Bild nicht mehr verfügbar.

Peer Steinbrück redet auf dem SPD-Parteitag in Hannover.

Foto: DPA/Pilick

Hannover/Berlin - Nicht einmal fünf Minuten lang steht Peer Steinbrück am Sonntagnachmittag am Rednerpult, um den Genossen am Parteitag seine Kanzlerkandidatur schmackhaft machen, da passiert es. Aktivisten von Greenpeace enthüllen ein großes Transparent mit einem Konterfei von Steinbrück. "Genug Kohle gescheffelt" steht darauf - eine Anspielung natürlich auf die viel besprochenen, hoch umstrittenen Nebenverdienste Steinbrücks.

Der noch nicht gewählte Kanzlerkandidat blinzelt irritiert und kommt kurz aus dem Takt. Die Nervosität ist ihm deutlich anzumerken, anfangs überschlägt sich seine Stimme. Dennoch ist seine Botschaft klar: "Ich will mit eurer Hilfe Bundeskanzler werden, ich will eine rot-grüne Mehrheit, ich stehe für eine große Koalition nicht zur Verfügung."

Als er dann noch erklärt: "Immer dann, wenn Sozialdemokraten regiert haben, ging es diesem Land besser, Deutschland braucht wieder mehr Wir und weniger Ich", sind die Delegierten hörbar begeistert. Je länger Steinbrück spricht, desto befreiter wirkt er, desto mehr kann er die Genossen mitnehmen.

"Primat der Politik statt Primat des Marktes"

Im Wahlkampf will er vor allem mit dem Thema soziale Gerechtigkeit punkten, der Kampf gegen Armut steht ganz oben. "Mir geht es um das Primat der Politik statt um das Primat des Marktes, wir wollen Menschen nicht alleine lassen", ruft er den Sozialdemokraten zu und betont, dass er als Bundeskanzler einen nationalen Aktionsplan für bezahlbare Mieten ausarbeiten und eine Staatsministerin für Gleichstellung ins Kanzleramt berufen wolle.

"Bei Frau Merkel bleibt zu vieles im Ungefähren, das ist nicht ungefährlich", warnt er vor seiner Konkurrentin. Überhaupt findet er: " Die Kanzlerschaft von Frau Merkel ist der einzig übrige Markenkern der CDU geblieben." Und wenn die Kanzlerin erklärte, ihre Regierung sei die beste seit 1990, dann könne er nur sagen: "Selten so gelacht."

Da applaudieren die Delegierten wieder recht zufrieden. Unter ihnen ist auch - natürlich in der ersten Reihe und mit Zigarette - Altkanzler Helmut Schmidt. Er war es, der schon früh Steinbrück als Kanzlerkandidat forciert hatte. Nun lauscht er, an der Seite von Altkanzler Gerhard Schröder, Steinbrücks Worten. Diese haben durchaus eine neue Qualität.

Steinbrück, der als kopflastiger Intellektueller gilt und gerne mit Zahlen jongliert, wird zum Schluss seiner 105 Minuten langen Rede plötzlich persönlich. Er berichtet, wie sehr ihn der Brief seines 1945 im Widerstand hingerichteten Großvaters berührt habe. Dessen letzte Botschaft: "Wir tragen nicht nur für unser Tun, sondern auch für unsere Unterlassungen Verantwortung."

Er bedankt sich bei der SPD auch für deren Unterstützung: "Meine Vertragshonorare waren Wackersteine, die ich in meinem Gepäck hatte und auch leider auf eure Schultern gelegt habe." Die Solidarität in der Partei habe ihn "sehr berührt".

Dann beginnen harte Minuten des Wartens. Doch als das Ergebnis bekanntgegeben wird, kann Steinbrück aufatmen: er ist mit 93 Prozent zum Kanzlerkandidaten gewählt worden. Das sind zwar nicht jene "kubanischen Verhältnisse", die Merkel vor ein paar Tagen bei der Wiederwahl zur CDU-Chefin (98 Prozent) widerfahren sind. Doch Steinbrück strahlt wie schon lange nicht mehr. (Birgit Baumann, DER STANDARD, 10.12.2012)