Neue Aufgabenstellung für Medien: Erst wenn Aufgaben und Ziele klar definiert sind, ist eine Veränderung von Ressourcen, Prozessen und Prioritäten sinnvoll möglich.

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Störenfriede - "disruptors" - nennt Harvards "Master of Innovation" Clayton Christensen jene Markteinsteiger, die mit geringen Gewinnspannen in den Markt eintreten, zuerst auf Masse setzen, sich vom unteren Ende eines Marktes sukzessive hinaufarbeiten und sich dann in Kernsegmenten festsetzen. Christensen hat dieses Modell für die Stahl- und Autoindustrie entwickelt und hat sie in einem lesenswerten Artikel im Nieman Report auf Medien und Journalismus umgelegt.

Was Nachrichten und Kleinstwagen gemeinsam haben

Es lohnt, die Analogie mitzudenken. Erfolgreiche Markteinsteiger haben in der letzten Dekade im Nachrichtengeschäft das umgesetzt, was auch Kleinstwagenproduzenten in der Autoindustrie getan haben: Sie liefern ein Produkt, das schneller, personalisierter, billiger ist als jene der etablierten Unternehmen. Und: Neueinsteiger sind nicht mit hohen Overheads, trägen Organisationsstrukturen und langwierigen Entscheidungsprozessen belastet. Weil sie zuerst jenes Publikum ansprechen, das gar keine traditionellen Medien konsumiert, werden sie zu spät als ernstzunehmende Konkurrenten wahrgenommen - man denke daran, wie die "Huffington Post" belächelt wurde.

Aber die Störenfriede sind nun mal da. Im deutschsprachigen Raum diskutiert man gerade über neue Einnahmequellen via Presseförderung, Leistungsschutz, Micro-Payment oder Paywall. Zu mehr Entrepreneurship hingegen rät der Harvard-Professor:

Denkt immer zuerst ans Publikum!

"Niemand geht raus und kauft eine Zeitung, weil er ein 18- bis 25-jähriger weißer Mann mit College-Abschluss ist." Deshalb: Produkte nicht nach Zielgruppen entwerfen, sondern die richtigen Fragen stellen, zuallererst: Welche "Jobs" müssen Medien für ihr Publikum erfüllen? Die Bedürfnisse der Leser/User/Seher/Hörer bleiben die gleichen - aber die Produkte, die diese Bedürfnisse erfüllen, ändern sich. Und darauf müssen Medienunternehmen reagieren.

Ein Beispiel: Nachrichten wurden und werden oft als Pausenfüller konsumiert - der "Job" der Medien: "Vertreib' mir die zehn Minuten, während ich auf meinen nächsten Termin warte." Das können Zeitungen leisten, auch dafür wurden sie genutzt. Doch jetzt machen das andere besser - zum Beispiel Twitter. Die zentrale Fragestellung muss also sein: Wie können Medienunternehmen ihre Produkte in einer Art und Weise verändern, dass sie diese Bedürfnisse wieder besser als andere erfüllen? Oder aber, wenn das nicht möglich ist, welche neuen Produkte müssen angeboten werden, die einen anderen Job für ihr Publikum tun - oder vielleicht auch für ein ganz neues Publikum.

Wenn sich die Zeiten ändern, musst Du auch Deine Geschäfte ändern.

Keine Rückkehr in die Vergangenheit

"Wir werden in der neuen Welt nicht überleben, wenn wir auf eine Rückkehr in die Vergangenheit hoffen." Deshalb müssen traditionelle Unternehmen neue Geschäftsfelder innerhalb der Wertschöpfungskette erschließen - irgendjemand wird das Geschäft sowieso kannibalisieren. Also tu es lieber selbst. Christensen und Co-Autor Skok bringen dafür zahlreiche Beispiele in der Nachrichtengestaltung (zum Beispiel mehr Kontextualisierung, Erklärung, Bewertung), in der Aufbereitung (wie die Vorteile hochqualitativer Produktionsressourcen genutzt werden können) und im Verkauf. Im letzten Punkt fokussieren die Autoren vor allem darauf, dass Medienunternehmen viel zu wenig überlegen, wie sie ihr Know-How auch über die aktuelle Nachrichtenproduktion hinausgehend verwerten können. Consulting, Veranstaltungen und langfristige Verwertung ihrer Inhalte über E-Books, Videos, Archive sind nur einige Beispiele. Ein Modell für alle gibt es dabei freilich nicht, aber: Perspektivenwechsel tut gut, auch in der Frage, welche Rolle denn die Medienorganisation innerhalb einer Gesellschaft überhaupt hat.

Ausgangspunkt des Change-Prozesses: Der neue "Job"

Warum tun sich traditionelle Medienunternehmen im Moment so schwer, Nutzerbedürfnisse zu erfüllen, neue Erlöse innerhalb der Wertschöpfungskette zu finden? "We have met the enemy and it is us." Es ist verdammt schwierig, Organisationsformen und Kulturen zu - ändern. "Eine der meist gehörten Klagen von Managern sind die Probleme, die Kultur im Newsroom an die Digitalisierung anzupassen", das klingt österreichischen Ohren allzu vertraut. Das "wie" des Wandels ist der Schlüssel zum Erfolg: Ausgangspunkt aller Change-Prozesse muss die neue Aufgabenstellung, der neue "Job" sein. Verstehen und ändern, eines nach dem anderen. Erst wenn Aufgaben und Ziele klar definiert sind, ist eine Veränderung von Ressourcen, Prozessen und Prioritäten sinnvoll möglich. Auch das kennen wir in Österreich, Daueraktualität hat das Thema Newsroom-Konvergenz - da stehen oft nicht die Zieldefinitionen und Strategien am Anfang von Entscheidungsprozessen, sondern Architektur- und Technikfragen.

Traditionelle Unternehmen müssen zuerst lernen, sich selbst zu verändern. Sonst wird in Strukturen gearbeitet, die für ganz andere Tasks entwickelt wurden als jene, die aktuell zu erfüllen sind. Änderung ist unumgänglich - bevor es andere tun: "Sei selbst der Störenfried!" (Daniela Kraus, derStandard.at, 10.12.2012)