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Wenig zu tun.

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

In Österreich bringt jede Frau derzeit durchschnittlich 1,43 Kinder zur Welt, am Höhepunkt des Babybooms in den 60er Jahren waren es doppelt so viele. Mit dem Anwachsen des Wohlstands begannen im Westen die Geburtenraten zu sinken. Warum ist das so? Wie hängen ein sinkender Kinderwunsch und ökonomischer Wohlstand zusammen? Der Bielefelder Psychologe Rainer Dollase beschäftigt sich mit den Gründen für den sinkenden Kinderwunsch - und räumt gleich mit mehreren Fehlannahmen auf. 

Hohe Geburtenraten wie in Äthiopien, wo jede Frau im Schnitt 5,2 Kinder zur Welt bringt, erklärt der Psychologe vor allem damit, dass Verhütung dort schwieriger ist und Kinder als Arbeitskräfte und Altersvorsorge innerhalb der Familie wichtig sind. In Ländern, wo Sozialversicherung und Verhütung verfügbar sind, wird das Kinderkriegen von der Notwendigkeit zum Wunsch - und erhält eine völlig neue Bedeutung. Wo Frauen sich aktiv gegen Kinder entscheiden können und nicht ökonomisch vom Nachwuchs abhängen, wollen sie häufiger keine Kinder, so Dollase. 

Machen Kinder glücklich?

Auch die Einstellung zu Kindern im Westen hat sich gewandelt: In Deutschland glaubt heute nur mehr jeder Vierte, dass Kinderhaben zur Lebensfreude, zu Glück und Zufriedenheit dazugehört. Kinderlose glauben übrigens häufiger, dass Kinder glücklich machen, als Menschen mit Kindern: 65 Prozent der Eltern geben an, dass Kinder nicht mehr Lebensfreude bringen. 

"In Wohlstandsländern kann man das eigene Leben auch ohne Kinder und im Vertrauen auf das Funktionieren der staatlichen Alters- und Sozialversicherung planen und 'glücklich' gestalten", schreibt Dollase. "Man ist für die Selbstverwirklichung und die Optimierung seiner eigenen Lebenschancen nicht mehr auf das Kinderhaben angewiesen." Ohne Kinder könne man die im Wohlstand angebotenen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, die Waren und Dienstleistungen sogar noch besser nutzen. "Man hat ohne Kinder mehr Geld und mehr Zeit. Deshalb sinkt der Kinderwunsch." 

Auch die Geburt eines Kindes lässt im Westen nachweislich den Wunsch auf noch mehr Nachwuchs sinken: Nach dem ersten Kind wird die ursprünglich gewünschte Kinderzahl meist nach unten korrigiert.

Kosten-Nutzen-Rechnung

In Zeiten, in denen Kinder keine biologische oder ökonomische "Notwendigkeit" mehr sind, wird die Entscheidung für oder gegen Kinder zu einer psychologischen: Abgewogen werden die vermutete Freude, die ein Kind bringt, Erwartungen über gesellschaftliche Anerkennung durch Elternschaft und Folgen für die Paarbeziehung. Auf der anderen Seite stehen mögliche "Nachteile" wie die Einschränkung in der Selbstverwirklichung, berufliche Vereinbarungsprobleme, Angst vor Stress und finanzielle Einbußen. Was bleibt, ist eine recht kühle Kosten-Nutzen-Abwägung, die ein paar Jahre dauern kann. 

Sicherheit in jeder Beziehung

Eine entscheidende Voraussetzung für Kinder ist laut Dollase heute Sicherheit - und zwar in jeder Beziehung: Die Menschen würden versuchen, sämtliche Risiken im Leben bestmöglich zu beherrschen. "Man möchte für sich und seinen Partner einen sicheren Arbeitsplatz trotz Kindern haben und die finanziellen Belastungen minimieren." 73 Prozent der von ihm Befragten würden dem Satz zustimmen: "Man sollte erst Kinder bekommen, wenn man Sicherheit hat, dass man als Paar zusammenbleibt." 

Kinder statt "Planungshysterie"

Für Kinder entscheiden sich in den westlichen Gesellschaften heute am ehesten jene Menschen, die sich "der allgemeinen Planungshysterie und dem Sicherheitsfetischismus" nicht unterworfen haben, sagt Dollase: "Es ist ein ungewöhnlicher Gedanke, dass es von der grundsätzlichen Lebensphilosophie abhängen könnte, ob man Kinder bekommt oder nicht."

Gehören Kinder einfach dazu?

Die Entscheidung für oder gegen Kinder werde häufig auch von sozialen Annahmen darüber beeinflusst, was Menschen als gesellschaftlich "normal" und angemessen ansehen. Ausdruck für diese Haltung seien Aussagen wie "Kinder gehören einfach dazu" oder "In unserem Kreis haben alle Kinder". Auch der Wunsch nach emotionaler Stabilisierung spiele beim Kinderwunsch mitunter eine Rolle - bei Menschen, die von einem Kind etwas für ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung erwarten. 

Bei den Argumenten gegen Kinder werden neben zeitlichen und finanziellen Einbußen übrigens besonders häufig pessimistische Zukunftserwartungen genannt, die mit negativen Prognosen über die Zukunft der Welt, der Menschheit allgemein, einer befürchteten Zunahme von Gewalt et cetera zu tun haben. Womit wir wieder bei der Sicherheit wären. (Lisa Mayr, derStandard.at, 11.12.2012)