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Minenarbeiter in Kenia: Ein Computerspiel, das derzeit von einer Salzburger Künstlergruppe entwickelt wird, soll erlauben, sich an ihre Stelle zu versetzen.

Foto: AP

In dem Rollenspiel "From Darkness" sollen sich Spieler nach Ostafrika "an die Wurzel der Flüchtlingsproblematik begeben", sagt Sonja Prlic, Mitbegründerin des Künstlerkollektiv Goldextra, zum STANDARD. Man solle sich bewusst werden, aus welchen Gründen die Menschen dort flüchten. Und das Spiel soll zeigen, was die Situation dort mit Computernutzern in Europa zu tun hat. "Wir wollen uns mit den Ressourcen beschäftigen, die unser gewähltes Medium benötigt", sagt Prlic.

Serious Game

Das sogenannte Serious Game, also ein Computerspiel, das einem Nutzen über die Unterhaltung hinaus dienen soll, will aufzeigen, dass PCs, Laptops und das Gros technischer Gadgets aus Metallen und Seltenen Erden gefertigt werden, die aus einer Region stammen, um die seit Jahrzehnten ein blutiger Konflikt geführt wird. Einer, der im Kongo-Krieg von 1997 bis 2003 gipfelte und seither immer wieder eskaliert.

Um der Problematik der Region näherzukommen, sollen die Spieler in verschiedene Rollen schlüpfen: Sei es die des Journalisten im Auslandseinsatz, eines Vertreters einer Hilfsorganisation, eines Investmentbankers oder die eines Minenarbeiters.

Gewaltexzesse

In einer fünfwöchigen Recherchereise hat das Goldextra-Team Uganda und Kenia bereist, Slums besucht und mehr als 50 Stunden Material aus Interviews mit Flüchtlingen gesammelt, die in das Spiel Eingang finden werden. "Es sind Lebensgeschichten zwischen Ohnmacht, Hoffnung und Utopien", sagt Prlic. Schilderungen von Gewaltexzessen seien eine Belastung gewesen: "Ich bin da nicht so abgebrüht, um nachzuhaken, wenn mir jemand sagt, sein Vater sei mit einer Machete aufgeschlitzt worden."

Spieler in der Rolle von Flüchtlingen

Die virtuelle Welt in "From Darkness" soll den "Menschen ein Gesicht geben, um Empathie zu erzeugen". Es gelte, eine Debatte zu schüren, wie man mit Flüchtlingen umgehe. Als studierte Dramaturgin will Prlic "mit dem Computerspiel das Theater von der traditionellen Bühne in den virtuellen Raum heben". Ein Prototyp des Spiels, das in Kooperation mit dem Medienkunstmuseum ZKM Karlsruhe und dem aus Venezuela stammenden Medienkünstler Victor Morales entsteht und in den nächsten Jahren fertiggestellt werden soll, wurde am Dienstag in Salzburg präsentiert.

"From Darkness" ist das zweite Serious Game des Künstlerkollektivs. Ihr erstes Werk, "Frontiers" wurde vor kurzem mit dem Medienkunstpreis der Stadt Salzburg ausgezeichnet und versetzt Spieler an die Stelle von Flüchtlingen, die versuchen, Europas gut gesicherte Außengrenzen zu überwinden. (Jan Marot, DER STANDARD, 13.12.2012)

(Video: Trailer zu "Frontiers")

Das Interview in voller Länge

DER STANDARD: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nach "Frontiers", das sich mit der Problematik der EU-Außengrenzen beschäftigt, im neuen Spiel "From Darkness" den Blick nach Ostafrika zu schwenken?

Sonja Prlic: In "Frontiers" ist es uns um die konkrete Situation der Flüchtlinge an den Grenzen gegangen. Und auch um die Politik in Europa. Wir haben damals bei der Recherchearbeit mit derart vielen Personen gesprochen, wo wir uns gedacht haben, kein Mensch in Europa weiß etwas über die Fluchtgründe und warum diese Menschen ihr Heimatland verlassen müssen. Mit dem wollten wir uns beschäftigen.

Ein anderer Ausgangspunkt war die Situation im Kongo. Das ist auch ein vergessener Konflikt, auch wenn er jetzt aktuell wieder mit den M23-Rebellen im Ostkongo in die Medienberichterstattung Eingang findet. Als Künstlerkollektiv geht es uns aber auch darum, uns mit den Ressourcen zu beschäftigen, die ein Medium benötigt, das wir verwenden. In diesem Fall wollen wir auch aufzeigen, woher die Ressourcen für unsere Computer kommen. Da spielt der Kongo, eines der ressourcenreichsten Länder der Welt, eine große Rolle.

DER STANDARD: Wie lange wart ihr in Uganda und Kenia unterwegs?

Prlic: Wir waren fünf Wochen in Uganda und Kenia. Im Kongo waren wir nicht. Wir sehen uns jetzt auch nicht als die Aufdeckerjournalisten, sondern wir sind eine Künstlergruppe. Aber es sind sehr, sehr viele Flüchtlinge aus dem Kongo eben in Uganda und auch in Kenia. Deshalb war es auch die Entscheidung in diese beiden Länder zu gehen. Wir wollten eine Recherche machen, die ganz spezifisch auf die Menschen eingeht, sprich mit Biografischen Interviews. Um die Geschichte eines komplexen Konflikts nicht von oben zu betrachten und etwa über die Stimmen und Meinungen von Experten, sondern ganz konkret über direkt Betroffene.

Wir haben uns bemüht, so viele Stimmen wie möglich zu hören und aufzuzeichnen, und diese wird man dann auch im Spiel selbst sehen. Viele kleine Episoden, die von Hoffnung, aber auch ganz viel Verzweiflung handeln. Deren Mut, deren Träumen und Utopien und wie sie es schaffen zu leben.

DER STANDARD: Es ist wichtig, nicht einzig von Zahlen Vertriebener zu sprechen. So werden Konflikte enthumanisiert. Sondern eben auch die einzelnen Menschen zu Wort kommen zu lassen ...

Prlic: Was steht hinter 100.000 Flüchtlingen? Es ist eben ein ganz anderer Zugang, einmal die Menschen reden zu lassen. So kann man auch Empathie erzeugen. Die erreicht man eben durch persönliche Gespräche. Aber natürlich haben wir auch Experteninterviews gemacht, um die Situation dort zu verstehen. Durch deren Komplexität gibt es auch keine leichten Lösungen. Aber die Hoffnung geben die Flüchtlinge nicht auf. Einer hat uns etwa erzählt, dass er Politiker im Kongo werden will, auch wenn eine Möglichkeit zur Rückkehr mehr als unwahrscheinlich erscheint.

DER STANDARD: Im Gegensatz zu "Frontiers" wechselt man in "From Darkness" die Rollen ...

Prlic: ... in "Frontiers" war es auch diese Metapher, die wir durch die First-Person-Shooter-Perspektive aufzeigen konnten. Eben die zwei Parteien treten gegeneinander an. Wir haben das subversiv bearbeitet. Eben wie in Ceuta (Anm. spanische Exklave in Nordafrika), wo auf der einen Seite der Grenze die Flüchtlinge sind, auf der anderen die hochbewaffneten Beamten den Grenzschutzes. Jetzt im "From Darkness" wird es so sein, dass man in die Rolle des Helden schlüpft, ein Journalist, oder eine Journalistin, die sich auf die Spurensuche nach einer anderen Person macht, aber auch andere Personen. Es geht mehr um das Nachforschen, und dabei trifft man Menschen. Darum arbeiten wir auch viel dokumentarischer am Projekt.

Dabei ist es mit eine Herausforderung, wie man eine spannende Spielhandlung kreiert. Wir kommen ja eigentlich alle von Goldextra aus dem Theaterbereich. Da war es vielleicht auch die logische Entwicklung, in den digitalen Theaterraum zu gehen. Geschichten zu erzählen, und diese von der traditionellen Bühne weg, auf die Virtuelle zu heben. Das ist auch das was mich besonders interessiert. Ich habe ja auch Dramaturgie studiert.

DER STANDARD: Welche Erlebnisse haben Sie besonders belastet? Gespräche mit Kriegstraumatisierten bedeuten auch für den Zuhörer mitunter lange Verarbeitungs- und Reflexionsphasen ...

Prlic: Die Geschichten von Kongolesischen Flüchtlingen, und den Minderheiten, die vertrieben worden sind. Diese leben vornehmlich in Nairobi, wo es sich auch rasch herumgesprochen hat, dass wir vor Ort sind. So sind viele von sich auf uns zugegangen. Deren Geschichten sind derart voller Gewalt. Zudem ist ihr Schwanken, zwischen totaler Verzweiflung und dem Festhalten an der Hoffnung, sehr deutlich spürbar. Das hat uns alle wahnsinnig bewegt.

Wichtig ist es, den Menschen immer mit Respekt zu begegnen. Und nicht das Mikrophon unter die Nase zu halten, und nach dem Gespräch zu verschwinden. Ich bin jetzt auch nicht so abgebrüht, dass ich, wenn mir jemand erzählt: "Mein Vater wurde mit einer Machete aufgeschlitzt", und ich weiterfrage: "Erzähl mir doch mehr davon." Wir haben das unter bestimmten Gesichtspunkten gemacht, immer mit reflektiert, wie wir selbst reflektieren.

DER STANDARD: Wenn der Spieler von "From Darkness" sich selbst auf Webrecherche begeben muss, ist dann das Konzept des Games, dass es sich ständig weiter wächst und aktualisiert?

Prlic: Die Idee dahinter ist schon die, dass man nicht für sich alleine spielt, und das eben nicht alles im Spielverlauf bereits vorgegeben ist. Es ist mehr als Schnittstelle zwischen der Realen und der Aktionwelt zu verstehen, auch über das Internet. So kann man etwa, wie ein Journalist, auch nachrecherchieren. Es ist aber nicht so, dass das Spiel jetzt ständig ausufert. Es wird über Blogs interagiert, der nächste Spieler kann das lesen, ebenso sind die Spuren der Spieler im Spiel selbst für andere sichtbar.

So ist zwar eine fixe Handlung vorgegeben, aber eben mit Schnittstellen in die Welt da draußen. Zu anderen Spielern, aber auch zu aktuellen, politischen Entwicklungen. Wir wollen ja nicht nur ein Spiel herausbringen, sondern wir sehen unser Projekt auch als Diskussionsplattform. Wie geht man mit Flüchtlingen um, und andere Fragen gilt es mit Universitäten und NGOs und Interessierten zu debattieren. Wir werden auch knapp zwei bis drei Jahre daran als Work-in-Progress arbeiten.

DER STANDARD: Der Kongo erscheint mir als ein Spielball der Interessen, einerseits der Nachbarstaaten, Ruanda und Uganda, sowie der Großmächte, USA, China und die EU ...

Prlic: Vielen stellt sich die Frage, ob man das Land teilen kann. Es gibt aber so viele Milizengruppen. Ein Interviewter hat uns gesagt, es reiche aus, wenn sich 15 Menschen zusammensetzen, um eine neue Miliz-Gruppierung zu gründen. Der Kongo ist auch nicht unser einziges Thema gewesen. In Kenia und Uganda ist man sehr nah an vielen Konfliktherden, wie etwa Somalia. Wo sich hunderttausende Flüchtlinge im Lager Dadaab an der kenianischen Grenze befinden. Unsere Recherchen fokussierten sich auf das Leben der vielen, unterschiedlichen Flüchtlinge in der Region.

DER STANDARD: Wie sieht es vor Ort um das Zusammenleben der unterschiedlichen Ethnien in den Lagern aus?

Prlic: Es ist verschieden. In Kenia gibt es riesige Lager, wie Dadaab, wo sich die Zahl der Bewohner auf die Million zubewegt. Aber was heißt es denn konkret, Flüchtlinge in ein Lager zu stecken. Dort leben Menschen seit 25 Jahren. Eine Generation ist dort, quasi in einer Stadt in der Wüste herangewachsen. Doch viele der von uns interviewten Flüchtlinge sagten uns, das Positivste am Lagerleben war uns ist es, andere Ethnien und andere Nationalitäten kennen gelernt zu haben. (Jan Marot, DER STANDARD/derStandard.at, 13.12.2012)