Janine Wulz: "Es ist ein bisschen so, als würde niemand die Lust oder den Mut dazu haben, Ziele für die Hochschulen in den nächsten Jahrzehnten festzulegen."

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Die österreichische Hochschulpolitik ist seit Jahren von zwei Schlagworten geprägt: Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen. Ich könnte diesen Beitrag nützen, um diese zwei großen Themen abermals zu diskutieren, um zu erklären, wie hart Studierende ohne EU-Pass von den 726 Euro Studiengebühren im Semester getroffen werden und was es für SchülerInnen, deren Eltern keine AkademikerInnen sind, bedeuten wird, wenn es in den nächsten Jahren zu mehr und mehr beschränkten Studien kommt. Gerechtigkeit ist schon lange kein Thema mehr in der Bildungspolitik, genauso wenig wie die Frage des Verhältnisses von Hochschulen und Gesellschaft.

Es ist ein bisschen so, als würde niemand die Lust oder den Mut dazu haben, Ziele für die Hochschulen in den nächsten Jahrzehnten festzulegen. Deswegen schippert der Hochschuldampfer ein wenig verloren auf offener See herum. Und wenn jemand nachfragt, wohin es denn gehen soll, werden ganz schnell die Urschlagwörter der Hochschulpolitik hervorgezaubert und als Problem und Lösung zugleich konstruiert. Die Unis haben kein Geld - daran lässt sich angeblich nichts ändern -, also reden wir über Studiengebühren. Die Unis haben keinen Platz - daran lässt sich angeblich auch nichts ändern -, also reden wir über Zugangsbeschränkungen. Das alles ist so sicher wie das Amen im Gebet und mittlerweile frage ich mich, wie BildungsjournalistInnen es ertragen, alle paar Monate über die immer wiederkehrenden Debatten mit den immer gleichen Argumenten zu berichten.

Allen ist klar, dass keines der beiden Schlagworte die Probleme der Hochschulen lösen wird, es sei denn, es gäbe viel mehr Geld oder viel weniger Studierende. Beides ist momentan politisch nicht gewollt - zumindest nicht von einer parlamentarischen Mehrheit.

Bildung als Ware

Ein Grund dafür ist, dass schon lange nicht mehr darüber diskutiert wurde, wofür es denn Hochschulen überhaupt braucht. In der Geschichte gab es dazu unterschiedlichste Ansätze - jene, die Bildung als Selbstzweck begriffen, jene, die Universitäten zur Fortbildung von BeamtInnen und Militärs gründeten, und jene, die heute Bildung als Ware betrachten, die auf einem Markt verkauft wird.

Bildung kann aber noch mehr, sie kann Gesellschaft verändern. Nicht von heute auf morgen, aber langfristig. Bildung kann Eliten kreieren und Eliten reproduzieren und damit sicherstellen, dass die soziale Ordnung in einer Gesellschaft so bleiben wird, wie sie ist. Sie kann aber auch auf soziale Mobilität setzen und damit die Gesellschaft von morgen umkrempeln und Eliten überflüssig machen, weil alle Zugang zu dem Wissen und den Privilegien der heutigen Eliten haben. 

Bloß keine Veränderung

Welchen Weg die österreichische Bildungspolitik einschlagen sollte, hat niemand festgelegt. Deshalb schippert der Dampfer mal auf die eine und mal auf die andere Seite. Ohne dass wirklich etwas passiert, aber auch ohne dass sich wirklich etwas ändert. Das ist der Kern der österreichischen Bildungspolitik: bloß keine Veränderung, die sich langfristig irgendwie positiv auswirken könnte. Einen Schritt vor - und zwei zurück.

Im ersten Moment wirkt das einfach nur visionslos. Im zweiten Moment ist aber klar, dass es daran liegt, dass jene, die das größte Interesse am Stillstand und Rückschritt haben, die politische Verantwortung tragen. Eine Regierung, die fast zur Hälfte aus Mitgliedern des durch und durch elitären Cartellverbands besteht, wird sich niemals auf eine Route festlegen lassen, an deren Ende die Aufgabe ihrer eigenen Privilegien steht.

Eine SPÖ, die hier keinen Widerstand leistet - oder, noch schlimmer, mit am Steuerrad steht - macht sich mitschuldig. Mitschuldig daran, dass in dieser Gesellschaft weiterhin ein Prozent der Bevölkerung über ein Drittel des Gesamtvermögens verfügt, während mehr als eine Million Menschen armutsgefährdet sind.

Gesellschaftliche Verantwortung

Denn Bildung hat eine gesellschaftliche Verantwortung, und die heißt: Motor zu sein für eine gerechtere Gesellschaft. Gerechte Gesellschaft kann nur gestalten, wer Demokratie auch lebt. Universitäten, die nach starren Top-down-Prinzipien geführt werden, werden wohl kaum eine ideale Keimzelle für neue demokratische Entscheidungsstrukturen bieten. Weder RektorInnen noch ProfessorInnen sind allmächtig, und ein Aufsichtsgremium ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten der Hochschulangehörigen ermöglicht keine Diskussionsprozesse, um gemeinsam Hochschule zu gestalten.

Unreflektiertes Bulimielernen

Gleichberechtigte Diskussionsräume braucht es aber nicht nur auf der Leitungsebene einer Hochschule, sondern auch im Kleinen. Noch immer gibt es Lehrveranstaltungen, in denen ProfessorInnen sich mit GönnerInnen verwechseln, die gnädigerweise ihre Forschung unterbrechen, um Studierende an ihrer Weisheit teilhaben zu lassen. Damit werden Studierende nicht von Wissenschaft begeistert, sondern vielmehr zu unreflektiertem Bulimielernen animiert: so schnell wie möglich alles hineinstopfen und es bei der Prüfung wieder auskotzen. 

Wenn das Ziel von Bildungspolitik eine gerechtere Gesellschaft ist, dürfen wir nicht die alten Fehler wiederholen und mit Schlagworten um uns werfen, um dann doch wieder nur an der Oberfläche zu kratzen. Es geht um einen Paradigmenwechsel, der so manches umwirft, was Universitäten ausmacht. Universitäten dürfen sich nicht länger als elitäre Einrichtungen verstehen, sie müssen nicht nur ihre Elfenbeintürme in die Luft jagen, sondern auch die Türen weit aufmachen. Sie müssen nicht nur ihre Gremien ein bisschen demokratischer gestalten, sondern interne Hierarchien zugunsten von Diskussionsprozessen und gemeinsam getroffenen - und damit auch gemeinsam getragenen - Entscheidungen niederreißen.

JedeR einzelne Lehrende muss die Qualität der Lehrveranstaltungen mindestens so wichtig nehmen wie das nächste Drittmittelprojekt. Studierende müssen im Zentrum der Lehre stehen und mitentscheiden, was sie lernen wollen. Um schließlich bessere und besser motivierte Lehrende, Studierende und Hochschulen zu haben, die einer ganzen Gesellschaft am Herzen liegt, weil sich alle als Teil davon fühlen.

Gerechtigkeit ist unbezahlbar

Bis dorthin ist es noch ein weiter Weg. Aber ich bin mir sicher: Wenn alle überzeugt sind, dass das Ziel eine gerechtere Gesellschaft ist, fragt, wenn am Horizont die erste kleine Veränderung sichtbar ist, niemand mehr: Wer soll das finanzieren? Es wird die logischste Sache der Welt sein, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Denn Gerechtigkeit ist unbezahlbar. (Janine Wulz, derStandard.at, 18.12.2012)