aufgenommen, er ist nur dümpelnd über Wasser geblieben. Dafür haben sich die Staatsschulden des Landes seit 1991 vervierfacht, ein Viertel des Budgets muss inzwischen in den Schuldendienst investiert werden. Hat das einen Nutzen? Eher nicht. Derzeit steckt Japan in der vierten Rezession seit dem Jahr 2000.

Seine Exportweltmeisterschaft hat Tokio sukzessive durch die Konkurrenz in Taiwan, Südkorea und vor allem China eingebüßt. Eine schwerfällige, aufs Engste mit Großkonzernen verflochtene Bürokratie hat ein effizientes Gegensteuern im übergroßen Staatssektor immer wieder verhindert. Dazu kommen erlahmende Innovationsfreude, so gut wie keine Immigration und eine rasch alternde Gesellschaft. Ein Viertel der Japaner ist heute über 65 Jahre alt, im vergangenen Steuerjahr schrumpfte die Bevölkerung der Inseln um gut 260.000 Menschen.

Japans Problem ist vor allem ein übersättigter Binnenmarkt, der kaum noch ohne Staatshilfe und hochtourig laufende Gelddruckereien der Bank of Japan Nachfrage generieren kann. Doch selbst die investitionsintensive Chance auf eine Energiewende nach Fukushima scheint die kommende Regierung in Tokio nicht wahrnehmen zu wollen.

Angesichts dieser Ausgangslage und Abes Politikansätzen ist es - trotz einer vieles ermöglichenden "Supermehrheit" der Liberaldemokraten im Unterhaus - sehr unwahrscheinlich, dass sich in Japan in naher Zukunft etwas Substanzielles ändern könnte. Stattdessen darf sich die Region auf eine Art Kompensationspolitik einstellen: Wer im Inland nicht reformieren kann, nimmt außenpolitische Profilierungsmöglichkeiten gern an.

Doch auch dort werden Abe und seine Minister ihre Grenzen finden. Den Streit mit China um die Diaoyu/Senkaku-Inseln können sie nur begrenzt eskalieren. Peking ist der wichtigste Handelspartner Tokios und hat zuletzt schon große antijapanische Demos zugelassen, die der empfindlichen japanischen Wirtschaft durchaus geschadet haben.

Genauso erscheint die Reform der japanischen Verfassung, die Tokio mehr außen- und sicherheitspolitischen Spielraum schaffen soll, wie eine Art Placebo. Denn die Debatte dar über lenkt bestenfalls davon ab, dass Japans Sonne derzeit nicht auf-, sondern eher untergeht. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 18.12.2012)