Direktflüge von Österreich nach Reykjavík gibt es nur im Sommer. Doch sowohl im Sommer als auch im Winter empfiehlt es sich, entweder Verbindungen ab München (oder Flüge über Frankfurt, Amsterdam und Kopenhagen) mit Icelandair zumindest anzudenken: Islands nationaler Carrier fliegt nämlich über Reykjavík unter anderem in die USA und nach Kanada - und seither lockt die Airline nicht nur mit relativ günstigen Preisen, sondern auch damit, dass man sich beim Umsteigen in der Hauptstadt mehrere Tage Zeit lassen darf. Dadurch kann man die Insel erkunden - und danach sogar noch eine weitere Destination ansteuern.

Foto: Icelandair

Wer im Winter ins Gelände geht, tut gut daran, einen lokalen Guide zu buchen. Das ist in Island nicht anders als sonst wo auf den Bergen. Aber auch im Sommer sei es Ungeübten angeraten, auf einer Insel, die großteils tatsächlich Wildnis ist, nicht einfach ins Backcountry aufzubrechen. Leifur Örn Savarsson war vor 15 Jahren einer der Mitbegründer der Icelandic Mountain Guides. Heute sind die Guides Islands größter und Outdoor-Tourenanbieter. Geführt wird in Grönland und Island - das Angebot reicht von Eisklettern und Wandern bis hin zu mehrtägigen Strick(!)-Touren durch Island. Landesinfo: www.visiticeland.com

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"We guide you off the Beaten Tracks", versprechen Matthias Knaus und Christof Schett. Der Bergführer und der Trainer von "Risk 'n' Fun", einem Lawinensicherheitstrainingsprogramm des Alpenvereins, erkannten, dass im Zuge der modularen Ausbildung eine Community entstand, die weiterhin gemeinsam unterwegs sein wollte. Also gründeten sie Yellowtravel. Heute stehen die Reiseangebote allen - zumindest geübten - Backcountry-Fahrern offen. Zusätzlich zu Trips nach Island oder Norwegen werden auch Ski-Reisen unter anderem in die Abruzzen, in die Hohe Tatra oder nach Marokko organisiert.

-> Hier gibt's eine Ansichtssache.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Sache mit dem Gammelhai war fies. Aber so ist das nun mal. Wer das Hirn im Urlaub auf Standby stellt, hat es nicht besser verdient. Die grau-schwabbeligen Bröckerln rochen erbärmlicher, als sie aussahen. Darum verzichtete Leifur Örn Savarsson beim Auspacken auf jede Warnung. Obwohl: Sein Grinsen war Warnung genug. Der Guide und Bergführer sagte nur, als er den Teller abstellte: "Das ist der berühmte isländische Gammelhai." Der beißende Geruch? Normal. Gammelhai ist, wie der Name verrät: monatelang verfaulter Fisch. Eine isländische Spezialität, das steht in jedem Island-Reiseführer.

Verglichen mit dem Geruch schmeckt der Fisch unspektakulär. Und Savarsson schwor, dass es sich um eine lokale Haiart handelt, die von jeder Schutzliste weiter entfernt ist als Island von den Tropen. Die Katastrophe kam danach. Irgendwer vergaß, den Stinkefisch-Teller in der Skifahrer-Lodge wegzuräumen.

Abgesehen davon könnte das Haus aber aus einem Nordskandinavien-Bilderbuch stammen. Es liegt im Nordwesten Islands auf der "Troll-Halbinsel" Tröllaskagi direkt am Fjord. Aus dem obligaten, von heißem Grundwasser gespeisten Whirlpool vor der Hütte fällt der Blick auf das je nach Lichteinfall und Wolkendecke bleigraue bis blitzblaue Meer. Und die Hänge der gegenüberliegenden Fjordseite: baumloses Weiß, das aus dem Meer auf 1200 bis 1300 Meter klettert und wie mit dem Lineal gezogene Kämme bildet, die theoretisch mehrere Kilometer weite Schwünge erlauben. Ein Freerider, der in Island zu wenig Platz für die eigene Spur findet, findet ihn nirgendwo.

Klar: Island hat Björk, Elfen, und Geysire, Reykjavík den Ruf einer wilden Partystadt. Und die Geschichten vom ersten Opfer und Stehaufmanderl der Wirtschaftskrise kennt man. Auch, dass es hier Ponys gibt, hat sich herumgesprochen. Das mit dem Powder allerdings noch nicht. Und zwar nicht einmal in Island. Man ist allein auf dem Berg. Immer. Dabei liegt knapp südlich des 66. Breitengrades länger Schnee als überall sonst in Europa.

Ringstraße ums Paradies

Island ist zu drei Vierteln Wildnis. Gefühlt sind es 140 Prozent. Das Durchqueren des Landes im Winter ist mit dem Auto unmöglich, nur die Ringstraße entlang der Küste wird offen gehalten. Und so offenbart sich die ganze Insel als Tourenparadies mit Meerblick: Das Auto am Straßenrand abstellen, Felle aufziehen - und rauf-rauf-rauf. Das geht überall. Die Anstiege über Hänge, deren Gegenhänge oft erst in Grönland liegen, haben neben dem Ausblick aber noch eine weitere Besonderheit. Luft, Wind und Schnee riechen anders: nach Salz. Das ist eigentlich logisch, und dennoch merkt man es erst, wenn die Lippen beim ersten Trinkstopp danach schmecken.

Nur der Wind lenkt davon ab - wenn es hier bläst, dann immer ordentlich. Zierlichen Menschen und Snowboardern vergeht da das Lachen. Ersteren, weil bei Böen mehr als 90 Kilometer pro Stunde nur Gewicht das Abheben verhindert. Und weil das Aufsteigen wie flanierende, eingehängte Pensionisten auf Dauer anstrengend ist. Letzteren, weil das Board am Rücken zum Spinnaker wird; ohne Chance, das Ding zu steuern oder zu bändigen. Doch die Abfahrten machen das wett: Sie sind mittel- bis wirklich steil - und das durchgehend über 1200 Höhenmeter. Auf Hängen, die so weit sind wie ganze Skigebiete anderswo.

Bei jedem einzelnen Schwung funkelt das Meer in anderen Tönen, und der Schnee schmeckt im Sturm nur nach Salz. Ganz so, als hinge man im Geschirr nur knapp oberhalb der Schaumkronen während der böigen Regatta mit einer Yacht. Bloß: Vom offen Meer wäre wohl kaum der Regenbogen zu sehen, der sich bei günstigem Stand der Sonne über den Hang bis in den Nordatlantik spannt; auch nicht das kleine Fischerboot, das mittendurch tuckert; und schon gar nicht hätte man Zeit, sich in diese Szenerie einen Wal zu wünschen, der gleich mit der Fluke winkt. Kitschalarm? Natürlich, aber völlig egal.

Es ist wirklich kein Wunder, dass viele Isländer an Feen, Elfen und Trolle glauben. Selbst wer die Fabelwesen nicht sieht, meint Leifur Örn Savarsson, weiß in Island, dass es sie gibt: "Jeder spürt sie. Ihr doch auch. Oder?" Normalerweise kennt man den Mitbegründer der Icelandic Mountain Guides für sein durch und durch pragmatischen Wesen.

Savarsson ist eine Institution in Islands Backcountry-Szene. Und ein Champion darin, jedes Auto samt Anhänger aus dem tiefsten Schlammloch zu manövrieren. Er kann eisklettern, ohne das Smartphone aus der Hand zu legen, findet frisch geräucherten Lachs in vermeintlich menschenleeren Regionen und ist ein Kenner der isländischen Literatur- und Musikszene. Dissertiert hat er über die Mutation von Schneekristallen in Lawinen, hat als Guide auf der halben Welt gearbeitet und unter anderem Soldaten der indischen Armee quer durch Grönland gelotst - auf Skiern. "Die hatten vorher noch nie Schnee gesehen", erzählt er. Kurz: Der Mann, der optisch vielleicht als Leningrad Cowboy durchgeht, ist ein typischer Isländer: "Wir sind nicht viele - da muss jeder mehrere Rollen draufhaben."

Isländer reisen gerne. Dennoch kann sich Savarsson nicht vorstellen, anderswo zu leben: "Island ist einzigartig." Klar, auch in den Alpen sitzt man nach einer Tour zusammen - aber halt nicht im Pool mit Meerblick. In Island ist das normal: Jedes Haus hat einen Whirlpool, jedes Dorf ein Schwimmbad. Gebaut wird dort, wo warmes Wasser aus dem Boden kommt. Und während anderswo heißes Wasser zum Temperieren beigemengt wird, ist es in Island umgekehrt. Manchmal fließt zu wenig kaltes Wasser nach. Isländern macht das nichts aus - Festlandeuropäern schon. Die Insulaner finden das ziemlich lustig.

Wirklich schräg sind für sie aber Festlandeuropäer, die noch nie auf Pferden gesessen sind, es aber unbedingt probieren wollen. "Ein normales Pferd hat drei oder vier Gänge. Unsere haben fünf", sagt der Bergführer. Neben dem "fünften Gang" - dem Tölt - haben die Troll-Hottehüs aber noch etwas: Stolz. Sie pfeifen auf Reiter, die sich in Skimontur in den Sattel schwingen. Dass diese Verachtung nicht nur am Outfit, sondern an mangelndem Reitkünsten liegen könnte? Undenkbar! Auch Skifahrer haben ihren Stolz.

Schließlich anerkennt Savarsson dann aber doch, dass Österreichern die Fortbewegung auf zwei Brettern ebenso in die Wiege gelegt wird wie Walzertanzen und Jodeln. Sogar neidlos, weil wir alle besser wissen, dass dem nicht so ist. Doch den Gegenbeweis, dass auch seine Landsleute g'standene Skifahrer sind, will er dann nicht schuldig bleiben - und setzt Siglufjörður auf den Tourplan.

Hänge der Heringshauptstadt

Siglufjörður war einmal Islands drittgrößte Stadt und galt lange als Welthauptstadt der Heringsfischer. Doch der Mensch übertrieb es: In den 1960er-Jahren lernten die 10.000 Einwohner schlagartig, was Überfischung bedeutet. Im Wortsinn waren von einem Tag auf den anderen die Heringschwärme verschwunden. Siglufjörður wurde zur Metapher. Dafür, wie Gier und Urassen mit Ressourcen in den Untergang führen.

Heute hat Siglufjörður lediglich 2000 Einwohner und ist quasi der Arlberg Islands: Drei Lifte gibt es hier, einen Teller- und zwei Bügellifte. Hier trainiert der nationale Nachwuchskader, die Eltern tragen stolz die "Skiteam-Iceland"-Jacken. Das Lachen können sie sich dabei nicht verkneifen. Isländer lachen gern über sich selbst, aber meistens auch zuletzt.

Darum hat auch die Geschichte vom Gammelhai ein Nachspiel. Im Whirlpool vor dem Haus aus dem Bilderbuch mit Blick auf den Fjord setzt Leifur Örn Savarsson zu einer Erklärung an. Während die Sterne in der polaren Nachtluft glitzern und natürlich Trolle und Elfen vorbeihuschen, gluckst er schon vor Lachen. Es gäbe da noch etwas: Früher, vor hundert oder auch noch vor 50 Jahren, sei alter Fisch auf dem Speiseplan der Isländer gestanden. Heute ist er Folklore, die man ausschließlich den Touristen überlasse. Wieso? Das verrate doch der Geruch. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Album, 8.12.2012)