Eines vorweg. Ich bin "clean". Jedenfalls "cleaner" als die meisten Kommunen, Städte und Bundesländer Österreichs. Ich habe nämlich keine "toxischen Derivate" in meinem Portfolio. Ich habe allerdings auch Hausverstand. So wie Sie.

Bei denjenigen, die mit einem simplen Fremdwährungskredit oder einem "Plain vanilla"-Swap "angefixt" wurden, und die dann quasi in einem Schritt von Gras auf Heroin umgestiegen waren, hat er, falls überhaupt vorhanden, ausgesetzt, der Hausverstand.

In diesem Zusammenhang stellen sich für mich, und ich vergesse mal, dass ich von der Materie etwas verstehe, und ziehe mich auf die Position des Steuerzahlers zurück, einige zentrale Fragen:

• Was treibt jemanden an, der zu (finanziellem) Heroin greift und warum sind Gebietskörperschaften offenbar erheblich gefährdeter als Unternehmen?
• Warum werden Österreichs Kommunen, Städte und Bundesländer von Leuten gemanagt, die inhaltlich an diesen Fragen so nahe dran sind, wie ich an Zeilingers Experimenten, von denen ich bedauerlicherweise nicht mehr werde profitieren können, aber schön wär's?
• Warum gehen die Leute nicht auf die Straße, wenn sie hören, dass gerade ein paar hundert Millionen ihres Vermögens verballert wurden, dass die Sanierung die Beraterbranche noch einmal reicher machen wird, und dass die paar hundert Millionen nicht einmal das Ende der berühmten Fahnenstange sein könnten?

Persönliche Eitelkeit?

Egal, ob man Bürgermeister oder Landeshauptfrau ist - man ist für eine zeitlich begrenzte Periode gewählt, die meisten selbst zu verantwortenden Fehler müssen die Nachfolger ausbaden. Also ist man schmerzbefreit, versucht, das Beste aus der Zeit zu machen, schaut weg oder kaschiert. Dass alle PolitikerInnen unfähig wären, das zu behaupten stünde mir nicht zu. Ich meine allerdings schon, dass diese Zeitfenster-Politik einer der Gründe dafür ist, warum manches erst so und meistens zu spät auffliegt. Und dann gibt es die viel zitierte politische Verantwortung gar nicht mehr. Dummheit, man möge mir das nachsehen, aber um nichts anderes geht es im Zusammenhang mit toxischen Finanzportfolios, ist leider kein strafbares Delikt. Schmeck's.

In der öffentlich abgehaltenen Diskussion taucht oft die Vermutung auf, dass sich "bei so was" jemand persönlich bereichert haben wird. Vergessen Sie das - die Motive sind nicht persönliche Habsucht, sondern im Regelfall Eitelkeit. Ja bitte stellen Sie sich doch vor, Sie sind für die Finanzen einer Gemeinde zuständig, und auf einmal fliegen da die "G'nagelten" aus der Londoner City ein, und bringen sogar einen Dolmetsch mit, damit Sie auch sicher verstehen, welche Substanzen in der Probepackung sind, die sie Ihnen auf den Tisch legen. Da wachsen's doch ein paar Zentimeter. Und Sie haben Ihren Freunden was zu erzählen. Glauben Sie nicht? Warten Sie's ab.

Sie suchen einen Job auf Management-Ebene im öffentlichen Finanzbereich, haben eine betriebswirtschaftliche Ausbildung, womöglich schon mal im Finanzbereich eines Unternehmens gearbeitet? Vergessen Sie's. Außer Sie haben "in der Partei" ausreichend Lorbeer als Sportfunktionär, MitarbeiterIn der politischen Akademie oder in sonst einem Biotop der Karrierewarteschleife erworben. Dann können Sie sich gute Chancen ausrechnen. Apropos rechnen: Sollten Sie das beherrschen, vergessen Sie's auch, das brauchen sie in dem Job nicht. Sie sollen sich nur auf Ihre MitarbeiterInnen verlassen können, und diese bei jeder sich bietenden Gelegenheit loben, das erweckt den Anschein, als würden Sie selbst was von der Materie verstehen.

Wieso schlafen die Bürger?

Was mich aber wirklich verblüfft ist die (Nicht-)Reaktion der Bürger. Aber ich habe Verständnis dafür. Ein paar hundert Millionen oder gar Milliarden, das kann sich kaum jemand vorstellen. Und sie sind ja noch nicht weg, auch wenn sie zum Teil schon ein anderer hat. Und außerdem - an wen soll ich mich denn wenden in meinen Zorn darüber, dass allerorts Beträge verzockt werden, die, wären sie ins Bildungssystem geflossen, dafür gesorgt hätten, dass Stanford und wie sie alle heißen monatlich Delegationen nach Österreich senden würden? Hallo Österreich - das, was in Salzburg potenziell weg ist, hätte gereicht, um den unsäglichen Skylink zu finanzieren. Dann hätten Sie zwar auch nichts Gescheites, aber zumindest etwas zum Angreifen. Ist uns das wirklich wurscht?

In Österreich hat sich der Reflex "Es kummt eh nix Besseres nach" (und leider hat man damit in nahezu 100 Prozent der Fälle Recht) völlig ungestört zur politischen Maxime erhoben. Davon leben etablierte Parteien ganz hervorragend, und die weniger etablierten haben auch schon den ersten Schluck von diesem Zaubertrank genommen. Jeder Private, jeder Kleinunternehmer, hat mehr Sach- und Hausverstand, wenn es um Finanzen geht (vergessen Sie einmal die, die Kredite für den Erwerb von Facebook-, MEL- oder sonstige Aktien aufgenommen haben, eine Minderheit im niedrigen Promille-Bereich) und würde die Finanzen einer Gemeinde besser managen, als die "Profis". Bei Beträgen mit so vielen Stellen wird man aber auf einmal wieder großzügig. Oder nur ohnmächtig, weil man eben gar nicht weiß, wohin mit dem Grant? Zu Frank? Wohl kaum, wenn man Lust auf Zukunft hat.

Reform steht dringend an

So wird das nichts. Um auf die Finanzen zurück zu kommen: Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwölf. Wie in diesem Land im öffentlichen Bereich mit Finanzen umgegangen wird, gehört von Grund auf reformiert. Wenn ich aus Regierungskreisen höre, dass die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips eine gute Sache wäre, aber vorschreiben könne man das nun auch nicht, wird mir angst und bang. Vom "Heroin" kommt man durch gutes Zureden auch nicht weg. Hin und wieder zu Weihnachten ein Joint, ok. Aber das war's dann wirklich. Und ansonsten bitte Finger weg von Substanzen, deren Wirkungsweise nicht verstanden wird und die das Leben gefährden können. (Martin Sadleder, Leserkommentar, 18.12.2012, derStandard.at)