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Methoden, Handlungsanleitungen - vermeintliche Kontrolle, Anleitung zum Nichtdenken: Rudolf Attems.

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STANDARD: Sie beklagen den Verlust des Denkens in Organisationen durch den Glauben an vorgefertigte Methoden und Best-Practice-Beispiele. Hat sich das denn verschlimmert?

Attems: Es wird sichtbarer - gerade in einer Zeit, in der wir uns alle überlegen sollten, wo wir in unseren Organisationen eigentlich angekommen sind. Und es hat sich verschlimmert, weil Zeit zum Nachdenken, auf Distanz zugehen, Zeit für zweckfreie Auseinandersetzung fehlt. Das ist ein gesellschaftliches Symptom.

STANDARD: Wofür?

Attems: Für Konsumerismus und den Zwang zu schnellen Lösungen mit Checklisten, Methoden und Tools. Dahinter steht auch die Haltung: bloß kein Problem zu haben. Da hält Nachdenken natürlich auf.

STANDARD: Sind Sie generell kein Freund methodischen Vorgehens?

Attems: Ich habe keineswegs grundsätzlich etwas gegen Methoden und Handlungsanleitungen. Das wäre ja unzweckmäßig. Methoden erfüllen ihren Sinn, aber nicht immer und überall. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Zuwenig oder Zuviel. Mein Befund lautet, es gibt zu viele Methoden und Handreichungen und zu wenig eigenes Denken. Wir verlieren die Balance. Checklisten dienen nicht unbedingt dem vollen Erkennen eines Problems.

STANDARD: Geben aber Sicherheit und Orientierung, wie Prozesse laufen sollten.

Attems: Bis zu dem Punkt, an dem man sich von der Realität entfernt und man nur mehr sieht, was der Methodenfilter zulässt. Mit einem Hammer in der Hand sieht man eben nur mehr Nägel. Schablonisierte Mitarbeitergespräche sind da ein gutes Beispiel.

STANDARD: Aber sollen Führungskräfte alles wissen und erfahren, was ihre Leute frustriert? Dadurch sind Unternehmenszwänge ja nicht änderbar, das löst ja keineswegs das Problem ...

Attems: Es ändert die Qualität der Beziehung. Wenn ich wirklich mit meinen Mitarbeitern spreche, tut sich atmosphärisch vieles. Es ist sicher besser, genau zu wissen, was meine Leute frustriert - die Frustration ist ja sowieso da und wirkt. Die meisten Führungskräfte vermeiden aber, da mit einer Distanz wirklich hinzuschauen und kommen stattdessen mit Tools und Methoden, weil es ihnen ansons- ten das Gefühl von Hilflosigkeit gibt.

STANDARD: Und verstecken sich hinter strukturierter Gangart.

Attems: Ja. Die Macht der Methoden ist groß und erzeugt auf der anderen Seite Hilflosigkeit, auch mit dem Druck des effizienten Vorgehens. Es entsteht Unbehagen, und aus diesem kann nichts Neues entstehen. So verlieren Unternehmen auch ihre hellsten, kreativsten Köpfe.

STANDARD: Schlagworte ...

Attems: Ja, auch. Aber Überregulierung erzeugt in Organisationen Zynismus. Es entsteht eine Schizophrenie zwischen Begrifflichkeiten wie " Mitarbeiter als höchstes Gut" oder "Wir leben Werte" und dem tatsächlich Erlebten. Damit ist es vorbei für aktiv Engagierte.

STANDARD: Also doch: Instrumente und Methoden sind gefährlich?

Attems: Nein, nichts aus der organisatorischen Werkzeugkiste ist gefährlich, wenn es mit der entsprechenden Haltung angewandt wird. Aber es wird meist unhinterfragt angewandt, oder es wird als Kontrollinstrument oder als Steuerungsinstrument verwendet. Das ist für mich auch der große Unterschied zu früher - weil Sie ja fragten, ob es sich verschlimmert habe: Die berühmte menschliche Komponente ist zur abstrakten Begrifflichkeit verkommen, die mit uns eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Kennzahlen sagen heute mehr aus, als ihnen eigentlich zusteht.

STANDARD: Aussteiger aus diesen Systemen gibt es ja mittlerweile reichlich - innerlich oder äußerlich. Bröckelt also schon nachhaltig, womit man meint, Organisationen steuern zu können?

Attems: Ich glaube schon. Aber so lange es halbwegs läuft ... Es wird wohl auch am Zuviel der Methoden festgehalten, weil sich so viele Führungskräfte mit der Erwartung nach perfekten, unfehlbaren Leadern überfrachtet fühlen. Die Angst, etwas falsch zu machen offenbart sich hier als Treiber in die vermeintliche Methodensicherheit. Probleme werden so umgedeutet, dass die bekannten Methodenwerkzeuge für eine Lösung passen und angewendet werden können. Selbsterneuerung und Innovation entstehen so nicht.

STANDARD: Die Alternative heißt also reflektierte, integre Persönlichkeiten, die wirklich zuhören, wirklich reden und authentisch sind?

Attems: Ja, die gibt es ja auch. Die sitzen aber nicht ausschließlich in ihrer Methodenkiste, sondern schaffen es, selbst einen Weg zu finden. Das erfordert Gelassenheit und Distanz und die Haltung des Vertrauens. (Karin Bauer, DER STANDARD, 15./16.12.2012)